Friedrich Merz ist der neue Außenminister, Innenpolitik ist nicht sein Ding

Der deutsche Bundeskanzler hat die Außenpolitik zur Chefsache erklärt. Aber wer kümmert sich eigentlich um innere Angelegenheiten? Eine Kolumne.
Wenn persönliche Ahnungen und Prognose eintreten, wird man zuweilen doch noch von der Wirklichkeit überrascht. So wie ich Friedrich Merz kennengelernt hatte, war mir sehr schnell klar: Sein eigentliches, sein wirkliches Interesse gilt der Außenpolitik. Dass der neue deutsche Bundeskanzler jedoch als sein eigener Außenminister agiert und deutsche Innenpolitik anderen überlässt – damit hatte ich nicht gerechnet.
Der berühmte Soziologe Max Weber sprach von der „Leidenschaft“, die einen Politiker an seinen Beruf fesselt und sich dabei zumeist ein Gebiet besonders hervornimmt. Und der neue Kanzler bringt alle Voraussetzungen mit, seine Außenpolitik fast vollständig allein zu betreiben: Er spricht Englisch wie Deutsch, hat ein international „tadelloses Auftreten“ auf jedem Parkett, er kann charmant und humorvoll sein. Vor allen Dingen aber: Er hat seinen eigenen, soll ich sagen – sauerländischen – Macht- und Durchsetzungswillen. Voraussetzungen also, die ihn trotz vieler innenpolitischen Irrungen und Wirrungen dennoch an die lang ersehnte Spitze deutscher Politik trieben. Er weiß sogar, so gab er in internen Gesprächen zu, dass er als Hüne immer bei Fotos aufpassen muss, dass seine internationalen Kollegen neben ihm nicht zu klein aussehen.
Und auch ein wichtiger zweiter Grund führt dazu, seine eigene Außenpolitik vehement zu betreiben. Die aktuelle Weltlage ist derzeit so, dass gerade Europa eine starke Führung braucht. Von Olaf Scholz ist außenpolitisch abgesehen von seiner famosen „Zeitenwende“-Rede kurz nach Ausbruch des Ukrainekonflikts wenig übriggeblieben. Mit Macron konnte Scholz nicht, er führte Europa nicht und schuf auch keine hilfreichen Allianzen. Allein mit dem ehemaligen US-Präsidenten Biden verstand sich Scholz gut, aber der US-Amerikaner ist inzwischen auch traurige Geschichte.

Genau dieses „Machtvakuum“ will Friedrich Merz jetzt füllen; er will Europa, den überaus uneinigen Kontinent, zu einem Bollwerk vereinen. Weil Putin niemals zu trauen ist und weil bei Trump ebenso keinerlei Verlässlichkeit vorherherrscht. Aber gerade Verlässlichkeit und Vertrauen sind Grundpfeiler erfolgreicher Außenpolitik. Die ersten Begegnungen, die Merz mit den europäischen Staatslenkern und auch mit dem Ukraine-Präsidenten tätigte, führen in diese Richtung. Merz‘ außenpolitischer Gestaltungswille geht so weit, dass er sich bei seinem jetzigen Besuch im Oval Office sehr selbstbewusst gezeigt hat. Er durfte wenig reden, was bei dem „Egoshooter“ Trump nicht sonderlich auffiel. Nur: Er hat klargemacht, dass unter seiner Führung Europa aber eben besonders auch Deutschland eine tragende Rolle spielen wird. Die Beziehung zum sprunghaften und erratischen Präsidenten scheint für den Anfang gut; Merz zeigte all das diplomatische Geschick, was ihm innenpolitisch so oft fehlt.
Zum Thema Ukraine bleiben große Fragezeichen, denn noch immer ist nicht klar, wie man mit immer mehr militärische Unterstützung den mörderischen Krieg eigentlich beenden will. Wo bitte ist der Nachkriegsplan? Da herrscht ein gewaltiges Vakuum, bei beiden Politikern.

Merz hat mit dem stets freundlichen Johann Wadephul aus Husum einen zutiefst loyalen und gebildeten Außenminister geholt, der natürlich „his master‘s voice“ ist. Man fragt sich derzeit im politischen Berlin hinter vorgehaltener Hand, warum es den charmanten Gentleman aus dem hohen Norden überhaupt braucht, denn „der Friedrich macht doch ohnehin alles selbst.“ Doch Wadephul ist als Vorbereiter still, vornehm und wertvoll. So behielt er alle Würde, als er zur Vorbereitung des Besuches seines Chefs in die USA beim US-Außenminister Marco Rubio einen knapp 30-minütige Audienz erhielt. Der leise Mann lächelte diese Ungezogenheit, dieses diplomatische „No Go“, einfach weg und sagte: „Es war eine interessante, kurze Unterhaltung.“ Man stelle sich nur vor, Annalena Baerbock wäre noch im Auswärtigen Amt und hätte zugleich von wertegeleiteter Außenpolitik schwadroniert. Merz, der durchaus impulsiv sein kann, wäre mehr als erzürnt gewesen.
Merz hat also außenpolitisch in seiner Regierung keinen Widerstand zu befürchten. Die Gefahr, die allerdings immerzu schlummert, ist in ihm selbst angelegt. Häufig, allzu häufig stellt er fest, behauptet und erklärt, um alles ein wenig später doch wieder richtig zu stellen oder – schlimmer noch – richtig stellen zu lassen. Das Thema Taurus-Lieferung ist dabei nur ein, jedoch überaus wichtiges Thema. Politik ist bei ihm am Ende doch „Leidenschaft“, und er kann nicht ein nüchterner Sprachautomat sein wie ihn Scholz oder gar der Bundespräsident präsentieren.
Wer bestimmt eigentlich die deutsche Innenpolitik?Und aus seiner sehr starken, ja fast ausschließlich auf die Außenpolitik bezogenen Arbeit ergibt sich für die Union eine andere wichtige Herausforderung. Wer eigentlich bestimmt in Deutschland die Innenpolitik? Sicherlich kommen politische Beobachter jetzt auf den neuen Innenminister Alexander Dobrindt. Dieser beherrscht das Ränkespiel wie kein Zweiter; sehr geschickt führte er hinter den Kulissen die Verhandlungen zur neuen Regierung zum Erfolg. Aber er ist kein Menschenfänger, als Verkehrsminister war er bei seinen Mitarbeitern unbeliebt. Er agiere „autistisch“ und abgehoben. Demnach wird er die laute Stimme der Union nicht sein und wenn er es doch mal ist und vom „Abschieben der Migranten“ spricht, nehmen ihn die meisten ohnehin nicht ernst. Die aus Luckenwalde stammende Wirtschaftsministerin Katharina Reiche ist dem öffentlichen Auftritt zugeneigt, muss sich aber thematisch erst noch bewähren.Viel spannender ist die These, die derzeit aus der SPD zu hören ist: Der wie der Phönix aus der Asche aufgestiegene Wahlverlierer Lars Klingbeil könnte als Vizekanzler und Finanzminister sowie Herr über den aufgeblähten Haushalt den innenpolitischen Sound vorgeben. Und vielleicht noch interessanter scheint mir die Personalie Bärbel Bas. Die zieht häufig zwar mürrisch aus, hat dazu aber gar keinen Grund: Beharrlich, klug und zielstrebig hat sich die Duisburgerin durchs Leben gekämpft, eine „Malocherin“, wie man im Ruhrpott sagt, die bei den Menschen ankommt.Im zweiten Bildungsweg absolvierte sie die Berufsfachschule und lernte das Schweißen. Im Sozialwesen, bei Betriebskrankenkassen nahm sie wichtige Erfahrungen mit. Als Präsidentin des Deutschen Bundestages agierte sie von 2021 und 2025 sehr umsichtig. Die Anhängerin des MSV Duisburg gilt als gelassen, intern wird sie sogar als „regelrecht cool“ bezeichnet. Nun ist sie Ministerin in einem der wichtigsten Gestaltungsbehörden: Dem Ministerium für Arbeit und Soziales. Kein Wunder, dass die SPD Bärbel Bas beim Wahlparteitag Ende Juni in Berlin zur Vorsitzenden ihre Partei befördern will. Diese Wahl wäre nach einigen unglücklichen Entscheidungen an dieser Stelle ein Gewinn für die arg gebeutelten Genossen.Friedrich Merz muss demnach, trotz aller verständlichen Neigung zur Weltpolitik, die Innenpolitik nicht aus dem Augen verlieren. Denn es steht bei großen politischen Wahlentscheidungen fest: Gewonnen werden diese erst, wenn die Bevölkerung zu Hause direkte Besserung verspürt. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.
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Berliner-zeitung