Sprache auswählen

German

Down Icon

Land auswählen

Germany

Down Icon

In der deutschen Vergangenheitspolitik hat Diversität keinen Platz

In der deutschen Vergangenheitspolitik hat Diversität keinen Platz

Warum ein Geschichtsnarrativ, das sich nur auf Hitler und den Holocaust gründet, schädlich für eine multikulturelle Gesellschaft ist.

Friedrich Merz bei der Kranzniederlegung am 08. Mai 2025 in der Neuen WacheOdd Andersen/AFP

Oft sieht man die Dinge klarer, wenn man sie von außen betrachtet. Deshalb beginnt diese Geschichte, die eigentlich vom Holocaust, vom Dritten Reich und von der Vergangenheitsbewältigung der Bundesrepublik handelt, 12.000 Kilometer südlich von Berlin – in Windhoek. Dort steht seit einigen Jahren ein von einer nordkoreanischen Firma errichtetes Nationalmuseum voller pathetischer Darstellungen, auf denen Freiheitskämpfer die Fesseln des Bösen zerreißen und in eine glorreiche Zukunft aufbrechen.

Mein Lieblingsbild zeigt alle Gruppen vereint, symbolisiert durch ihre Archetypen. Der unbeugsame SWAPO-Freiheitskämpfer mit der Kalaschnikow steht natürlich an erster Stelle. Aber neben ihm sind da auch zwei Weiße abgebildet, Siedler oder Farmer, der eine Südafrikaner, der andere Deutscher. Sie alle arbeiten jetzt, da die Ketten des Kolonialismus gesprengt sind, für das Wohl eines geeinten Namibias, obwohl sie vor 1990, als Namibia unabhängig wurde, Kolonialherren waren. Namibias 2024 gestorbener Präsident Hage Geingob bezeichnete die deutschstämmigen Namibier im Land in einem Interview einmal als „unseren deutschen Stamm“. Was für europäische Ohren herablassend geklungen haben mag, war tatsächlich sehr inklusiv gemeint: Die Deutschen gehören genauso zu Namibia wie alle anderen. Jedes Jahr begeht das offizielle Namibia seinen Nationalfeiertag feierlich auf einem „Heldenacker“ südlich von Windhoek, auf dem in symbolischen Gräbern die Helden aller Stämme vereint sind.

Das alles hat mit dem, was wir gemeinhin die „historische Wahrheit“ nennen, nicht das Geringste zu tun. Manche der Anführer, die da auf dem Heldenacker symbolisch nebeneinanderliegen, waren sich spinnefeind, haben Kriege gegen ihre Nachbarn geführt, sich sogar mit den Deutschen und danach mit den Südafrikanern gegen andere Gruppen verbündet. Die Art und Weise, wie Namibia seine Vergangenheit aufarbeitet, ist bestens geeignet, nicht nur bundesdeutsche Geschichtsbewältiger, sondern auch postkoloniale Aktivisten auf die Palme zu bringen: Täter und Opfer werden da genauso in einen Topf geworfen wie Kolonialisten und Kolonialisierte. Und wenn etwas aufgearbeitet, verurteilt und verdammt wird, dann ist es ein abstrakter Kolonialismus, die Unterdrückung schlechthin oder ein unpersönliches Böses, das keinen konkreten Namen hat. Niemand wird beim Namen genannt, niemand wird ausgeschlossen: Jeder gehört dazu, jeder ist wichtig, jedem wird Respekt gezollt. Diese Art von Vergangenheitspolitik ist weder wahr noch unwahr. Wer will, kann sie als Propaganda abtun. In einem Land, das darauf angewiesen ist, die Gräben der Vergangenheit zuzuschütten, und das die Fähigkeiten und die Unterstützung all seiner Stämme (wie Geingob vermutlich sagen würde) benötigt, um wirtschaftlich aufzuholen, ist eine solche Politik vor allem eines: nützlich.

Berliner Zeitung
  • Zugriff auf alle B+ Inhalte
  • Statt 9,99 € für 2,00 € je Monat lesen
  • Jederzeit kündbar
Berliner-zeitung

Berliner-zeitung

Ähnliche Nachrichten

Alle News
Animated ArrowAnimated ArrowAnimated Arrow