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Kein Bock auf Kulturkampf: Warum diese Richterin die Union sprengen kann

Kein Bock auf Kulturkampf: Warum diese Richterin die Union sprengen kann

Das Problem, mit dem sich die Unionsführung in diesen Stunden beschäftigten muss, ist gewaltig. Und es liegt nicht allein darin, dass sie für Frauke Brosius-Gersdorf als Richterin am Bundesverfassungsgericht stimmen will, eine Juristin, die von der SPD nominiert wurde und für viele CDU- und CSU-Abgeordnete eine Persona non grata ist. Eine Frau, die in konservativen bis rechten Kreisen als Linksradikale gilt. Das Problem der Union ist auch, dass sie die aufgepeitschte Debatte um Brosius-Gersdorf offenbar nicht kommen sah. Dass sie nicht damit rechnete, wie politisch aufgeladen eine Richterwahl im Jahr 2025 sein kann.

Wie es aussieht, war die Union auf diesen Kulturkampf nicht vorbereitet. Dabei war er erwartbar, immerhin tobt er in anderen Demokratien bereits, in den USA beispielsweise.

Am Freitag wird der Bundestag über drei Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht abstimmen. Und selten sorgte diese Routineveranstaltung für so heftige Turbulenzen, in sozialen Medien, im Parlament. Die Union schickt Günter Spinner ins Rennen, einen Richter vom Bundesarbeitsgericht. Auf dem SPD-Ticket kandidiert neben Frauke Brosius-Gersdorf, die an der Universität Potsdam lehrt, Katrin Kaufhold von der Ludwig-Maximilians-Universität München. In der Koalition hatte man sich auf die Personalien geeinigt, nachdem die Grünen im vergangenen Jahr einen Kandidaten von CDU und CSU abgelehnt hatten. Was die Union angeht, erfuhren zahlreiche Abgeordnete nun aber offenbar erst sehr spät von den SPD-Vorschlägen.

Das rächt sich jetzt, dabei ist die Gemengelage schon kompliziert genug. Da die Kandidaten eine Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden Angeordneten benötigen, sind Union und SPD in der geheimen Wahl nicht nur auf die Grünen angewiesen, sondern auch auf Stimmen der Linken oder AfD. Eng könnte es am Ende für alle drei Kandidaten werden. Doch um keinen anderen wird im Voraus so hart gestritten wie um Frauke Brosius-Gersdorf.

Der Name dürfte den meisten Deutschen nach wie vor nicht bekannt sein. Trotz all der Aufregung. Er kursiert seit Tagen auf der Plattform X, wird in rechtskonservativen Medien kommentiert, und hat es schließlich auch in alle großen Zeitungen geschafft. Grund sind einige Äußerungen der Rechtswissenschaftlerin in Talkshows und Texten. Auch ihre Mitgliedschaft in der „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ wird ihr angekreidet. Das Gremium wurde von der Ampelregierung berufen und beschäftigte sich unter anderem mit dem Thema Abtreibung.

Frauke Brosius-Gersdorf hat sich in der Vergangenheit für einen Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen, sofern es genug Material dafür gebe. Sie plädierte für eine Impfpflicht gegen Corona und eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts. „Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt“, schrieb die Juristin im Bericht der Expertenkommission. Es ist vor allem dieser Satz, der Konservative empört.

Die Union leidet am Brosius-Gersdorf-Fieber

Spätestens seit Mittwoch, als Friedrich Merz im Bundestag die Frage bejahte, ob er ihre Wahl mit seinem Gewissen vereinbaren könne, leidet die Union am Brosius-Gersdorf-Fieber. Der Kanzler hat vielen Parteifreunden vor den Kopf gestoßen. Einige hatten sich bereits in einer Fraktionssitzung am Montag Luft verschafft, ihren Unmut über die Kandidatur bekundet. Am Donnerstagabend, kurz vor der Richterwahl, ist eine Prognose kaum möglich. Obwohl die Linke Brosius-Gersdorf wohl unterstützt, wie der Spiegel berichtete, könnte die Juristin scheitern. Dann nämlich, wenn zu viele CDU- und CSU-Abgeordnete Nein sagen, sich enthalten oder der Abstimmung fernbleiben.

In der Fraktion halten das manche für denkbar. Es wäre ein herber Rückschlag für die junge Koalition, vor allem ein Tiefschlag für die Union. Sie stünde offensichtlich ungeeint da. Schon die Abstimmung mit der AfD über den Migrationsplan im Wahlkampf hat zahlreiche Abgeordnete erschreckt. Das Sondervermögen für die Infrastruktrur, die gigantische Schuldenaufnahme, hat vielen zu Schaffen gemacht. Kürzlich erst der Ärger wegen der Stromsteuer, die nun doch nicht für jedermann gesenkt werden soll. Und nun auch noch eine linke Richterin?

Was die Gemütslage der Union betrifft, zeigt sich jedoch ein interessantes Gefälle. Auf Bundesebene werden Krisengespräche geführt, es heißt, die Fraktionführung um Jens Spahn wolle schlichten. Für Spahn wird die Abstimmung zur Bewährungsprobe: Hat der Fraktionschef die Reihen geschlossen hinter sich? Für Freitagmorgen ist eine Sondersitzung geplant, der mächtige Wirtschaftsflügel PKM will sich offenbar vorab beraten. Ein Bundestagsabgeordneter schreibt per SMS, die Stimmung in der Fraktion sei derzeit schwer einzuschätzen. „Jedenfalls massives Echo bei Mitgliedern und Stammwählern. Viele Zuschriften. Alle mit Petitum, die Richterinnen abzulehnen.“ Alarm in Berlin also.

Unterdessen berichten einige Landespolitiker ebenfalls von Zuschriften, aber zeigen sich dennoch weniger alarmiert. „Uns erreichen dazu vermehrt Anfragen von Mitgliedern und Bürgern. Begeisterung kommt bei der Personalie nicht auf“, sagt Gordon Hoffmann, CDU-Generalsekretär in Brandenburg, der Berliner Zeitung. Am Ende handle es sich allerdings um eine Verabredung in der Koalition, so Hoffmann, und Konservative hielten sich an Absprachen.

Von einem „Berliner Gerangel“ spricht hingegen Klaus Natterer, ein Kommunalpolitiker aus Baden-Württemberg, stellvertretender Vorsitzender des CDU-Kreisverbands Breisgau-Hochschwarzwald. In seiner Region, unter den Mitgliedern, sei die Richterwahl kein Thema. „Das ist schon etwas an den Haaren herbeigezogen“, sagt er. Über die Ansichten der Juristin könne man diskutieren, klar, und Brosius-Gersdorf selbst dürfe ihre Positionen gerne für sich überdenken. Aber das seien doch nicht ihre einzigen. Womit Natterer recht hat. Die Rechtswissenschaftlerin hat sich ebenso für eine Anhebung des Renteneintrittsalters ausgesprochen. Das ist alles andere als links, aber eben auch keine Zutat für den gesellschaftspolitischen Kulturkampf.

Bundeskanzler Merz: Er hat einige Parteifreunde vor den Kopf gestoßen.
Bundeskanzler Merz: Er hat einige Parteifreunde vor den Kopf gestoßen.Kay Nietfeld/dpa
CDU-Vordenker Rödder: „ein rot-rot-grünes Diktat“

Die Worte des CDU-Mitglieds Klaus Natterer zeugen von einer bundesrepublikanischen Gelassenheit, die seltener zu werden scheint. Zumindest gilt das für Auseinandersetzungen im Bundestag, der schon über viele Richterkandidaten abstimmte. Diese waren immer politisch gefärbt, der eine mehr, die andere weniger. Das liegt in der Natur der Sache, es sind Menschen, und schließlich suchen Parteien die Aspiranten bewusst aus. Letztlich sollen die Richter des Bundesverfassungsgerichts auch das politische Spektrum abbilden.

Neu ist bei alledem die Stärke der AfD. Die Union, die einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Rechtsaußenpartei hat, kann – und will momentan – nicht anders, als mit der SPD oder den Grünen zu koalieren, also mit Partnern links der Mitte. Die FDP hat sich als bürgerliche Kraft vorerst verabschiedet. Das nutzt die AfD. Sie greift die Union nicht nur in Migrationsfragen an, sondern auch in gesellschaftspolitischen – seien es Regenbogenflaggen an Rathäusern oder nun beim Thema Abtreibungen.

Die Debatte über Brosius-Gersdorf werde so heftig geführt, weil sie „die Realitäten in der politischen Mitte hell zum Vorschein“ bringe, sagt Andreas Rödder, der vielen als Vordenker einer konservativen CDU gilt. Der Historiker leitet die Denkfabrik Republik 21. „Die Union verzichtet auf ihren als zu konservativ kritisierten Kandidaten, die SPD hält an ihrer als zu links kritisierten Kandidatin eisern fest. Die selbsternannte ‚Mitte‘ in Deutschland bedeutet ein rot-rot-grünes Diktat über die Union, und die Union steht vor der Frage, ob sie sich diesem Diktat unterwirft“, sagt Rödder dieser Zeitung. Er bezeichnet diese Richterwahl als ein Symbol für die Machtverhältnisse im Land.

Die Union hat mehrere Optionen, sich von diesem „Diktat“ zu befreien. Sie hätte sich frühzeitig gegen Brosius-Gersdorf aussprechen können, doch sie hat den Kulturkampf unterschätzt, der längst die eigenen Reihen beschäftigt. Sie könnte jetzt noch auf Abstand zu der Juristin gehen, womit sie eine Regierungskrise auslösen würde – und auch keine Mehrheit mehr für ihren eigenen Kandidaten hätte. Und ja, in Zukunft könnte sie sich der AfD öffnen, Gespräche suchen, sogar den Unvereinbarkeitsbeschluss ablegen. Es gibt keinen prominenten Unionspolitiker, der das heute offen fordert. Aber alle wissen, dass die Mehrheit des Bundestags rechts der Mitte sitzt. Die Union steckt in der Klemme.

Dass auch die Kirche sie an ihre Werte erinnert, macht es nicht leichter. Schon im Wahlkampf appellierten einige Kirchenvertreter an CDU und CSU, den Abstand zur AfD zu wahren. Allerdings gehörte der „Kampf gegen rechts“ nie zur DNA der Union. Dass sich nun zwei katholische Bischöfe aus Bayern in die Diskussion über die Richterwahl eingeklinkt haben, muss die sie jedoch beschäftigen. CDU und CSU tragen immer noch das C in ihren Namen.

Wer der Ansicht sei, „dass der Embryo oder der Fötus im Mutterleib noch keine Würde und nur ein geringeres Lebensrecht habe als der Mensch nach der Geburt“, vollziehe einen radikalen Angriff auf die Verfassung, schreiben die Bischöfe. Jede Relativierung von Artikel 1 des Grundgesetzes müsse ein „Ausschlusskriterium“ für die Wahl zum Verfassungsrichter sein.

Nach diesem Freitag werden sich die Spitzen von CDU und CSU mit der Frage beschäftigen müssen, warum sie all das nicht kommen sahen. Andreas Rödder hat bereits eine Antwort darauf gefunden. „Die Union neigt in ihrem traditionellen Pragmatismus dazu, Entscheidungen unter machtpolitisch-taktischen Gesichtspunkten zu treffen und ihre strategische politisch-kulturelle Bedeutung zu unterschätzen“, meint er. Dabei gehe es „um Weichenstellungen im Normengefüge der bundesdeutschen Demokratie“. Die Union säge aus Pragmatismus an dem Ast, auf dem sie sitze, sagt Rödder.

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