So reagiert Berlins Arbeitssenatorin auf den Bürgergeld-Betrug: Viele Empfänger sind selbst Opfer

Die Debatte um Sozialleistungsbetrug im Zusammenhang mit dem Bürgergeld ebbt nicht ab. Nach Alarmmeldungen aus Städten wie Duisburg und Gelsenkirchen rückt immer mehr auch Berlin in den Fokus. Dort schlägt die zuständige Senatorin für Arbeit, Soziales und Integration, Cansel Kiziltepe (SPD), jetzt einen doppelten Kurs ein: Aufklärung ja – aber ohne pauschale Verurteilungen.
„Wir nehmen die Hinweise auf kriminelle Strukturen beim Bürgergeldbezug sehr ernst“, sagte Kiziltepe auf Anfrage der Berliner Zeitung. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte zuvor von „mafiösen Strukturen“ gesprochen. Kiziltepe stellt dabei vor allem einen Zusammenhang zwischen Sozialleistungsbetrug und Arbeitsausbeutung her. „Diesen Zusammenhang untersuchen wir auch für das Land Berlin“, so die Senatorin. „Noch liegen meiner Verwaltung keine abschließenden Erkenntnisse vor. Und diese werden wir genau prüfen.“ Es gehe auch um die Frage, welche Kontrollen in den vergangenen Jahren dazu durchgeführt wurden.
Der Sprecher der Berliner Jobcenter, Jens Krüger, hatte der Berliner Zeitung am Mittwoch auf Anfrage bestätigt: „Ja, die Probleme sind auch uns bekannt.“ Immer häufiger stießen die Behörden auf Netzwerke, die gezielt Menschen aus EU-Staaten in Abhängigkeitsverhältnisse drängen – und zugleich das Sozialsystem ausnutzen. Die Rede ist von Scheinvermietungen, fingierten Arbeitsverhältnissen und gefälschten Sozialversicherungsanmeldungen. Das System sei hochprofessionell und schwer zu durchdringen. Die Drahtzieher seien kaum zu greifen – die Antragsteller seien meist selbst gefangen in diesen Strukturen, so Krüger.
Besonders perfide: Die vermeintlichen Arbeitgeber fungieren oft zugleich als Vermieter, Dolmetscher und Kontaktperson. Ein „Komplettpaket“, das nach außen hin legale Verhältnisse simuliert – und doch auf Täuschung basiert. Krüger räumte ein, dass diese Muster bekannt seien, die Strukturen aber ohne massive Anstrengungen schwer zu durchschauen seien.
SPD-Politikerin Kiziltepe: „Ich verurteile die Pauschalisierungen“Die Sozialsenatorin Kiziltepe verweist nun auf einen zentralen Punkt: Viele der Menschen, die Bürgergeld beantragen, seien meist selbst Opfer – nicht Täter. Man dürfe nicht zulassen, dass ganze Gruppen unter Generalverdacht geraten. „Ich verurteile die Pauschalisierungen von Menschen aus Süd- und Osteuropa aufs Schärfste“, betont die SPD-Politikerin. Ziel sei es, einerseits Betrugsstrukturen aufzudecken und andererseits Betroffene zu schützen. Ihr gehe es vor allem darum, so die Senatorin, Arbeitsausbeutung zu beenden. Die Menschen bräuchten faire Löhne, reguläre Jobs und Schutz – keine Stigmatisierung.
Laut Bundesarbeitsministerium wurden im Jahr 2024 bundesweit 123.379 Verdachtsfälle auf Leistungsbetrug geprüft. In über 100.000 Fällen bestätigte sich der Anfangsverdacht – mehr als 44.000 Vorgänge wurden an Staatsanwaltschaften übergeben. Doch wie viele dieser Fälle tatsächlich auf Organisierte Kriminalität zurückzuführen sind, ist unklar. Eine gesonderte statistische Erfassung für „mafiöse Strukturen“ gibt es nicht.
Betrugsmasche beim Bürgergeld: Datenaustausch oft lückenhaft„Die Jobcenter gehen jedem Hinweis nach“, heißt es aus dem Ministerium. Doch die strukturellen Schwächen bleiben: Der Datenaustausch zwischen Jobcentern, Finanzämtern, Sozial- und Sicherheitsbehörden ist nach wie vor oft lückenhaft. Immerhin sieht der neue Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung einen „vollständigen und automatisierten Datenaustausch“ vor.
Kiziltepe warnt dennoch gegenüber der Berliner Zeitung davor, die Debatte auf Betrug zu verengen. Insbesondere viele Menschen aus Rumänien und Bulgarien arbeiteten unter schwierigen Bedingungen in Deutschland – in Pflege, Bau oder Gastronomie. „Diese Menschen leisten einen unverzichtbaren Beitrag. Gerade in Branchen, in denen Arbeitskräfte fehlen“, so die Senatorin. Laut Bundesarbeitsministerium waren im Februar 2025 in Deutschland rund 685.000 rumänische und bulgarische Staatsangehörige sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Berliner-zeitung