Alarmstufe Rot bei Lewis Hamilton – der Rekordweltmeister fremdelt immer noch mit Ferrari


Lapeyre Antoine / Abaca / Imago
Es gibt wenige Rennstrecken, die die Piloten derart fordern wie jene von Spa-Francorchamps, auf der die Formel 1 am letzten Wochenende gastierte. Der längste Circuit der Königsklasse gilt als jener, auf dem sich die Männer von den Buben scheiden. Die Statistik unterstreicht das: Rekordsieger ist Michael Schumacher mit sieben Siegen, dahinter folgen gleichauf Ayrton Senna und Lewis Hamilton mit fünf. Die Champions League der Rennfahrer.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Doch dann begann das letzte Wochenende für Hamilton, in das er mit so viel Zuversicht gegangen war, mit einem Dreher in der Sprint-Qualifikation, der Rekordweltmeister sah wie ein Anfänger aus. Dabei wollte er endlich aus seiner Sinnkrise herausfinden. Als er später vor die TV-Kameras musste, denen er sonst immer so nonchalant begegnet, zog er die Kappe tief ins Gesicht und hielt den Blick gesenkt. Er referierte über ein Bremsproblem, verursacht durch die neue Hinterachse an seinem Ferrari.
Das ist die technische Erklärung, gewiss. Aber der Frust und die Ursachen reichen weit tiefer: Er ist nicht nur von der Scuderia enttäuscht, sondern auch von sich. «Hoffentlich», sagte er in Spa, werde er künftig besser damit klarkommen. Die nächste Chance dafür bietet sich am Sonntag in Ungarn.
Zumindest das Rennergebnis von Spa gilt als Beleg für den längst fälligen Aufwärtstrend: Vom 18. Startplatz aus wurde der Brite Siebenter, was angesichts der schwierigen Bedingungen und eines Autos, mit dem er immer noch fremdelt, eine eindrucksvolle Leistung ist. Er hat auf der feuchten Piste bewiesen, dass seine Rennfahrerinstinkte noch intakt sind.
Das Auto ist auf seinen Teamkollegen Leclerc zugeschnittenHamilton war schon immer einer jener Piloten, die ihre Seele nach aussen geöffnet haben. Wenn er jetzt stärker in sich gekehrt ist, dann heisst das, dass die Situation am neuen Arbeitsplatz schwer an ihm nagt. Kein Wunder, war doch der Wechsel zu Ferrari nach mehr als einem Jahrzehnt bei Mercedes einer der spektakulärsten im Grand-Prix-Sport.
Last time in Hungary...
Turning back the clock with a controversial collision between old rivals Verstappen & Hamilton 💥#F1 #HungarianGP pic.twitter.com/lb44KOwwU4
— Formula 1 (@F1) July 29, 2025
Einmal noch will es der 40-Jährige wissen und Anlauf zu seinem achten WM-Titel nehmen. Weshalb ihn auch das Schicksal seiner grossen Vorgänger in Rot umtreibt: «Ferrari hatte grossartige Champions wie Fernando Alonso und Sebastian Vettel. Aber keiner von ihnen wurde mit dem Team Weltmeister. Das soll mir nicht auch passieren.» Alarmstufe Rot.
Die stolze Scuderia und der nicht minder von sich überzeugte Hamilton nähern sich an, aber richtig angekommen im Team ist er noch nicht. Er taste sich erst langsam an diesen Ferrari heran, die nächsten Neuentwicklungen gäben ihm Hoffnung. Nach dreizehn Rennen stand er noch nie auf dem Podium. Im Vergleich mit dem Teamkollegen Charles Leclerc, der in Spa Dritter geworden ist, führt der Monegasse mit 139:109 Punkten und 9:4 in den Qualifikationsduellen.
Spending the red flag with good company 👌 🌧️ pic.twitter.com/EGYKYm9gXw
— Scuderia Ferrari HP (@ScuderiaFerrari) July 27, 2025
Alles ist anders bei Ferrari. Das kann Hamilton nicht erstaunen, das hatte er sich sogar gewünscht nach all der Zeit im Silberpfeil. Nur nicht, dass die Umstellung so schwierig sein würde. Dabei ist für ihn klar, dass dieser SF-24 nicht «sein» Auto ist, sondern auf Leclerc zugeschnitten, der schon seit sieben Jahren im Team ist. Ein technischer und mentaler Nachteil für Hamilton, den er erst einmal wettmachen muss.
Das sorgt bei aller öffentlich gezeigten Demut für einen schwelenden Konflikt. Und man erinnert sich, dass es sowohl bei McLaren wie bei Mercedes nach fortgesetzter Unzufriedenheit emotionale Explosionen von Hamilton gab. In Italien horchten sie auf, als er kürzlich mehr Einsatz von allen forderte: «Ferrari feuert nicht auf allen Zylindern.»
Eine Andeutung davon liefern die Dialoge über Boxenfunk mit seinem Renningenieur Riccardo Adami, der regelmässig Hamilton abbügelt, wenn dieser mehr Risiko eingehen will. Jeder Zuhörer spürt sofort, dass es zwischen den beiden knistert, ein vertrauensvolles Verhältnis hört sich anders an.
Mittlerweile wurde der Performance-Ingenieur in der Hamilton-Garage mitten in der Saison ausgetauscht. Das ist unüblich, und es vereinfacht die Akklimatisierung nicht gerade. Der neue Techniker an Hamiltons Seite ist ein alter Mercedes-Mann. Der Ferrari-Teamchef Fred Vasseur verspricht sich davon wohl mehr Sicherheit für seinen routinierten Fahrer.
Fast scheint Hamilton die laufende Saison schon abgeschrieben zu haben. Konzentriert er sich bereits auf den Neustart mit der komplett anderen Autogeneration ab 2026? Er sagt: «Ich muss sicherstellen, dass mir das nächstes Jahr nicht wieder passiert. Der Ferrari für 2026 muss auch meine DNA tragen.» Dafür ist er bereits weit gegangen: Er hat seine Kritikpunkte und Überlegungen in zwei Strategiepapiere gepackt, die er persönlich den Firmenchefs John Elkann und Benedetto Vigna überreichte. Eine diffizile Angelegenheit im stets emotional aufgeladenen Umfeld von Ferrari.
Für Hamilton schien die schriftliche Willensäusserung jedoch unabdingbar: «Wer immer alles gleich macht, der bekommt immer die gleichen Resultate. Deshalb stelle ich einige Dinge infrage. Ich bin schliesslich hierhergekommen, um zu siegen.» Es ist die Vertrauensfrage, die sich gegenseitig stellt. Hamilton darf nicht den Glauben an sich verlieren, sonst wird das Team schnell den Glauben an ihn verlieren.
nzz.ch