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Die «Zwei Schritte mehr»-Mentalität von Pia Sundhage zeitigt Wirkung im Nationalteam

Die «Zwei Schritte mehr»-Mentalität von Pia Sundhage zeitigt Wirkung im Nationalteam
Nadine Riesen (rechts) beim Sprinttraining. Für Mélanie Pauli ist sie ein Vorbild, was Kraft und Ausdauer angeht: «Sie hat unglaubliche Voraussetzungen.»

Gian Ehrenzeller / Keystone

Grosse, starke Spielerinnen, die keinen Kontakt scheuen, 20 Fouls begehen – die isländischen Fussballerinnen waren am Sonntag ein harter Brocken für die Schweizerinnen. Ein Kampf war es im zweiten Vorrundenspiel und manchmal ein Krampf. Und doch hielten die Schweizerinnen dagegen, spielten in der letzten Viertelstunde gar mit einer gewissen Leichtigkeit, suchten hartnäckig das Tor, gewannen Duelle und siegten schliesslich.

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Der Match war eine Art Beweis dafür, dass sich das Schweizer Frauen-Nationalteam physisch verbessert hat. Oft war die Fitness des Teams kritisiert worden in den vergangenen Jahren, etwa von der letzten Trainerin Inka Grings. Sie war eines der grössten Defizite der Schweizerinnen im Vergleich zum internationalen Frauenfussball, der sich rasant entwickelt. Wo Betreuung und Trainingsmöglichkeiten immer professioneller werden. Der Schweizerische Fussballverband (SFV) reagierte, das sogenannte «High-Performance-Team» wurde auch im Hinblick auf die Heim-EM ausgebaut.

Eine Haupttätigkeit der Athletiktrainerin Mélanie Pauli besteht in der Sensibilisierung. Leistung ist immer ein Mosaik aus vielen Bausteinen, und nur wer über das entsprechende Wissen verfügt, kann etwas verbessern. So analysierte der Verband die Daten der EM 2022 und der WM 2023. Dazu gehören Werte wie die absolvierte Distanz, also wie viele Kilometer eine Spielerin in einer Partie zurückgelegt hat, die High-Speed-Distanz (über 19 km/h) sowie die Sprintdistanz (über 23 km/h), das maximale Tempo, die Zahl der Beschleunigungen und der Abbremsungen. Je nach Position der Spielerin kommen weitere Analysen hinzu.

Mélanie Pauli
Mélanie Pauli

Ausgehend von den Auswertungen dieser Daten zeigten Pauli und ihr Team den Spielerinnen auf, wo sie Optimierungspotenzial haben. Damit sie künftig jede Minute auf dem Platz besser nutzen, die Ballzirkulation steigern können. Ein Bereich, den sie gezielt verbessern wollten, war das High-Speed-Running – diese kurze, intensive Schnelligkeit ist während des Spiels sowohl in der Offensive als auch in der Defensive essenziell. Gemäss Studien machen diese hochintensiven Phasen zwar nur 10 Prozent einer Fussballpartie aus. Doch erstens wird der Anteil solcher Phasen im Profifussball immer höher, und zweitens ereignen sich in diesen Phasen häufig die entscheidenden Aktionen. Die Schweizerinnen hinkten hinterher.

Der Austausch mit den Klubs wurde intensiviert

Nur: Der Trainer-Staff des Nationalteams kann die Fitness in den kurzen Zusammenzügen nur bedingt beeinflussen. Die Entwicklung der Spielerinnen liegt in der Verantwortung der Vereine und der Sportlerinnen selbst. Pauli intensivierte also den Austausch mit den Klubs, zeigte ihnen auf, was dem SFV wichtig ist. Und sie erklärte den Spielerinnen, weshalb eine hohe Trainingsintensität und die dabei ausgelösten neuromuskulären Anpassungen wichtig sind – als Schutz für den eigenen Körper: Der kann so besser regenerieren, schneller rennen, explosiver reagieren.

In der EM-Vorbereitung äusserten einige Spielerinnen, dass die Trainingsintensität sehr hoch gewesen sei. Diese hatte zum Ziel, eine physiologische Anpassung zu bewirken, so dass das Team am Turnier über mehrere Spiele hinweg Bestleistungen abrufen kann.

«Das Training unter Sundhage ist nicht härter als vorher», sagt Pauli in einer Medienrunde während der EM. «Es ist mehr eine Mentalitätsfrage. Pia will, dass die Spielerinnen aus der Komfortzone herauskommen.» Two steps more: zwei Schritte mehr – diese Worte bemüht die Nationaltrainerin immer wieder. Mit diesem simplen Credo meint sie nicht nur die Performance im Training oder die Extra-Einheit im jeweiligen Klub. Sondern auch, dass sich die Spielerinnen kritisch hinterfragen, ob sie alles für die bestmögliche Leistung getan haben.

Dieses Mindset zu verinnerlichen, passiert nicht auf Knopfdruck, sondern ist ein Prozess. Nach anderthalb Jahren unter Sundhage und kurz vor einem möglichen erstmaligen Viertelfinal-Einzug sind sie und Pauli sich einig: Die Spielerinnen haben diese Mentalität angenommen und umgesetzt. Sie vertrauen dem Staff, dass er das Richtige tut. Dieser wiederum schenkt den Spielerinnen Vertrauen.

Von Magnetresonanztherapie bis zu Kryotherapie

Viel investiert hat der SFV in die Regeneration – und entsprechende Massnahmen dazu. Lia Wälti erklärte nach dem Spiel gegen Island, wie sie sich mit ihrem geschundenen Knie innerhalb von vier Tagen erholen könne: «Da gibt es Dinge, die wir noch nie gesehen haben.» Pauli zählt auf: Kryotherapie, Lichttherapie, Magnetresonanz, Physiotherapie oder Osteopathie. Die Wärme der Lichttherapie etwa dringt tief in die Zellen ein und beschleunigt den Heilungsprozess. Die Magnetresonanztherapie regt unter anderem die Durchblutung an und unterstützt damit den Prozess, Abfallprodukte schneller abzutransportieren.

Hinzu kommt, dass die Nationalspielerinnen seit 2020 per App ihren Menstruationszyklus tracken. «Der Zyklus ist wie ein kostenloses Hightech-Kontrollwerkzeug», sagt Pauli. Beim zyklusorientierten Training geht es nicht darum, dass jede Spielerin ein anderes Trainingsprogramm hat. «Eine Spielerin kann in jeder Phase Leistung erbringen.» Was die Leistung hingegen beeinflusst, sind die individuellen Beschwerden in den verschiedenen Phasen.

Deshalb ist es wichtig, dass jede Spielerin sich so lange ihre Beobachtungen notiert, bis sie sich und ihre Symptome gut kennt. Daraufhin lässt sich die individuelle Strategie in vier verschiedenen Bereichen erstellen: Ernährung, Regeneration, mentale Verfassung, Aktivierung. Manchmal hilft es schon nur, eine Stunde mehr zu schlafen oder mehr zu trinken.

Zu Beginn des Zusammenzugs wird denn auch analysiert: Kam die Spielerin jüngst auf viele Einsatzminuten? Welche Intensität herrschte im Ligabetrieb? In welcher Zyklusphase befindet sie sich? Wo muss man etwas kompensieren? Je mehr Informationen vorhanden sind, desto besser können der Staff und die Spielerinnen das Potenzial ausschöpfen. Nach vier gemeinsamen Wochen ist das Mosaik beim Schweizer Nationalteam schon ziemlich komplett.

nzz.ch

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