Durch Widrigkeiten vereint: Deutschlands Coach und sein Team raufen sich zusammen


Wie kann sich ein Trainer Respekt verschaffen? Die einfachste Antwort lautet: durch Erfolge. Aber der Weg dorthin? Hervorragende Kommunikation – das ist ein Faktor, der immer wieder genannt wird, denn ohne kommunikative Begabung läuft so gut wie gar nichts. Als Louis van Gaal seinen Dienst beim FC Bayern antrat, sagte er einen bemerkenswerten Satz: «Ich bin ein Kommunikator. Die Spieler werden das merken.»
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Van Gaal versprach nicht zu viel, wobei nicht jedem Spieler gefallen haben dürfte, was der Trainer ihm kommunizierte. Denn genau darum geht es: auch unangenehme Dinge mitzuteilen, aber in einer Art, die an der Methode keine Kritik übrig lässt.
Wück tadelte die Torhüterin BergerGeht es um diesen Massstab, so ist das eine Schwäche, die Christian Wück, dem Trainer des deutschen Frauen-Nationalteams, an der EM nachgesagt wird. Geht es bloss um das Resultat, so hat Wück das Soll bereits erfüllt: die Halbfinalteilnahme am Mittwochabend gegen die Spanierinnen (21 Uhr). Nach einem geradezu heroischen Match gegen Frankreich, den die deutschen Fussballerinnen im Elfmeterschiessen für sich entschieden, blieb kein Raum für irgendeinen Tadel. Und doch war der Weg dorthin ein wenig beschwerlicher, als er nach der Meinung der Kritiker hätte sein müssen.
Zwar ist der Trainer ein rhetorisch begabter Mann. Doch wenn es um den Umgang mit Spielerinnen in der Öffentlichkeit geht, besteht noch Verbesserungspotenzial. Etwa, als es um Ann-Katrin Berger ging, die deutsche Torhüterin, die mit einer unglaublichen Parade in der Nachspielzeit, einem selbst verwandelten sowie zwei gehaltenen Penaltys im Elfmeterschiessen das deutsche Team erst in den Halbfinal brachte.
Noch während der Gruppenphase hatte Wück erklärt, dass er mit ihrer riskanten Spielweise nicht gut zurechtkommen könne. Berger liebt es, mit dem Ball am Fuss im eigenen Strafraum auch einmal ein Risiko zu wagen. Der Trainer mahnte Redebedarf an, sagte, sie müssten sich zusammensetzen. Und wurde für diese Ankündigung von einer Kollegin Bergers prompt kritisiert: Almuth Schult, früher selbst eine Weltklasse-Torhüterin und mittlerweile eine anerkannte TV-Expertin, rügte den Trainer für seine öffentliche Kritik.
Für diejenigen, die kritisch auf den Bundestrainer blicken, war es ein Beleg mehr dafür, dass die Mannschaft eher dabei ist, sich zusammenzuraufen, als dass sie bereits zueinandergefunden hätte. Denn Irritationen hatte es auch vor dem Turnier schon gegeben. Bereits bei der Nominierung für die Nations League Ende Mai knarzte es, als Wück auf Felicitas Rauch und Nicole Anyomi verzichtete, die beide die Art des Trainers kritisiert hatten. «Mich nicht einzuladen, ist das eine. Mich nicht zu informieren und mir nicht einmal einen Grund zu nennen, verstehe ich einfach nicht», schrieb Rauch auf Instagram. Anyomi, die beste Skorerin der vergangenen Bundesligasaison, hatte zuvor schon beklagt, dass lange «kein konkreter und direkter Austausch» mit dem Coach stattgefunden habe.
Die formale Frage wog ebenso schwer wie die sportliche; das Team solidarisierte sich mit seinen beiden Kolleginnen. Es folgte eine Aussprache, nach der Laura Freigang sagte: «Der Christian ist neu zur Mannschaft dazugekommen, er muss wahrscheinlich auch seinen Weg finden. Und wir müssen ihn auch in gewisser Weise verstehen können.»
Das Team zeigte sich solidarischDass es diese gegeben hat, mag auf den ersten Blick kurios erscheinen. Im Nationalteam der Männer dürfte sich kaum ein Trainer dazu gedrängt gefühlt haben, vor versammelter Mannschaft eine ausgebliebene Nominierung zu rechtfertigen. Im Zweifel sorgt schon die Hierarchie für Klarstellung.
Dass es in diesem Fall allerdings anders war, verdeutlicht auch, dass die Solidarität untereinander offenbar eine ganz andere ist als bei den Männern. Oder auch, dass sich das Team tatsächlich als ein solches begreift. Insofern können solche Ereignisse durchaus dazu beitragen, dass Trainer und Spielerinnen zueinanderfinden. Und gerade deshalb ist der grossartige Auftritt der Deutschen im Viertelfinal gegen Frankreich auch für den Trainer so wichtig.
Zwar war Wück kein Coach, gegen den es von Beginn an Vorbehalte gab. Und doch wäre es vermessen, zu behaupten, dass es keine Skeptiker gegeben habe. Wück folgte auf Horst Hrubesch, der das Team in nur wenigen Monaten nach dem Aus in der WM-Vorrunde in Australien und Neuseeland übernommen hatte. Jenes Turnier, in das die DFB-Auswahl als Favorit gegangen war, markierte einen Tiefpunkt in der Geschichte des deutschen Frauenfussballs: Nie schnitt eine deutsche Frauenauswahl schlechter ab.
Dass es Hrubesch, einem Mann für schwierige Missionen, gelungen war, mit einer Bronzemedaille an den Olympischen Spielen 2024 für die prompte Rehabilitation zu sorgen, vereinfachte die Startbedingungen für den Franken Wück keineswegs. Doch spätestens der nach der durchwachsenen Vorrunde nicht unbedingt zu erwartende Halbfinaleinzug gegen die Französinnen rehabilitierte den Trainer, der es innerhalb weniger Tage fertigbrachte, seinem Team jene Stabilität zu verleihen, an der es zuvor gemangelt hatte.
Mehrere Ausfälle gegen SpanienEs ist indes nicht ausgeschlossen, dass es sich bei Wück und den Spielerinnen um so etwas wie eine Notgemeinschaft handelt. Manchmal sind es die Widrigkeiten, die eine Auswahl zusammenbringen, und davon gab es im Verlauf der EM für die Deutschen reichlich: der verletzungsbedingte Ausfall von Giulia Gwinn im ersten Match, die rote Karte für Carlotta Wamser, die diese gut vertrat, im Match gegen Schweden.
Der Platzverweis gegen Kathrin Hendrich gegen die Französinnen – und dazu noch die Gelbsperre gegen Sjoeke Nüsken, die gegen Frankreich zu den herausragenden Akteurinnen zählte. Der Halbfinal gegen Spanien ist also wieder ein Spiel mit klar verteilten Rollen. Dass die Deutschen aber überraschen können, ist mittlerweile keine Sensation mehr.
nzz.ch