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Tour de France Femmes: Gleichberechtigt?

Tour de France Femmes: Gleichberechtigt?

Demi Vollering kann mit Enttäuschungen umgehen. Kurz nachdem sie im Vorjahr die Tour de France Femmes im wohl dramatischsten Finale der insgesamt 122-jährigen Tour-Geschichte um gerade einmal vier Sekunden verloren hatte, stellte sie sich den Reporterfragen. "Es war sehr schmerzhaft, als ich realisiert habe, dass es nicht gereicht hat", sagte Vollering damals und brach kurz darauf in Tränen aus, nur um sich Sekunden später wieder zu fangen und fortzufahren, dass sie bei ihrem Kampf um das Gelbe Trikot gedanklich bei einer Krebs-Hilfe-Initiative war und deswegen "niemals aufgeben werde".

Noch nie wurde die Frankreich-Rundfahrt bei Männern oder Frauen mit einem so knappen Abstand entschieden wie im Vorjahr zwischen der Polin Kasia Niewiadoma-Phinney und der Niederländerin Vollering, doch Letztere blickt längst nach vorn. Nach ihrem Sieg bei der Vuelta, der Spanien-Rundfahrt, im Mai, den sie allen Menschen, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, widmete, schaut sie bereits auf die am Samstag beginnende Tour, die sie nach ihrem Triumph 2023 unbedingt erneut gewinnen will. Der zweite Toursieg sei ihr "wichtigstes Vorhaben in dieser Saison".

Aber es gibt da noch eine andere Sache, die sie umtreibt: Ungleichheit. Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen verdienen Profi-Radsportlerinnen deutlich weniger, und das ärgert die Niederländerin vom Team FDJ -SUEZ. Beim Frühjahrsklassiker Mailand-Sanremo kritisierte Vollering, dass das Preisgeld "nur elf Prozent von dem der Männer" betrage: "Das ist ein gewaltiger Unterschied, und das ist sehr enttäuschend. Es gibt noch viel zu tun."

Der Tour-Sieger erhält zehnmal so viel wie die Tour-Siegerin

Diesen Unterschied gibt es auch bei der Tour de France: Der Sieger erhält 500.000 Euro Preisgeld, die Siegerin nur 50.000 Euro. Darauf angesprochen reagiert die Direktorin der Tour de France abwehrend. "Die Frage nach den Siegprämien begleitet mich seit der ersten Auflage der Tour de France Femmes, und das nervt mich ehrlich gesagt etwas", sagt Marion Rousse im DW-Interview.

Marion Rousse lächelt bei der Pressekonferenz zur Tour de France Femmes
Direktorin Marion Rousse kämpft für mehr Gleichberechtigung und ihr "Baby", die Tour de France FemmesBild: Loic Venance/AFP

"Es ist schwierig, ein Rennen mit 21 Renntagen und eines mit neun Tagen zu vergleichen", argumentiert Rousse und verweist auf die Mehreinnahmen bei Sponsoring und TV-Geldern durch längere Etappenrennen. "Wenn man die Tour de France Femmes mit Männerrennen vergleicht, die ähnlich lang sind, sieht es anders aus: Im Vergleich zu Paris-Nizza oder dem Critérium du Dauphiné ist die Prämie bei der Tour der Frauen höher als bei den Männern." Tatsächlich ist das Preisgeld bei diesen ähnlich langen Männerrennen geringer: Bei Paris-Nizza und beim Critérium du Dauphiné erhält der Sieger je 16.000 Euro.

Topverdiener: Pogacar soll 8,2 Millionen Euro verdienen, Vollering rund 900.000

Ungleichheit herrscht vor allem bei den Gehältern. Radsportler können deutlich mehr verdienen als Radsportlerinnen. Nach Informationen der Webseite Cyclingnews klafft allein bei den Topverdienern eine ordentliche Lücke zwischen Frauen und Männern.

Die Top 3 der bestverdienenden Männer im Radsport sind demnach:

  1. Tadej Pogacar: 8,2 Millionen Euro
  2. Remco Evenepoel: 5 Millionen Euro
  3. Mathieu van der Poel: 5 Millionen Euro

Die Top 3 der bestverdienenden weiblichen Radprofis sind:

  1. Demi Vollering: gut 900.000 Euro
  2. Lotte Kopecky: 900.000 Euro
  3. Elisa Longo-Borghini: gut 800.000

Die Gehälter der besten Fahrerinnen sind aber offenbar zuletzt deutlich gestiegen. Dass sich bei der Aufwertung des Frauenrennens etwas tut, zeigt auch der Blick auf die Anzahl der Etappen: Die Tour de France Femmes ist länger geworden und umfasst nun erstmals neun statt acht Tage - aber damit immer noch weniger als die Hälfte der 21 Etappen der Männer-Tour. Ein erster Schritt, aber nicht genug, kritisieren manche: Denn längst wünschen sich viele Fahrerinnen eine noch längere, zweiwöchige Tour de France Femmes und generell auch längere Renndistanzen, ähnlich wie bei den Männern.

Marion Rousse sieht in der Verlängerung um einen Tag dennoch "eine starke Botschaft an den Frauenradsport", so die Chefin der Tour de France Femmes. "Unser Rennen ist immer noch sehr jung, es ist erst die vierte Auflage. Aber man sieht bereits die Entwicklung, die Tour wird schwerer."

Das sieht auch Ricarda Bauernfeind so. "Es hat sich viel getan. Wir haben jetzt neun Etappen, sie werden immer länger und anspruchsvoller. Und wir fahren auf namhafte Berge, wir fahren durch fast ganz Frankreich. Ich glaube, wir nähern uns weiter den Männern an. Diese Entwicklung ist sehr, sehr positiv", sagt die 25-jährige Deutsche aus dem Team Canyon-Sram zondacrypto im DW-Gespräch. Die Bergspezialistin, die als wichtige Helferin für Titelverteidigerin Niewiadoma-Phinney ins Rennen geht, erlebte bei der Tour ihren Durchbruch, als sie 2023 eine Etappe gewann. "Das war mein größter Erfolg. Damit verbinde ich einfach so viele Emotionen, denn es ist das größte Rennen im Frauen-Radsport."

Ricarda Bauernfeind: "Die Lücke ist einfach noch zu groß"

Diese Vorreiterrolle sollte die Tour allerdings auch beim Preisgeld einnehmen, fordert Ricarda Bauernfeind. "Klar, die Männer fahren länger, leisten dadurch mehr. Aber die Tour de France hat eine Vorbildfunktion für alle anderen Rennen. Und nur zehn Prozent des Preisgeldes im Vergleich zu den Männern - die Lücke ist einfach noch zu groß." Andere Rennen wie zum Beispiel die Flandernrundfahrt seien da schon weiter, weil die Veranstalter dort die Preisgelder zwischen Frauen und Männern angeglichen haben.

Ricarda Bauernfeind erhält nach der fünften Etappe der Tour de France Femmes 2023 die Auszeichnung als aktivste Fahrerin - und einen Blumenstrauß
2023 feierte Ricarda Bauernfeind einen Etappensieg, der ihr 4000 Euro Preisgeld einbrachte - bei den Männern gibt es 11.000 Euro für den Tagessieg Bild: Arne Mill/frontalvision/picture alliance

Ein wichtiger finanzieller Faktor ist dabei seit jeher die Medienpräsenz. TV- und Streaming-Minuten schaffen ein Werbeumfeld. Höhere Einschaltquoten und Social-Media-Reichweiten bringen Einnahmen und machen das Event für weitere Sponsoren interessant. Die Tour de France von Frauen und Männern wird zwar jeweils in 190 Ländern ausgestrahlt, aber bei näherem Hinsehen ergeben sich große Unterschiede: Das französische Fernsehen zeigt rund 20 Stunden der Tour de France Femmes live im Fernsehen, aber gut 100 Stunden vom Männerrennen.

Das liegt nicht nur am längeren Rennen, sondern auch an der Tatsache, dass die Tour de France in voller Länge übertragen wird, während die Übertragung der Tour de France Femmes erst im Verlauf des Rennens beginnt. Das hat aus der Sicht von Ricarda Bauernfeind ganz konkrete Auswirkungen: "Die kleineren Teams bekommen keine Fernsehzeit, weil teilweise nur die letzte Stunde oder anderthalb gezeigt werden. Bei einer Übertragung von Beginn an können sich auch kleinere Teams zeigen und ihre Sponsoren präsentieren. Das würde enorm viel bringen fürs Team und eben auch für die Bezahlung der Fahrerinnen."

Rousse: "Hinter den LKWs umgezogen"

Immerhin: Bei den Einschaltquoten holt die Tour de France Femmes auf. Während die Tour de France der Männer auf Spitzenwerte von 6,3 Millionen Zuschauern im Gastgeberland kommt, erreichte das Frauenrennen beim dramatischen Finale 2024 hinauf nach Alpe d'Huez immerhin 3,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Und auch das Interesse der gastgebenden Städte und Gemeinden entlang der Strecke nimmt deutlich zu, berichtet Marion Rousse: "Inzwischen erhalten wir in 90 Prozent der Fälle Bewerbungen von Städten, die sich im selben Brief auf beide Rennen bewerben: die Tour der Männer und die der Frauen. Das ist ein Wandel, der stattfindet, wir sind wirklich auf dem richtigen Weg."

Peloton auf der Strecke von Albi nach Blagnac während der Tour de France Femmes 2023
Ein langer Weg für das Frauen-Peloton: Auch die Zuschauerzahlen steigen, sind aber noch nicht vergleichbar mit dem MännerrennenBild: Arne Mill/frontalvision/picture alliance

Ein weiterer wichtiger Schritt für die Entwicklung des Frauenradsports war die Einführung des Mindestlohns: Radsportlerinnen in der obersten Liga (World Tour) müssen mindestens 38.000 Euro im Jahr erhalten, Neu-Profis knapp 32.000 Euro. Hier ist der Abstand zu den Männern geringer, der Mindestlohn dort beträgt 42.000 Euro und 34.000 Euro bei den Neu-Profis. Für Marion Rousse alles auch eine Frage der Relation.

Als sie vor gut zehn Jahren als Profi fuhr, verdiente sie gar nichts mit dem Radsport, es war ein reines Hobby: "Damals haben wir uns hinter den LKWs umgezogen, hatten keinen Bus dafür. Geschlafen haben wir nicht in Hotels, sondern in Schulen, Kasernen oder auch mal in einer Feuerwehrwache", erinnert sie sich. Auch dank der Tour de France Femmes sei der Frauenradsport "Lichtjahre von dem Sport entfernt ist, den ich einmal gemacht habe." Dennoch ist für sie klar: "Wir müssen weiterkämpfen. Es wird noch ein paar Jahre dauern, den Frauenradsport finanziell weiterzuentwickeln. Aber wir werden es schaffen."

dw

dw

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