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KOMMENTAR - Das Schweizer Nationalteam steht erstmals in einem Viertelfinal – der langjährige Kampf hat sich gelohnt

KOMMENTAR - Das Schweizer Nationalteam steht erstmals in einem Viertelfinal – der langjährige Kampf hat sich gelohnt
Ausrasten nach dem Schlusspfiff: Coumba Sow (l.) und Alisha Lehmann feiern die Qualifikation für den Viertelfinal.

Jean-Christophe Bott / Keystone

Was für eine Dramatik, was für eine Wende. Das Schweizer Nationalteam ist an der Heim-EM schon fast ausgeschieden, als Riola Xhemaili im dritten Gruppenspiel gegen Finnland in der 92. Minute den Ausgleich zum 1:1 und die Schweiz damit in den Viertelfinal schiesst. Den Finninnen war davor elf Minuten vor Schluss der Führungstreffer per Penalty gelungen. Nach dem Schlusspfiff lagen sich die Schweizerinnen vor 27 000 Zuschauern im Stade de Genève in den Armen. Der eine Punkt gegen die Finninnen reicht, um in der Gruppe A den zweiten Platz zu belegen. Und damit den Viertelfinal an der Heim-EM zu erreichen. Das ist den Schweizerinnen zuvor noch nie gelungen.

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Vor zehn Jahren erst spielten die Schweizerinnen ihr erstes internationales Turnier; davor waren sie 30 Jahre lang jeweils in der Qualifikation gescheitert. Mit der Trainerin Martina Voss-Tecklenburg schafften sie 2015 den Sprung an die WM in Kanada. Auf dem Feld stand die Generation um Lara Dickenmann oder Gaëlle Thalmann. Es war, vielleicht mit Ausnahme des heutigen Teams, die stärkste Equipe, die die Schweiz je hatte. Die Qualifikation für die WM gelang mit einem Torverhältnis von 53:1 aus zehn Spielen, darunter ein 11:0 gegen Malta. Es herrschte Aufbruchstimmung, doch die Spiele fanden damals noch in Provinzorten wie Wohlen statt, vor nur 900 bis 2000 Zuschauern.

Die Erlösung: Leila Wandeler, Géraldine Reuteler und Riola Xhemaili bejubeln das Tor zum 1:1.

Drei Spielerinnen des heutigen Teams waren damals schon dabei: Lia Wälti, Ana-Maria Crnogorcevic und Noelle Maritz; mit der derzeit verletzten Ramona Bachmann wären es vier. Nie hätten sie sich damals vorstellen können, dass sie bald in Schweizer Stadien von Zehntausenden Menschen bejubelt, erkannt und vor allem: anerkannt würden. Dass ebenso viele Leute im Fernsehen dem Schweizer Frauen-Nationalteam zuschauen wie Marco Odermatt bei einer WM-Abfahrt.

Dieser Moment ist der Lohn für Spielerinnen wie Lia Wälti, die während ihrer gesamten Karriere nicht nur den eigenen Weg verfolgte, sondern diesen für die nächsten Generationen ebnen wollte und dafür unermüdlich Öffentlichkeitsarbeit leistete. Es ist ein Lohn für Funktionärinnen wie Tatjana Haenni, die den Anstoss zur EM-Kandidatur gab, welche die Begeisterungswelle erst ermöglichte. Es ist der Lohn für all jene, die für das kämpfen, was der Männerfussball lange für sich beanspruchte und als gegeben hinnimmt: Interesse, Aufmerksamkeit, Bewunderung in dieser weltumfassenden Sportart.

Konzentriert vor dem wichtigen letzten Gruppenspiel: Die angeschlagene Captain Lia Wälti beim Aufwärmen. Sie war schon 2015 beim ersten internationalen Turnier der Schweizerinnen dabei.

Michael Buholzer / Keystone

Der Viertelfinal wird ein Realitäts-Check und die Erfüllung eines Traums

Das soll weder eine Überhöhung der Schweizer Leistungen an dieser EM sein noch eine Verklärung der Lage des Schweizer Frauenfussballs. Der hiesige Fussball hat sich in den vergangenen Jahren nicht so schnell entwickelt wie jener in anderen Nationen, man ist auf verschiedenen Ebenen in Rückstand geraten, infrastrukturell und finanziell. Die höchste Liga ist ein Sorgenkind mit wenig Zuschauenden und wenig Argumenten für die Schweizer Talente, ihr treu zu bleiben. Diese werden oft schon als Teenager aus dem Ausland abgeworben, wie gegenwärtig Iman Beney oder Noemi Ivelj. Diverse Lösungen, um die Liga besser, attraktiver und lukrativer zu machen, stehen dieses Jahr im Verband zur Debatte.

Auch die Leistungen des Nationalteams auf dem Rasen waren nicht durchwegs begeisternd. Die Lücke zu den besten Teams Europas wird momentan eher grösser als kleiner, da das Ausbildungsniveau in der Schweizer Liga tief ist. Der Gegner im Viertelfinal am kommenden Freitag im Berner Wankdorf wird vermutlich der Weltmeister Spanien in Top-Form sein, eine wohl unüberwindbare Aufgabe. Allerdings hat die Schweiz in solch einem Spiel gar nichts zu verlieren. Es wird eine Partie, von der jedes ehrgeizige Kind im Sport träumt: in einem ausverkauften Stadion an einer Heim-Europameisterschaft in einem K.-o.-Spiel gegen die besten Spielerinnen der Welt anzutreten.

Für ein paar Tage dürfen die Baustellen deswegen eine untergeordnete Rolle spielen. Mit dem Weiterkommen hat das Schweizer Team die Plattform der Heim-EM optimal genutzt und das i-Tüpfelchen auf ein insgesamt bereits erfolgreiches Turnier gesetzt.

Was haftenbleibt, ist nicht die Frage, wieso die Norwegerin Ada Hegerberg im Startspiel so frei zum Kopfball kommen konnte. Oder weshalb sich im Spiel gegen Island zu Beginn die Fehlpässe häuften. Eher wird das Gefühl eines Teams bleiben, das die negativen Vorzeichen und Resultate im Vorfeld auszublenden vermochte. Eines Teams, mit dem plötzlich ein neues Publikum mitfieberte. Der letzte Sieg in einem Pflichtspiel vor der EM datiert vom Juli 2024, in der Nations League gegen Aserbaidschan. Dass das Nationalteam die Erwartungshaltung als Gastgeber in positive Energie umwandeln konnte und den Viertelfinal erreicht hat, ist eine Leistung für sich.

Die Trainerin des Schweizer Nationalteams, Pia Sundhage, ist zufrieden mit dem Weg, den die Schweizerinnen hinter sich haben.
Pia Sundhages Funke ist übergesprungen

Die «NZZ am Sonntag» fragte drei Tage vor dem Turnier: Schafft es die Schweizer Nationaltrainerin Pia Sundhage, den Schweizerinnen ihren Optimismus aus einer erfolgreichen Karriere rechtzeitig einzuimpfen? Dass das Team gemäss dem berühmten Spruch «pressure is a privilege» den Druck als Privileg wahrnimmt und nicht daran scheitert? Schafft sie es, dass die teilweise verunsicherten Offensivkräfte Tore schiessen?

Ja, sie hat es geschafft. Sie hatte ein gutes Händchen bei den Aufstellungen und kreierte im Team offensichtlich eine Stimmung, die Selbstvertrauen gab und beflügelte. Zusammen mit einer Captain Lia Wälti, die trotz Schmerzen auf die Zähne biss, um den grossen Traum zu verwirklichen. Die Zukunft mag den Jungen gehören, aber das hier ist vor allem der Moment der Kämpferinnen, der Vorreiterinnen. Sie haben diese Zugabe und die neue Aufbruchstimmung verdient.

nzz.ch

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