Nagelsmann mit DFB-Elf gegen Nordirland unter Druck: Beobachtungen aus Köln

Die Sponsorenaufschrift über der Trainerbank der deutschen Mannschaft war so simpel wie passend. „Einfach, weil’s wichtig ist!“ Das sollte auch das Motto für Julian Nagelsmann sein – im heikelsten Spiel seiner bisherigen Laufbahn als Bundestrainer.
Gut eine halbe Stunde vor dem Anpfiff stand er betont locker mit Shirt, kurzer Hose und hochgezogenen weißen Socken beim TV-Interview. Nicht aber im Trikot der deutschen Fußball-Nationalelf. Anders also als sein Trainerkollege Lukas Kwasniok, der das Jersey seines 1. FC Köln an gleicher Stelle schon getragen hatte.
Dabei hatte Nagelsmann über das Zeichen, das von einer solchen Aktion ausgehen könnte, noch vor der Schmach in der Slowakei (0:2) zum Auftakt der WM-Qualifikation folgendes gesagt: „Wenn die Mannschaft sagt, dass emotionalisiert sie total und findet sie super, dann zieh‘ ich auch ein Trikot an.“ Genau darum war es doch gegangen vor der Partie in Köln gegen den noch viel größeren Außenseiter Nordirland.
Doch irgendwie ist es Nagelsmann auch so gelungen, seine Mannschaft zu beleben, zumindest in der entscheidenden Phase des Spiels. Nach Führung und dem zwischenzeitlichen 1:1 zur Halbzeit gewann Deutschland nach zwei Toren im späteren Verlauf der Partie mit 3:1. Der nächste fatale Nackenschlag wurde gerade so verhindert.
Bei RTL hatte Nagelsmann also in kurzer Klamotte dabei gelauscht, was Rekordnationalspieler Lothar Matthäus in seiner Funktion als Experte zu sagen hatte. Er wiederholte die Kritik am blutleeren Auftritt in Bratislava. Wie ein Schuljunge, dessen Lehrer ihn im Sportunterricht ins Gebet nimmt, hatte der DFB-Coach daneben gestanden.
In der Folge erklärt Nagelsmann die fünf Änderungen, die er vorgenommen hatte, um die Nordiren zu schlagen. Um damit die Alarmstimmung um seine Person zu beruhigen. David Raum, Robin Koch, Waldemar Anton, Pascal Groß und Jamie Leweling ersetzten Maximilian Mittelstädt, Jonathan Tah, Nnamdi Collins, Angelo Stiller und Leon Goretzka. Nagelsmann erklärte die Umstellungen so: „Es geht um die Aktualität, das ist die erste Elf für die Aktualität.“ Eine überraschende Entscheidung: Antonio Rüdiger, der Co-Kapitän, durfte trotz seines katastrophalen Auftritts gegen die Slowakei wieder starten.
Ein Kernsatz, der fiel: „Ich habe viel gesprochen, vielleicht zu viel. Wir müssen mehr machen als sprechen.“ Damit übergab Nagelsmann die weitere Verantwortung für das, was danach passierte, an seine Profis auf dem Rasen. Einfach, weil‘s wichtig ist.
Umgezogen, mit dunklem Shirt und dunkler Hose, stand der Bundestrainer dann zum Anpfiff bereit. Arm in Arm mit seinem Trainerteam zur Verabschiedung von 2014er-Weltmeister Mats Hummels und zum Gedenken an den jüngst verstorbenen Ex-Nationalspieler Frank Mill.
Danach tigerte Nagelsmann umher, als könne er den Anpfiff seines Schicksalsspiels kaum abwarten. Er klatschte lautstark, stand direkt an der äußersten rechten Ecke der Coachingzone, teilweise sogar ein Stück daneben. Anspannung pur.
Früh zeigte er seinem Defensivverbund an, welche Positionen Rüdiger, Anton und Koch einzunehmen haben. Er pfiff in Richtung seines Teams. Nach drei Minuten schon gab es erste unzufrieden wirkende Worte unter dem Dach der Trainerbank mit seinen Assistenten. Zu diesem Zeitpunkt versuchte Nagelsmann gefühlt, jede Aktion zu beeinflussen; der zwölfte Mann sitzt nicht auf der Tribüne, sondern steht an der Linie.
Nach sieben Minuten entlud sich erstmals all der Druck, der auf dem 38-Jährigen lastete: Als Serge Gnabry auf Vorlage von Nick Woltemade – beides ebenfalls besonders schwache Akteure vor drei Tagen – die Führung erzielt, sprang Nagelsmann hoch, brüllte, erst abseits der weiteren Protagonisten allein, ballte die Faust, etwas verspätet ging er zum Rest.
Nach 20 Minuten saß der der Bundestrainer erstmals. Zumindest kurz. Danach passte ihm die Zuordnung wieder nicht, daraus resultierte eine nordirische Ecke. Kapitän Joshua Kimmich und Leweling mussten zum Einzelgespräch an die Seitenlinie, nachdem sich Nagelsmann zuvor auf der Trainerbank aufgeregt hatte.

So, als habe er geahnt, was vier Minuten später aus solch einem Standard folgen kann: Isaac Price (34.) nutzt, dass Gnabry ihn entwischen ließ, und traf zum Ausgleich. Es folgte Nagelsmanns direkte Analyse mit Standardtrainer Mats Buttgereit. Dabei dürfte die Schlafmützigkeit Gnabrys schnell erkannt worden sein.
Bis zur Halbzeit musste sich die DFB-Auswahl schütteln, während Nagelsmann zusehends ratlos wirkte; mit den Händen in den Hüften wartete er auf den Pausenpfiff. Apropos Pfiffe: die gab es reichlich vom deutschen Publikum als Begleitung in die Katakomben.
Dem Bundestrainer war die Anspannung sichtlich anzumerken. TV-Sender RTL fing Nagelsmann minutenlang ein – nägelkauend grübelte er über die Taktik. Was könnte er verändern?
Vor dem Beginn der zweiten Hälfte versammelte sich das deutsche Team im Mittelkreis, war wieder auf sich allein gestellt. Ohne die Worte Nagelsmanns aus der Kabine zu kennen, schien er sie wieder rauszuschicken mit dem Appell: Ihr müsst geradebiegen, was Ihr vermurkst habt. Es gab keine Wechsel. Bis zur 61. Minute, als eine Entscheidung des angeschlagenen Bundestrainers zündete: Nadiem Amiri, der mit Maximilian Beier für Gnabry und Woltemade kam.
Amiri änderte das gesamte Geschehen, war derjenige, der „was von der Bank bringt“, wie Nagelsmann vor der Partie gesagt hatte. Der Mainzer Spielmacher holte direkt zwei Freistöße heraus, traf dann zur 2:1-Führung und war auch der Gefoulte vor dem Freistoßtor des zuvor blassen Florian Wirtz. Nagelsmann rannte nach den beiden Treffern auf den Platz, ballte die Fäuste, war wie von Sinnen. Jeder im Stadion konnte sehen, welche Erleichterung die späten Tore für Nagelsmann bedeuteten. Der Bundestrainer wusste, dass die Partie auch darüber entscheiden würde, wie in den kommenden Tagen und Wochen über ihn diskutiert werden würde.
Die Kritik am Bundestrainer wird nicht abreißen, zu schwach war der deutsche Auftritt lange, aber am Ende stand eben der erste Sieg der WM-Qualifikation - maßgeblich herbeigeführt durch eine Nagelsmann-Maßnahme, nämlich die Einwechselung Amiris.
Nach dem Abpfiff stand der Bundestrainer mit seinen Assistenten zusammen, wirkte gelöst. Rudi Völler, der Sportdirektor, gesellte sich dazu, ging nach ein paar Momenten wieder. Nagelsmann lächelte.
rnd