Schock für Bayern München: Jamal Musiala droht eine lange Verletzungspause


Manche Szenen im Fussball sind so drastisch, dass man meint, es brauche nicht einmal eine Diagnose, um ermessen zu können, was für ein gewaltiger Schaden entstanden ist. Als Toni Schumacher, der legendäre deutsche Torhüter, Patrick Battiston an der WM 1982 über den Haufen rannte, war augenblicklich klar, dass der Franzose schwer verletzt worden war.
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Die Bilder der Verletzung, die sich Jamal Musiala am Samstagabend an der Klub-WM in den USA im Spiel gegen Paris Saint-Germain zugezogen hat, waren kaum erträglich: Der rechte Fuss war vollkommen verdreht, der Spieler musste vom Platz getragen werden. In der Nacht auf Sonntag berichtete die «Bild», dass Musiala sich das linke Wadenbein gebrochen habe. Der 22-Jährige werde wohl vier bis fünf Monate ausfallen. Auch einige Bänder seien in Mitleidenschaft gezogen worden. Der FC Bayern machte zunächst keine konkreten Angaben zu der Verletzung.
Donnarumma konnte nicht hinsehenMitspieler wie Gegenspieler konnten es kaum fassen. Gianluigi Donnarumma, der famose italienische Torhüter im Dienste von PSG, hatte versucht, Musiala den Ball vom Fuss zu fischen. Alles war regelkonform, es lag weder ein Foul noch ein sonderlich riskantes Spiel seitens Donnarummas vor. Der Italiener zog sein Trikot vor das Gesicht und verbarg es, er war für einen Augenblick wie paralysiert. Dass PSG das hochklassige Spiel schliesslich mit 2:0 gewonnen hatte, geriet, zumindest aus Münchner Sicht, zur Nebensache, ebenso, dass Thomas Müller, der spät eingewechselt wurde, sein letztes Spiel für die Bayern absolvierte.
Die Bayern hatten, in Gestalt ihres Captains Manuel Neuer, denn auch schnell einen Schuldigen identifiziert: Gianluigi Donnarumma. Neuer warf dem Italiener vor, dass er die Verletzung des Gegenspielers durch sein Eingreifen in Kauf genommen habe. Ausserdem habe er Donnarumma aufgefordert, überhaupt erst einmal zu Jamal Musiala zu gehen und diesem Trost zu spenden und sich zu entschuldigen. Solche Vorwürfe haben es in sich. Denn zum einen ist Manuel Neuer ein Torhüter, der für gewöhnlich kein Risiko scheut – man denke nur an die Szene aus dem WM-Final 2014, als er Gonzalo Higuaín rustikal abräumte.
Neuer erhebt Vorwürfe an DonnarummaNun ist solch eine Reaktion seitens eines Captains durchaus verständlich, wenn gerade ein Mitspieler schwer verletzt wurde. Für den langjährigen deutschen Nationaltorhüter spielt es keine Rolle, dass Donnarumma genauso geschockt reagierte wie die anderen Mitspieler. Nach dem Spiel sagte Neuer: «Ich weiss es nicht. Italiener sind sehr emotional. Ob man es ihm jetzt abnimmt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Es gehört immer Fairness dazu. Ich hätte anders reagiert.» Dass die beiden Stereotype, die Neuer angesichts dieses Vorfalls bemüht, im Widerspruch zueinander stehen – wer emotional reagiert, ist in der Regel zur Schauspielerei nicht in der Lage – irritiert Neuer nicht.
Etwas besonnener trat Max Eberl auf. Der Bayern-Sportdirektor sprach vom hohen Risiko, dass Donnarumma in Kauf genommen habe, aber er betonte, dass er das ausdrücklich nicht als Vorwurf verstanden wissen wolle. Was Eberl indes schwant, sind die Probleme, die diese Verletzung aufwirft.
Schliesslich ist Musiala für Bayern nicht irgendein Spieler. Im Februar erst hatten die Bayern den Vertrag des 22-Jährigen um fünf Jahre verlängert. Musiala dürfte damit an der Spitze der Gehaltspyramide der Bayern stehen, deren beste Kräfte mehr als 20 Millionen Euro erhalten. Die Vertragsunterschrift zelebrierten die Bayern mit einigem Tamtam: Musiala wurde als der Wunderknabe dargestellt, der er ist. In einem eigens produzierten Video sass er sogar an einem Flügel. Der Horowitz des Spielfeldes, so lautete die Botschaft aus Bayern an die Fussballwelt.
Sein Talent rechtfertigt tatsächlich solche kühnen Vergleiche. Der Mittelfeldspieler soll zum Fixstern eines neuen, grossen Bayern-Teams der nächsten Jahre werden. Solche Planspiele können sich rasch als Makulatur erweisen, wenn sich die Diagnose bestätigt, die viele befürchten. Die Deutsche Presse-Agentur will von einem Bruch erfahren haben. Bewahrheitet sich dieses Szenario, droht Musiala eine Pause, die sogar seine Teilnahme an der Weltmeisterschaft gefährden könnte.
Imago/Scott W. Coleman / www.imago-images.de
Musialas jüngsten Karriereverlauf unter die Kategorie Pech abzulegen, wäre eine glatte Untertreibung. Der Auftritt gegen den Champions-League-Sieger PSG, der Ende Mai in München mit 5:0 gegen Inter Mailand den Final gewonnen hatte, war der erste seit einem Vierteljahr in der Startformation der Münchner. Musiala hatte erst einen Muskelbündelriss auskurieren müssen.
Schon vor diesem Hintergrund muss es die Bayern besonders schmerzen, dass sie bei der Verpflichtung des Leverkuseners Florian Wirtz den Kürzeren gegen den FC Liverpool gezogen haben. Zwar ist es durchaus diskutabel, ob die beiden sich auf dem Spielfeld tatsächlich so blendend verstanden hätten, wie sich die Bayern-Exponenten erträumt hatten. Allerdings ist eine Verletzung, wie sie sich Musiala nun zugezogen hat, äusserst selten. Ein solches Ereignis hat niemand auf der Rechnung, wenn es darum geht, einen Spieler zu verpflichten.
Streit um Stürmer WoltemadeZumal die Versuche der Bayern auf dem Transfermarkt bisher wenig Erfolg zeitigten. Nico Williams, der spanische Aussenstürmer, zog es vor, weder nach München noch nach Barcelona zu gehen, sondern seinen Vertrag bei Athletic Bilbao um zehn Jahre zu verlängern und die Ablösesumme seiner Ausstiegsklausel auf knapp 100 Millionen Euro festlegen zu lassen. Derzeit bemühen sich die Münchner um den Stuttgarter Nick Woltemade, einen fintenreichen Angreifer, der München gerade in dieser Situation gut täte.
Über die Verpflichtung Woltemades ist ein Streit zwischen dem Bayern-Granden Uli Hoeness und Lothar Matthäus entbrannt. Während die Bayern Woltemade gern für 40 Millionen Euro verpflichten würden, beziffert Matthäus den Wert des Spielers öffentlich auf 80 bis 100 Millionen Euro. Zahlen, wie sie in München gegenwärtig nicht gern vernommen werden.
Klub-WM in den USA. Letzter Viertelfinal. In East Rutherford, New Jersey: Real Madrid - Dortmund 3:2 (2:0). - Halbfinals (in East Rutherford/21 Uhr Schweizer Zeit). Am Dienstag: Fluminense - Chelsea. - Am Mittwoch: Paris Saint-Germain - Real Madrid.
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