INTERVIEW - «Wir müssen stärker mit unseren europäischen Partnern zusammenarbeiten», sagt eine japanische Sicherheitsexpertin


Die geopolitischen Spannungen nehmen in Ostasien zu, der diplomatische Spielraum wird dabei für Japan immer kleiner. Die Regierung von Ministerpräsident Shigeru Ishiba versucht nun, den Dialog mit Peking wiederherzustellen und gleichzeitig das wichtige Bündnis mit den Vereinigten Staaten aufrechtzuerhalten. Mit Donald Trump als neuem Präsidenten der USA könnte das zu einer Herausforderung werden.
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Chisako Masuo ist Professorin an der Kyushu-Universität in Fukuoka. Sie gehört zu den führenden Experten für maritime Sicherheit und asiatische Geopolitik in Japan. Sie erklärt, wie Japan im geopolitischen Kräftemessen zwischen China und den USA navigiert.
Japan ist der engste Verbündete der USA in Asien. Die USA verfolgen gegenüber China eine harte Linie. Jetzt versucht Japan, die Beziehungen zu China zu verbessern. Wie passt das zusammen, Frau Chisako?
Das ist eine grosse Herausforderung für Japan. Unsere Ziele in Bezug auf China unterscheiden sich erheblich von denen der Vereinigten Staaten. Während sich die USA auf die Aufrechterhaltung ihrer globalen Vormachtstellung konzentrieren, hat Japan keine derartigen Ambitionen. Wir wollen einfach nur den Frieden aufrechterhalten – und zwar nicht zu Chinas Bedingungen.
Welche Rolle spielt dabei die internationale Zusammenarbeit?
Die internationale Zusammenarbeit war für Japan schon immer wichtig. Dabei geht es nicht nur um moralische Erwägungen. Wir brauchen eine regelbasierte Ordnung, um wirtschaftlich und militärisch stark zu sein. Um unsere Verteidigungsindustrie zu erhalten, brauchen wir internationale Märkte und Kooperationspartner.
Trump führt einen Handelskrieg und will Gebiete wie Grönland oder den Panamakanal übernehmen. Ist das ein Problem für Japan?
Wir werden uns mit unserer Aussenpolitik zunehmend in Widersprüchen wiederfinden. Während wir China dafür kritisieren, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben, tut Trump dasselbe. Das ist ein Balanceakt für uns: Wir müssen die USA weiterhin unterstützen, und wir brauchen ihre Präsenz in dieser Region. Wir können die amerikanische Weltstrategie jedoch nicht uneingeschränkt unterstützen, insbesondere in Bezug auf die Ukraine oder Gaza.
Japan fühlt sich zunehmend von China bedroht. Warum?
China rüstet sein Militär rasant auf und treibt gleichzeitig seine Ansprüche im Ostchinesischen Meer, auf Taiwan und im Südchinesischen Meer voran. Diese Gebiete sind für uns wichtig, weil unsere wichtigen Schifffahrtsrouten dort verlaufen. Dabei nutzt China eine umfangreiche Grauzonenstrategie.
Was verstehen Sie unter Grauzonenstrategie?
So bezeichnet man ein Verhalten, das militärisch und aggressiv ist, ohne vollständig kriegerisch zu sein. Im japanischen Fall geschieht dies im Ostchinesischen Meer und bei unseren Senkaku-Inseln.
Wie genau übt China militärischen Druck aus?
Zum einen führt China militärische Aktivitäten in der Umgebung Japans durch, manchmal zusammen mit Russland. Zum anderen setzt Peking zunehmend seine Küstenwache ein, um Präsenz bei den Senkaku-Inseln zu zeigen. Die Schiffe seiner Küstenwache sind grösser als unsere und mit Kanonen bewaffnet. Sie fahren regelmässig in unsere Hoheitsgewässer ein. Vor etwa fünf Jahren begannen sie dort, japanische Fischer zu vertreiben. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass China versucht, mit Social-Media-Kampagnen und anderen Mitteln in unsere Gesellschaft einzudringen.
Warum tut China das?
China will wieder die zentrale Position erlangen, die dem Land der eigenen Meinung nach zukommt. Die chinesische Führung versucht zwar nicht, ein chinesisches Imperium aufzubauen. Sie ist aber der Ansicht, dass China die führende Macht unter den asiatischen Nationen sein sollte.
Wie will sie das erreichen?
Sie hat eine ausgeklügelte Seestrategie entwickelt. Peking will die Kontrolle über die sogenannte erste Inselkette erlangen, die von Japan über Taiwan bis zu den Philippinen reicht und den freien Zugang Chinas zum Pazifik und zum Indischen Ozean einschränkt. Das schliesst seine Ansprüche auf das gesamte Südchinesische Meer ein, markiert durch die sogenannte Neun-Striche-Linie. Aber Folgendes ist unbedingt zu verstehen: China verfolgt dieses Ziel, ohne eine direkte Konfrontation mit den Vereinigten Staaten zu wollen.
Was kann Japan angesichts dieser geopolitischen Gemengelage tun?
Das ist eine schwierige Frage, denn offen gesagt war keine der japanischen Strategien gegenüber China bisher besonders effektiv. Die ältere Generation japanischer Politiker und Wirtschaftsführer glaubte, dass ein freundlicher Umgang mit China auf Gegenseitigkeit stossen würde – dass China, wenn wir es gut behandelten, entsprechend reagieren würde. Dieser Ansatz ist gescheitert.
Was versucht Japan nun zu tun?
Einerseits versuchen wir, unser Militärbündnis mit den USA zu stärken. Ministerpräsident Shigeru Ishiba hat sich gerade mit dem amerikanischen Präsidenten Trump getroffen. Sie haben sich auf mehrere Massnahmen zur Stärkung der Abschreckung geeinigt. Andererseits versucht die japanische Regierung, die Kommunikationskanäle mit China wiederherzustellen, die während der Amtszeit von Ishibas Vorgänger Fumio Kishida stark eingeschränkt wurden.
Wie finden Sie das?
Das ist ein vernünftiger Ansatz, der jedoch aufgrund der starken Anti-China-Stimmung in der japanischen Gesellschaft mit erheblichen innenpolitischen Herausforderungen konfrontiert ist. Wer versucht, mit China in Kontakt zu treten, wird oft von der Öffentlichkeit kritisiert. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, ein gewisses Mass an Dialog aufrechtzuerhalten. China ist immer noch unser Nachbar, wir brauchen daher geregelte Beziehungen.
Funktioniert das denn?
Wir sehen eine scheinbare Abkehr von Chinas aggressiver Wolfskrieger-Diplomatie und eine Hinwendung zu einem versöhnlicheren Ansatz, insbesondere gegenüber Japan. China hat einige symbolische Gesten gemacht. Kürzlich hat es eine Überwachungsboje in der Nähe der Senkaku-Inseln entfernt. Wir müssen mit solchen Gesten jedoch vorsichtig sein. Viele der Hindernisse in den Beziehungen wurden von China geschaffen. Jetzt versucht China, deren Beseitigung als freundschaftliche Geste zu verkaufen.
Japan baut seine Verbindungen zu anderen Ländern in der Region wie Südkorea oder den Philippinen aus. Liegt das an China?
Ja. Anfangs wandte China seine Grauzonentaktik hauptsächlich gegen uns an. Jetzt provoziert es damit auch die Philippinen und Taiwan. China hat seine Strategie geändert, und infolgedessen verstärken wir die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn.
Wie schauen Sie auf die Zukunft?
Wir müssen in ein politisches Gleichgewicht mit China kommen, das ist für die Sicherheit und den Wohlstand Japans von entscheidender Bedeutung. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir mit China wirklich zusammenarbeiten können. China sieht die USA als Bedrohung an. Es will ein eigenes Staatenbündnis aufbauen, um den Vereinigten Staaten entgegenzutreten. Ich bin besorgt, dass Japans diplomatischer Handlungsspielraum in Zukunft schrumpfen könnte. Wir müssen stärker mit unseren europäischen Partnern zusammenarbeiten, um eine stabile Weltordnung aufrechtzuerhalten.
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