Bildung im Wandel: KI erobert deutsche Klassenzimmer

„Schreibe einen Aufsatz über die Französische Revolution“. So oder ähnlich könnte eine Aufgabenstellung im Fach Geschichte aussehen. Dafür hätten Schülerinnen und Schüler noch vor Kurzem einige Zeit gebraucht - vermutlich mehrere Nachmittage oder auch eine durchgearbeitete Nacht vor der Abgabe. Und heute? ChatGPT und Co. handeln die Revolution in wenigen Sekunden ab. Egal, ob ausführlich oder in der Kurzversion.
Künstliche Intelligenz hat längst den Schulalltag erreicht. Das zeigt unter anderem die Jugendmedienstudie (JIM) aus dem Jahr 2024. Demnach nutzen fast zwei Drittel der 12- bis 19-Jährigen Künstliche Intelligenz, um Aufgaben zu erledigen. Eigenrecherche oder Schulbuch - keine Chance. Zu viel Aufwand.
Und warum sollte man für solche Arbeiten nicht die schnellere KI einsetzen?
Die Antwort darauf beschreibt eine der vielen Herausforderungen, die KI für das Bildungssystem mit sich bringt. Wie gehen Lehrende, Schulen oder Hochschulen mit der Entwicklung um? Welche Rolle kann KI im Alltag spielen - und macht es überhaupt noch Sinn, Wissen schriftlich abzufragen?
Dass die technische Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist - das sehen auch viele Lehrkräfte so. „Grundsätzlich wird KI künftig in allen Bildungs- wie auch in vielen Berufsbereichen eine Rolle spielen“, sagt Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

Freund und Helfer bei allen Themen: ChatGPT bietet inzwischen zahlreiche Möglichkeiten für Schülerinnen und Schüler. (Symbolbild)
Quelle: Frank Rumpenhorst/dpa
Doch nicht jede Lehrkraft scheint Lust auf das Thema KI zu haben, zu groß die Skepsis, was den Einsatz im Schulalltag bedeutet. Das zeigt eine Umfrage des deutschen Digitalverbandes Bitkom, bei der 502 Lehrerinnen und Lehrer der Sekundarstufe I und II bundesweit befragt wurden. Demnach sagen zwar 80 Prozent, dass alle Schülerinnen und Schüler den Umgang mit KI lernen sollten, gleichzeitig sind aber auch 39 Prozent noch der Meinung, dass ChatGPT und Co. in der Schule nichts zu suchen haben.
Immerhin: 28 Prozent gaben an, gute Erfahrungen mit KI gemacht zu haben und sie weiterhin nutzen zu wollen. In den meisten Fällen zur Wissensvermittlung. Mehr als die Hälfte möchte KI vor allem einsetzen, um Schülerinnen und Schüler über die Gefahren der Technologie aufzuklären.
Deutscher Digitalverband Bitkom
Das unterstützt auch der deutsche Digitalverband Bitkom. Leah Schrimpf, Leiterin Digitale Gesellschaft beim Verband, erklärt: „Schulen müssen Kinder und Jugendliche mit Künstlicher Intelligenz vertraut machen. Denn Sie probieren die neuen Möglichkeiten bereits eigenständig aus.“ Umso entscheidender sei es, den jungen Menschen die Möglichkeiten, aber auch Grenzen und Gefahren von KI zu vermitteln.
Anders als an vielen Schulen gehören ChatGPT und Co. an deutschen Unis schon fest zum Alltag der Studierenden. Eine Forschung der Hochschule Darmstadt zeigt das. Knapp 5.000 Studierende aus ganz Deutschland wurden befragt und fast alle (92 Prozent) gaben an, KI regelmäßig im Rahmen des Studiums zu nutzen.
Für den Deutschen Hochschulverband ist das keine große Überraschung, wie Pressesprecher Matthias Jaroch sagt. „Flächendeckend setzen sich deshalb auch Hochschulen mit KI auseinander. Bei der Umsetzung sind die Fortschritte je nach Standort allerdings unterschiedlich“, sagt er. Die Integration neuer Technologien ist generell erprobt und wird auch bei KI-Anwendungen gelingen, so Jaroch.

Künstliche Intelligenz hat sich zu einem wichtigen Werkzeug im Studium entwickelt: Von 5.000 befragten Studierenden aus ganz Deutschland, gaben 92 Prozent an, ChatGPT und Co. regelmäßig im Rahmen ihres Studiums zu nutzen. (Symbolbild)
Quelle: Zacharie Scheurer/dpa-tmn
Damit KI auch im Schulalltag sinnvoll eingesetzt werden kann, hat das Kultusministerium bereits im vergangenen Oktober reagiert. Im Rahmen der Bildungsministerkonferenz wurde eine Handlungsempfehlung zum Umgang mit KI in Schulen formuliert. Unter anderem rät das Dokument zur Anpassung der Prüfungskultur.
Dr. Matthias Jaroch, Deutscher Hochschulverband
zur Auswirkung von KI auf die Prüfungskultur
Klassenarbeiten oder Hausaufgaben sollen demnach in ihrem Aufbau so verändert werden, dass sie auch die Kompetenzen zur Nutzung von KI berücksichtigen. Nach Ansicht von Stefan Düll könnte dies etwa so funktionieren: „Die Aufgabe könnte darin bestehen, den besten Prompt (Anm. d. R.: Anweisung an die KI) zu entwickeln und die Ergebnisse im Unterricht zu vergleichen. Auch das Konzept des „Flipped Classroom“ bietet Potenzial: Schülerinnen und Schüler erarbeiten sich ein Thema zu Hause – mit oder ohne KI – und vertiefen es im Unterricht im Austausch mit der Lehrkraft.“ Auch Bitkom sieht das „gezielte Prompten oder die kritische Reflexion KI-generierter Inhalte“ als Themen einer Klassenarbeit der Zukunft.
Die schriftliche Wissensabfrage könnte sich also bald überholt haben - nach Einschätzung des Hochschulverbandes befinde sich das Modell auch innerhalb der Hochschulen und Universitäten in einem wachsenden Veränderungsdruck. „Das Prüfungsformat ‚Hausarbeit‘, mit dem Studierende in vielen Fächern kritisches Denken und Problemlösungskompetenz unter Beweis stellen, steht infrage, ist aber nicht zwangsläufig obsolet“, sagt Matthias Jaroch. „Vielerorts gibt es Überlegungen, schriftliche Prüfungen um eine mündliche Komponente zu ergänzen oder verstärkt auf lern begleitendes und mehrstufiges Prüfen zu setzen. Je nach Fach wird es unterschiedliche Lösungen geben können und müssen.“
Für Leah Schrimpf steht fest: „Es wird in Zukunft zu den wichtigsten Kernkompetenzen von Bildungseinrichtungen gehören, KI-Technologien bewusst und zielgerichtet als Werkzeug einzusetzen und Prüfungsformate entsprechend anzupassen.“ Dafür, so Schrimpf weiter, brauche es aber auch klare, verbindliche und transparente Regeln.
Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes
Über die Möglichkeiten der Künslichten Intelligenz zur Entlastung der Lehrkräfte
Neben neuen Prüfungsformaten sieht die Handlungsempfehlung in der Nutzung von KI auch einen Mehrwert für den Alltag der Lehrkräfte. So sollen Sie die Technologie zum Beispiel gezielt für das Erstellen von Lerninhalten oder Prüfungsaufgaben und bei Korrekturen von Klassenarbeiten nutzen - eine erhebliche Entlastung im Alltag: „Das ist ein Potenzial, das unbedingt genutzt werden sollte“, sagt Düll.

"Das ist ein Potenzial, das unbedingt genutzt werden sollte": Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Stefan Düll, sieht im Umgang mit der KI auch eine Chance zur Entlastung der Lehrkräfte.
Quelle: Jörg Ratzsch/dpa
Künstliche Intelligenz - und da sind sich die Verbände einig - kann und soll aber eines nicht ersetzen: das gewöhnliche Lernen. „Zunächst müssen Kinder und Jugendliche lernen, ohne KI zu recherchieren, zu schreiben, zu rechnen und zu argumentieren. Später kann KI dann als unterstützendes Werkzeug, etwa zur Korrektur oder im Lern-Dialog, sinnvoll sein“, so Düll vom Lehrerverband.
Gleichzeitig müsse man den Schülerinnen und Schülern aber auch deutlich machen, „dass sie sich selbst schaden, wenn sie Aufgaben komplett der KI überlassen, statt durch Übung ihre Fähigkeiten im Schreiben, Analysieren und Argumentieren zu verbessern.“
Dr. Matthias Jaroch, Deutscher Hochschulverband
Über Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte
Damit die Verknüpfung von Schule und KI funktioniert, sieht Jaroch noch Handlungsbedarf im Hinblick auf Weiterbildung. Demnach seien fortlaufende Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte dringend erforderlich. Aktuell sei in diesem Bereich „noch Luft nach oben“. Wie wichtig dieser Punkt ist, zeigt eine aktuelle Bitkom-Umfrage: 47 Prozent – also fast die Hälfte der befragten Lehrkräfte – fühlen sich unsicher im Umgang mit KI.
Der Deutsche Hochschulverband fordert, dass auch Software, die KI-generierte Texte erkennen soll, weiterentwickelt wird. Andernfalls könne es vermehrt zu Situationen kommen, in denen „viele Lernende zu Unrecht in Verdacht geraten, wissenschaftlich unsauber zu arbeiten.“ Das schade vor allem dem Vertrauen zwischen Lernenden und Lehrenden. Dieses „hohe Gut“, wie Jaroch es bezeichnet, gelte es unbedingt zu schützen.

Laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom, gaben mehr als die Hälfte der befragten Schülerinnen und Schüler an, schlechtes oder fehlendes WLAN als dringlichstes Problem in ihrer Schule zu sehen. (symbolbild)
Quelle: Landkreis
Für Bitkom stehen hingegen noch ganz andere Herausforderungen im Raum. Innerhalb einer weiteren Umfrage hat der Digitalverband festgestellt: „59 Prozent der Schülerinnen und Schüler sehen schlechtes oder fehlendes WLAN als dringlichstes Problem an ihrer Schule. Eine schlechte technische Ausstattung generell sieht derzeit noch 49 Prozent als dringlichstes Problem.“ Wer nicht ausreichend Geräte oder Lizenzen habe, werde es schwer haben, KI-Kompetenzen zu vermitteln, meint der Digitalverband.
Zur Lösung der Probleme brauche es, „dass die für den Digitalpakt 2.0 versprochenen Finanzmittel jetzt im Bundeshaushalt verankert und langfristig eine Finanzierungslösung für die digitale Ausstattung an Schulen gefunden wird“, sagt Leah Schrimp. Die Expertin hält eine zielorientierte Bund-Länder-Zusammenarbeit für nötig. Der Bund sollte mehr Verantwortung bei der digitalen Bildung übernehmen, um eine Strategie für den Aufbau digitaler Kompetenzen in den Schulen verfolgen zu können.
rnd