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ERKLÄRT - Keine Angst vor Röntgenstrahlung: Weshalb Bleischürzen überflüssig geworden sind

ERKLÄRT - Keine Angst vor Röntgenstrahlung: Weshalb Bleischürzen überflüssig geworden sind

Illustration Simon Tanner / NZZ

Leserfrage: Beim Röntgen tragen Patienten keine Strahlenschutzmittel (Bleimäntel) mehr. Das ist angeblich nicht mehr nötig, weil die Geräte besser geworden seien. Und das Personal werde gut geschult. Aber reicht das wirklich?

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Sie ist überall – aber sehen, riechen, schmecken, hören oder greifen kann man Strahlung nicht. Wenn wir über sie nachdenken, dann meinen wir meist schädliche Strahlung und denken an Katastrophen wie die in Hiroshima, Tschernobyl oder Fukushima und an Diskussionen um Kernkraftwerke. Kein Wunder also, dass viele Menschen Angst vor Strahlung haben und sich wundern, wenn Schutzmassnahmen wie Bleischürzen beim Röntgen wegfallen.

«Da gibt es allerdings keinen Grund zur Sorge», sagt Professor Reinhard Loose von der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Physiker und Mediziner gilt international als einer der renommiertesten Experten für Strahlenschutz. Er sagt: «Viele Ängste sind irrational. Zum einen vergessen viele, dass radioaktive Strahlung Teil unserer natürlichen Umwelt ist. Zum anderen können wir sie in der modernen Medizin zielgerichtet, sinnvoll und sicher nutzen.»

In der Rubrik «Wohl & Sein antwortet» greifen wir Fragen aus der Leserschaft rund um Gesundheit und Ernährung auf. Schreiben Sie uns an [email protected].

Tatsächlich strahlt die Natur mehr, als viele denken: Da ist die kosmische Strahlung aus dem Weltall, die terrestrische Strahlung aus Erdreich und Baumaterialien und die Radonstrahlung, die gerade in der Schweiz stark ins Gewicht fällt und zum Beispiel durch Gestein in die Atemluft gelangt. Auch über Nahrung und Trinkwasser nehmen wir geringe Mengen natürlicher Radionuklide auf, ebenso durch Tabakrauch. Das alles summiert sich in der Schweiz auf eine durchschnittliche natürliche Strahlendosis von 4,5 Millisievert (mSv) pro Mensch und Jahr. Hinzu kommen rund 1,5 Millisievert aus zivilisatorischen Quellen, vor allem der Medizin.

Das ist allerdings ein Mittelwert. Wer keine Röntgenuntersuchungen, Computertomografien und strahlungsintensiven Behandlungen bekommt, sammelt kaum zusätzliche Millisievert an. Wer hingegen etwa aufgrund eines Tumors behandelt werden muss, nimmt weitaus mehr Strahlung auf. Im Mittel kann man aber sagen: «Im Verhältnis zu natürlichen Strahlungsquellen ist der Anteil aus der Medizin gering», so Loose.

Röntgen ist harmloser geworden

Röntgenaufnahmen sind aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Zu wertvoll ist der Blick ins Körperinnere für die Diagnose von Krankheiten. Entsprechend gross sind die Fortschritte der Bildgebung: «In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich die Strahlenexposition beim Röntgen etwa halbiert», sagt Loose.

Konkret bedeutet das: Eine Zahnröntgenaufnahme schlägt mit etwa 0,003 Millisievert zu Buche, eine des Sprunggelenks mit 0,01 und eine des Brustkorbs mit 0,02. Zum Vergleich: Ein Flug von Frankfurt nach New York kommt auf 0,05 Millisievert Strahlung – das ist knapp 17-mal so viel wie bei einer Zahnröntgenaufnahme.

Dass heute derart strahlungsarmes Röntgen möglich ist, liegt vor allem an technischen Fortschritten. Etwa digitalen Detektoren, neuen Filter- und Blendensystemen, kürzeren Röntgenbelichtungszeiten und optimierten mathematischen Verfahren zur Bildberechnung. «Die Strahlung liegt nun sehr zielgerichtet auf der zu untersuchenden Region, Streustrahlung fällt kaum noch ins Gewicht», erklärt Loose.

Auch verbesserte Anwendung und Handhabung durch speziell geschultes Fachpersonal spielen eine Rolle. So hat sich die Strahlenexposition verringert, während die Bildqualität gestiegen ist. Gestützt durch zahlreiche internationale Studien, sind Expertengremien und Fachgesellschaften deshalb zu dem Ergebnis gekommen, dass Bleischürzen beim Röntgen meist überflüssig geworden sind.

Diese Einschätzung teilen auch die Eidgenössische Kommission für Strahlenschutz und das Schweizer Bundesamt für Gesundheit. Dort heisst es: «Die Verwendung von Bleischürzen hat heute keine nennenswerte zusätzliche Schutzwirkung mehr für Patientinnen und Patienten.» In der Schweiz und den meisten anderen europäischen Ländern wird die Verwendung von Bleischürzen daher nicht mehr empfohlen. Lediglich für Schwangere, Kleinkinder und Patienten mit Strahlenangst kann der Einsatz mitunter noch erwogen werden.

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Für alle anderen aber gilt: Der beste Schutz vor unnötiger Strahlung sind die optimale Nutzung moderner Technik, gut ausgebildetes und regelmässig fortgebildetes Fachpersonal und die Beschränkung auf medizinisch notwendige radiologische Untersuchungen. Bleischürzen aber haben tatsächlich weitestgehend ausgedient.

Sie haben auch eine Frage rund um Ernährung und Gesundheit? Schreiben Sie uns an [email protected].

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