ERKLÄRT - Südeuropäer essen gern Weissbrot, Deutschland ist traditionell ein Schwarzbrot-Land. Trotzdem sterben die Deutschen früher. Wie kann das sein?


Illustration Simon Tanner / NZZ
Leserfrage: Wie erklären Sie sich, dass in Deutschland zwar traditionell Vollkornbrot gegessen wird, die Lebenserwartung in Weissbrot-Ländern aber höher ist? Weissbrot gilt doch als sehr ungesund.
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Weissbrot punktet nicht gerade als Superfood: Es enthält reichlich einfache Kohlenhydrate, sättigt nicht lange und liefert kaum Nähr- und Ballaststoffe. Gar so ungesund wie sein Ruf ist es trotzdem nicht: «Es spricht nichts dagegen, auch einmal Weissbrot zu essen. Entscheidend ist, was dazu gegessen wird. Im Idealfall sind das Gemüse, Obst und Vollkornprodukte», sagt die Ökotrophologin Gunda Backes, die am Deutschen Institut für Ernährungsforschung gearbeitet hat und nun in der Ernährungskommunikation tätig ist. Entsprechend gering sei sein Einfluss auf unsere Gesundheit und unsere Lebenserwartung.
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Auch ein Blick in die Statistik zeigt, dass es am Weissbrot nicht liegen kann. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) werden die Menschen mit durchschnittlich 84 Jahren in Spanien am ältesten, auch Italien und Frankreich gehören zu den Spitzenreitern. Allesamt Länder, in denen traditionell viel Weissbrot gegessen wird.
Deutschland hingegen landet nur im Mittelfeld, mit 81,2 Jahren liegt die Lebenserwartung dort leicht unter dem europäischen Durchschnitt – trotz anderer Brotkultur und einem der teuersten Gesundheitssysteme der Welt. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, etwa die hohe Zahl chronischer Erkrankungen, Übergewicht, Bewegungsmangel, Ernährungsgewohnheiten, ein hoher Alkohol- und Tabakkonsum, aber auch soziale Ungleichheit, mangelnde Gesundheitskompetenz sowie Defizite in Sachen Prävention und Früherkennung.
«Die Ernährung ist zweifelsfrei eine der Hauptursachen für die kürzere Lebenserwartung, weil sie unmittelbar mit Problemen wie Übergewicht und chronischen Erkrankungen zusammenhängt», sagt Johannes Wechsler, Ehrenpräsident des Berufsverbands Deutscher Ernährungsmediziner, und fasst das Problem so zusammen: «Die Deutschen essen zu viel vom Falschen.»
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, es muss auch etwas Gemüse seinUntersuchungen wie die Nationale Verzehrstudie II oder die Geda-Erhebung dröseln das genauer auf. Die Daten zeigen zum Beispiel, dass nur 25 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bezüglich Obst und Gemüse erreichen. Auch auf täglich 30 Gramm Ballaststoffe kommen die wenigsten. Nur etwa 40 Prozent der Frauen und 25 Prozent der Männer essen überhaupt täglich Obst, bei Gemüse sieht es ähnlich aus. Zum Vergleich: In Spanien geben nur etwa 12 Prozent der Menschen an, nicht täglich Obst oder Gemüse zu essen.
«Bei Fleisch, Zucker, Salz und Fett hingegen werden die Empfehlungen teilweise deutlich überschritten», sagt die Ernährungswissenschafterin Backes. Männer etwa essen durchschnittlich fast das Doppelte der empfohlenen 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche. «Bei Zucker sind oft Softdrinks und Süssigkeiten das Problem, viel Salz und Fett stecken zum Beispiel in Fertiggerichten und Fast Food», erklärt Backes. Der Mediziner Wechsler ergänzt: «Durchschnittlich nehmen Menschen in Deutschland etwa 500 Kilokalorien mehr auf, als sie benötigen, was Übergewicht fördert, den Stoffwechsel belastet und den körperlichen Verschleiss beschleunigt.»
Entsprechend fällt die Bilanz bezüglich Kilos und Krankheiten aus: Rund 47 Prozent der Frauen und 61 Prozent der Männer in Deutschland sind übergewichtig, rund 35 Prozent aller Todesfälle gehen auf das Konto von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch Diabetes Typ 2 und Krebsarten wie Darm- und Brustkrebs kommen in Deutschland häufiger vor als in vielen anderen europäischen Ländern.
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«Jedes Kilo Übergewicht kostet etwa sieben Lebensmonate», sagt Wechsler und verweist darauf, dass wir rein biologisch etwa 120 Jahre alt werden könnten. Um diesem Ziel zumindest etwas näher zu kommen, kann ein Blick in andere Länder helfen. Etwa nach Spanien oder Schweden: «Ob mediterrane oder nordische Diät, beide setzen auf viel Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Fisch, Vollkornprodukte und gesunde Pflanzenöle. Das liefert reichlich Ballaststoffe, sekundäre Pflanzenstoffe und günstige Fettsäuren, was sich positiv auf Blutdruck, Blutfettwerte, Entzündungsmarker und die Zusammensetzung der Darmbakterien auswirkt», erklärt Backes. Eine gesunde Ernährung sei aber auch mit heimischen, gewohnten Lebensmitteln möglich, betont Wechsler: «Hauptsache, frisch, ballaststoffreich und pflanzenbetont.»
Übrigens: Zu den Spitzenreitern in Sachen Lebenserwartung gehört auch die Schweiz. Vielleicht sollte man also einmal über den potenziellen Nutzen von Schokolade reden?
nzz.ch