Geht künstliche Befruchtung künftig ohne Hormonspritzen? Forscher wollen Eizellen in der Petrischale reifen lassen


Visualisierung Blackjack3d / Getty
Vor knapp 200 Jahren machte der deutsche Arzt Karl Ernst von Baer eine revolutionäre Entdeckung. Er fand als Erster «das Ei des Menschen», die Eizelle. Sein Fund eröffnete ein völlig neues Verständnis der menschlichen Fruchtbarkeit. Es war der erste Schritt einer Entwicklung, die anderthalb Jahrhunderte später ein kleines Wunder ermöglicht hat: Louise Brown entstand 1978 als erstes Baby in der Petrischale. Heute kommen jedes Jahr gut 500 000 Babys nach einer künstlichen Befruchtung zur Welt.
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Doch dieses Wunder geht mit einem mühsamen Prozess einher. Um eine realistische Chance auf eine Schwangerschaft zu haben, müssen der Frau möglichst viele reife Eizellen entnommen werden. Das geht nur mithilfe von hochdosierten Hormonspritzen. Denn ohne diese reift jeden Monat nur eine einzige Eizelle heran.
Doch die Hormonbehandlung bringt oft Nebenwirkungen mit sich. Diese reichen von einem aufgeblähten Bauch, Schmerzen und Hitzewallungen bis hin zu einer potenziell lebensbedrohlichen Überstimulation der Eierstöcke.
Könnte man die Hormonspritzen bald aus der Fruchtbarkeitsmedizin verbannen? Das ist das Ziel der Forschung an In-vitro-Maturation (IVM). Dabei sollen der Frau ohne oder mit sehr wenig vorheriger Hormonstimulation unreife Eizellen entnommen werden. Erst in der Petrischale machen diese ihre Entwicklung zur Befruchtungsreife durch. Gelingt das zuverlässig, könnte die IVM zu einer günstigeren, weniger belastenden Alternative zur klassischen Kinderwunschbehandlung werden.
Die Eizelle ist anspruchsvollAber warum ist es nicht längst gängige Praxis, Eizellen ausserhalb des Körpers reifen zu lassen? Brigitte Leeners leitet die Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Universitätsspital Zürich und forscht selbst zur Eizellreifung. «Ein Embryo entwickelt sich fünf Tage lang wunderbar ausserhalb des Körpers», sagt sie. «Doch eine unreife Eizelle im Labor reifen zu lassen, ist eine viel grössere Herausforderung.»
Das klingt paradox. Doch die Eizellreifung ist ein komplexer Vorgang – und die Eizelle eine kleine Diva. Im Eierstock hat eine reifende Eizelle eine ganze Traube von Helferzellen um sich herum, die sie bei ihrer Entwicklung unterstützen.
Um für eine Befruchtung bereit zu sein, muss die Eizelle zunächst einen Teil ihres Erbguts ausstossen. Statt zwei Kopien jedes Chromosoms darf schliesslich im Zellkern der Eizelle bei der Befruchtung nur noch jeweils eine Kopie vorliegen. Denn das Spermium bringt einen eigenen Satz an Chromosomen mit, die die Gene des Vaters enthalten.
Ausserdem muss die Eizelle wachsen. Als grösste Zelle des menschlichen Körpers ist eine Eizelle so gross, dass man sie sogar mit blossem Auge knapp erkennen kann. Doch ganz allein schafft sie es nicht, diese Grösse zu erreichen. Um genug Energie zu bekommen, wird die Eizelle von ihren Helferzellen quasi gefüttert.
Schlechte Erfolgsquoten bei der Reifung in der PetrischaleIn der Petrischale ist dieses unterstützende Umfeld nur schwer zu imitieren. Dennoch gibt es bereits seit dem Jahr 2000 eine spezielle Nährlösung für die In-vitro-Maturation – die Reifung der Eizelle ausserhalb des Körpers. Die Lösung enthält bestimmte Hormone, die unreife Eizellen dazu anregen sollen, für die Befruchtung bereit zu werden.
Doch die Erfolgsquote des Verfahrens ist niedrig. Während bei der normalen Kinderwunschbehandlung inklusive Stimulation mit Hormonen etwa 35 bis 40 Prozent der Frauen schwanger werden, sind es bei der In-vitro-Maturation ohne oder mit nur minimaler Hormonstimulation nur etwa 20 Prozent.
Entsprechend wird die In-vitro-Maturation nur durchgeführt, wenn es nicht anders geht. Das betrifft zum Beispiel Frauen, die aufgrund einer Vorerkrankung ein besonders hohes Risiko einer Überstimulation der Eierstöcke haben. Bei ihnen wendet man nur eine kurze Hormonstimulation an und versucht, die Eizellen möglichst im Labor zur vollen Reife zu bringen.
Ein Startup weckt HoffnungFür viele Frauen ist bis jetzt die höhere Erfolgsquote mit den Hormonspritzen alle Nebenwirkungen wert. Damit die In-vitro-Maturation die konventionelle Behandlung ablöst, müsste sie in puncto Schwangerschaftsrate mit ihr gleichziehen.
Genau dieses Ziel verfolgt das amerikanische Startup Gameto. Es hat das Produkt «Fertilo» entwickelt, das Eizellen zuverlässig ausserhalb des Körpers reifen lassen soll. In den Versuchen werden Frauen die Eizellen nach nur 2 bis 3 Tagen mit Hormonspritzen entnommen. Üblich sind bei der konventionellen Behandlung 10 bis 15 Hormonstimulationen.
Gameto kultiviert die unreifen Eizellen nicht einfach in einer Nährlösung. Stattdessen bringt es die Eizellen mit Helferzellen zusammen, die aus Stammzellen herangezogen wurden. Diese sollen die Eizelle so unterstützen, wie dies auch im Eierstock der Fall wäre. Laut einer Studie der Firma wird mit diesem Verfahren eine Schwangerschaftsrate von 44 Prozent erreicht – leicht besser als die konventionelle Behandlung. Allerdings wurde bisher nur eine kleine Gruppe von Frauen behandelt, alle unter 37 Jahren alt. Ausserdem ist Studie bis jetzt nur als Vorabversion verfügbar und wurde noch nicht von anderen Wissenschaftern begutachtet.
Ein erstes Fertilo-Baby ist bereits vergangenen Dezember in Peru zur Welt gekommen. Nun beginnt das Startup Gameto erste klinische Studien mit seinem Produkt Fertilo in den USA. In diesen wird Fertilo bei mehreren hundert Frauen angewendet werden. Die Forscher wollen untersuchen, ob die Schwangerschaftsrate tatsächlich mit der klassischen Behandlung mithalten kann.
Dass die erste Geburt mithilfe von Fertilo in Südamerika stattgefunden hat, dürfte mit einem Detail zusammenhängen, das die Schweizer Reproduktionsmedizinerin Leeners kritisch sieht: Fertilo setzt Helferzellen ein, die aus Stammzellen herangezogen werden. Diese Stammzellen kommen aber nicht von der Frau, deren Eizellen behandelt werden. Es werden also Zellen zweier Frauen gemischt.
Die Forschung von Gameto wäre hierzulande nicht möglich. Denn in der Schweiz und in Deutschland ist es aus ethischen Gründen verboten, Embryonen zu Forschungszwecken herzustellen.
Eizellen retten, Erfolgsquoten erhöhenDoch die Methode hat das Potenzial, künstliche Befruchtungen grundlegend zu verbessern. Hat das Unternehmen Erfolg, könnte das jedes Jahr Tausenden Frauen eine belastende und langwierige Behandlung ersparen. Allein im Jahr 2023 versuchten 6500 Frauen in der Schweiz, mithilfe künstlicher Befruchtung schwanger zu werden, in Deutschland waren es mehr als 400 000. Oft schlägt der erste Versuch fehl, viele Frauen machen drei oder mehr Behandlungszyklen durch. Auch die Tausende von Frauen, die jedes Jahr ihre Eizellen einfrieren lassen, kommen derzeit an den Hormonspritzen nicht vorbei.
Michael Buholzer / Keystone
Leeners selbst sieht noch einen weiteren Nutzen für die In-vitro-Maturation: Sie könnte die Erfolgsquote der konventionellen Fruchtbarkeitsbehandlung erhöhen. Denn auch mit den klassischen Hormonspritzen reifen die Eizellen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Dadurch kommt es häufig vor, dass ein Teil der entnommenen Eizellen noch unreif ist. «Es ist individuell sehr unterschiedlich, aber häufig sind etwa 40 Prozent aller entnommenen Eizellen unreif», sagt Leeners.
Diese Eizellen könnte man in Zukunft potenziell mithilfe der sogenannten «Rescue-In-vitro-Maturation» retten. Das würde die Anzahl der brauchbaren Eizellen pro Behandlungszyklus deutlich erhöhen. Statt drei oder mehr Zyklen durchzumachen, könnten dann mehr Frauen bereits nach der ersten Behandlung mit einem Baby nach Hause gehen. Auch das würde die Belastung für die betroffenen Frauen deutlich reduzieren.
Leeners hofft, dass irgendwann auch die geringe anfängliche Hormonstimulation unnötig wird. Das würde es ermöglichen, aus einer kleinen Probe von Eierstockgewebe genügend befruchtungsfähige Eizellen zu gewinnen. Benötigt eine junge Frau eine Bauchoperation, beispielsweise weil ihr Blinddarm entfernt wird, könnten die Ärzte vorsorglich auch eine kleine Probe aus den Eierstöcken entnehmen und einfrieren. Diese Eizellen stünden der Frau dann zukünftig jederzeit zur Verfügung.
Damit dieser Traum Realität wird, müssen Wissenschafter den komplexen Reifungsprozess der Eizelle noch besser verstehen. Nur so können sie es der anspruchsvollen Diva in der Petrischale gemütlich genug machen.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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