Hitze in Deutschland: Wir sind nicht machtlos – ein Gastbeitrag

Seit Tagen spricht Deutschland über die Hitze. Doch wieder herrscht Ratlosigkeit darüber, was konkret zu tun ist. Im Mittelpunkt stehen zunächst wir selbst: Was kann ich für mich tun? Und wie sieht es mit meinen Mitmenschen aus? Es geht aber auch darum: Wie sind ausgesprochene Handlungsempfehlungen zu verstehen? Wie setzt man sie am besten um – als Einzelner, aber auch als Gesellschaft?
Eines ist klar: Die Hitze nimmt in ihrer Intensität, Dauer und Häufigkeit zu. Noch komplexer wird das Bild durch die Tatsache, dass Hitze nicht nur die Lufttemperatur ist. Sondern sie ergibt sich aus einer Kombination aus Luftfeuchtigkeit, Windbewegung und Sonnenexposition – also einem „Cocktail“, der zusätzlich durch Wetterbedingungen, Aktivitätsniveau, Kleidung und Verhalten beeinflusst wird. Hinzu kommen Belastungen durch Pollen, Waldbrände und Sommersmog (etwa Ozon).

Andreas Matzarakis ist Bio- und Umweltmeteorologe an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Von 2006 bis 2009 war er Vizepräsident der Internationalen Gesellschaft für Biometeorologie. Außerdem leitete er von 2015 bis 2024 das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Wir wissen eine ganze Menge über Hitze, vor allem, wie sie auf Menschen wirkt und welche Folgen sie hat. Diese reichen von Unwohlsein und verminderter Leistungsfähigkeit über eine Zunahme von Einlieferungen in Krankenhäusern beziehungsweise Arztbesuchen bis zu zusätzlichen hitzebedingten Todesfällen. Zudem verfügen wir über funktionierende Hitzewarnsysteme sowie Hitzeaktionspläne. Es gibt also keine Entschuldigung und keinen Raum zum Jammern. Vielmehr gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich vorzubereiten oder als Betroffener aktiv zu werden.
Wir sind alle von der Hitze betroffen – die einen mehr, die anderen weniger. Es sind nicht nur die Risikogruppen, sondern auch Beschäftigte, egal ob sie draußen oder drinnen tätig sind. Die Tageszeit spielt hier auch eine Rolle. Es gibt zahlreiche Informationsmaterialien und Verhaltensempfehlungen – manchmal sogar zu viel. Die gute Nachricht: Es gibt einfache Tipps und effektive Maßnahmen – und ich spreche hier nicht von den Hitzeaktionsplänen, die viele Menschen überfordern.
Man kann es ziemlich gut und leicht zusammenfassen, was man als Einzelner tun kann:
- Registrieren Sie sich für die Hitzewarnungen (zum Beispiel unter www.hitzewarnungen.de) und nehmen Sie diese ernst.
- Trinken Sie ausreichend.
- Kühlen Sie Ihre Wohnung, indem Sie nur lüften, wenn es draußen kühler ist als drinnen.
- Vermeiden Sie direkte Sonneneinstrahlung. Wenn Sie nach draußen gehen müssen: Bleiben Sie im Schatten. Bäume bieten den besten Schutz; Gebäude können ebenfalls Schatten spenden.
- Vermeiden Sie körperliche Anstrengung während der heißesten Stunden des Tages. Wenn Bewegung notwendig ist: morgens früh oder abends aktiv sein. Achten Sie auf die Ozonwerte am Nachmittag.
- Achten Sie auf Ihre Ernährung: Je leichter das Essen, desto weniger muss der Körper arbeiten, um die Nahrung zu verwerten, und er benötigt weniger Wärmeproduktion. Salate sind zudem gute Wasserlieferanten.
- Kümmern Sie sich um Ihre Mitmenschen: Besonders ältere Menschen oder Personen mit Vorerkrankungen sind gefährdet – sorgen Sie für gegenseitige Unterstützung.
Doch es geht nicht mehr nur um persönliche Empfehlungen und Maßnahmen. Auch Verantwortliche und Entscheidungsträger sind gefragt. Mir ist bewusst, dass kaum Personal und kaum finanzielle Mittel vorhanden sind. Trotzdem müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die enormen Belastungen für den menschlichen Körper zu reduzieren. Alle Organsysteme sind betroffen. Auch die psychischen Folgen des Klimawandels sowie der direkten Hitzeeinwirkung dürfen nicht vernachlässigt werden.

Ein schweißtreibender Sommer in Deutschland, und viele sehnen sich wieder kühlere Temperaturen herbei. Doch warum empfinden Menschen Temperaturen so unterschiedlich? Ein Experte klärt auf.
Sozialschwache Bevölkerungsgruppen haben oft nicht den Zugang zu einer Klimaanlage oder können nicht ohne weiteres eine außergewöhnliche Stromrechnung begleichen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Bereits vorhandene Angebote wie Klimasprechstunden bei Ärztinnen und Ärzten oder Informationsmaterial sollten besser genutzt und gezielt kommuniziert werden. Verwaltungen können bestehende Maßnahmen „hitzerelevant“ aufbereiten und schnell umsetzen – inklusive Einbindung des Personals.
Es braucht keine teuren Lösungen. Wir sollten Maßnahmen priorisieren, die sich schnell umsetzen lassen.
Selbstverständlich brauchen wir auch Städte mit einer hohen Lebensqualität. Meistens denken wir, dass bei Hitze mehr Grün in der Stadt erforderlich ist und alles damit gelöst werden kann. Wichtig sind am Ende aber drei Faktoren:
- Mehr Schatten durch Bäume mit breiter Krone, idealerweise in Kombination mit geeigneter Platzgestaltung.
- Langstämmige Bäume, um Ventilation zu fördern und Luftschadstoffe besser zu verfrachten.
- Vertikale Fassaden können verdunsten und so zur Abkühlung beitragen.
Diese Faktoren sollten bei der Planung und beim Bau berücksichtigt werden – nicht nur Stadt- und Landschaftsplaner, sondern auch Architekten spielen hier eine wichtige Rolle.
Grundsätzlich gilt es bei Hitzewarnungen und auch moderateren Temperaturen, wachsam zu sein – insbesondere bei hoher Luftfeuchtigkeit oder niedrigen Nachttemperaturen zur Abkühlung. Passen Sie Ihr Verhalten an die Situation an – meiden Sie die Mittagssonne, bewegen Sie sich nur bei kühleren Temperaturen im Park mit vielen Bäumen; ältere Menschen brauchen mehr Zeit für Wege im Freien.
Der Klimawandel und vor allem extreme Hitze und Hitzewellen sind kein Hype mehr, sondern sie sind längst Realität geworden. Unser Ziel sollte sein: Nicht nur die hitzebedingte Mortalität zu senken, sondern dafür zu sorgen, dass wir langfristig eine gute Lebensqualität haben. Dabei dürfen wir nicht nur auf kurzfristige Maßnahmen setzen; es ist ebenso essenziell, die Ursachen des Klimawandels anzugehen – Klimaschutz und Anpassung gehören untrennbar zusammen.
rnd