Kampf mit China: Wer bestimmt den nächsten Dalai Lama?

Für ein Späßchen ist er immer zu haben. Ein starres Protokoll hingegen, das scheint absolut nichts für den Dalai Lama zu sein. So manchem bleiern-ernsten Gespräch über gewichtige Probleme hat er mit dem ihm ureigenen fröhlichen Kichern im Nu die Schwere genommen. Im Grunde ist es zum wichtigsten Markenzeichen des geistlichen Oberhaupts der Tibeter geworden – mehr noch als die traditionelle orangefarbene Robe buddhistischer Mönche oder die große Brille mit ihren runden Gläsern. Denn wenn der Dalai Lama herzlich auflacht, fliegt seine Stimme dabei in schier bemerkenswerte Höhen, und für nicht wenige ist diese Herzlichkeit geradezu ansteckend.
Das unprätentiöse Auftreten bei seinen Reisen rund um den Globus hat dem Friedensnobelpreisträger des Jahres 1989 über Jahrzehnte hinweg grenzenlose Sympathien eingebracht: Der Dalai Lama, was so viel bedeutet wie „Ozean der Weisheit“, ist das verkörperte Weltgewissen – gleichauf mit dem Papst in Rom. Zuletzt jedoch ist es ruhiger geworden um den exilierten Gottkönig der Tibeter, was an seinem hohen Alter liegt: An diesem Sonntag, 6. Juli, wird er nämlich stolze 90 Jahre alt. Gefeiert werden soll das mit einem kleinen Empfang im Tempel des Dalai Lama im tibetischen Exilzentrum im indischen Dharamsala, einer Stadt im Vorgebirge des Himalajas. Hierhin war er vor fast sieben Jahrzehnten geflohen, nachdem die chinesische Armee in Tibet einmarschiert war und dort einen Volksaufstand niedergeschlagen hatte.
Pünktlich zum runden Geburtstag haben die wildesten Nachfolge-Spekulationen derzeit Hochkonjunktur. Belastbar sind sie mitnichten. Schon die Ausgangslage ist vertrackt: Der aktuelle Amtsinhaber ist die 14. Reinkarnation des Dalai Lama, und nach einer Prophezeiung wird es eines Tages einmal 17 Reinkarnationen gegeben haben. Aber schon 2014 erklärte der jetzige Dalai Lama, dass es gar nicht ausgemacht sei, dass ihm überhaupt jemand im Amt folgen müsse. Wenn jedoch, dann werde er „in der freien Welt“ wiedergeboren – und ganz eindeutig nicht in der Volksrepublik China. Der dort regierenden Kommunistischen Partei ist der Dalai Lama als Symbolfigur des gewaltlosen Widerstands nämlich seit langem ein Dorn im Auge. Und Experten sind sich daher sicher, dass Peking im Falle seines Todes alsbald eine eigene 15. Reinkarnation präsentieren wird. Sicher ist also nur eines: Stirbt der Dalai Lama, ist Chaos vorprogrammiert.
Penpa Tsering,
exiltibetischer Regierungschef
Als mögliche Lösung für das sich abzeichnende Dilemma zweier konkurrierender Nachfolger erschien so manchem daher eine absolut unorthodoxe Idee: Noch zu Lebzeiten solle Lhamo Thondup, wie der aktuelle Amtsinhaber mit Geburtsnamen heißt, beziehungsweise Tenzin Gyatso, wie sein Mönchsname lautet, einen neuen Dalai Lama ernennen. Diesen Lösungsansatz jedoch verwirft der exiltibetische Regierungschef Penpa Tsering sofort. Die sogenannte Emanation sei nun einmal nicht üblich, und sie würde unter den Gläubigen nur auf Unverständnis stoßen, ist er sich sicher. Stattdessen hofft er, dass diese Frage so bald auch gar nicht entschieden werden müsse: „Für sein Alter, mit 90 Jahren, geht es seiner Heiligkeit meiner Meinung nach fantastisch, also müssen wir uns um ihn keine Sorgen machen.“
Auch der Dalai Lama selbst erklärt, dass er gern noch etliche Jahre leben und seinen Mitmenschen helfen wolle. Noch immer steht er täglich zu noch nachtschlafender Zeit auf, betet und meditiert zunächst, und informiert sich sodann beim Frühstück übers aktuelle Weltgeschehen. All das Negative der Welt blende er nicht aus, heißt es aus seinem Umfeld, vielmehr setze er ihm noch immer die Kraft des Guten entgegen. Etwa, indem er seine Stimme in globalen Zukunftsfragen erhebt, beispielsweise die brachialen Umweltfrevel der Gegenwart anprangert und zu mehr Anstrengungen im Klimaschutz aufruft.
Da er aufgrund der Gebrechen des Alters heutzutage jedoch weniger als früher reist, gelingt es dem Dalai Lama nicht mehr ganz so zuverlässig wie einst, mit diesen Botschaften in die Meldungsspalten der Zeitungen zu kommen. In den 90er-Jahren hingegen waren seine Auftritte etwa bei Kirchentagen echte Publikumsmagneten, und das mediale Echo in der ganzen Bundesrepublik entsprechend gewaltig.
Für fette Schlagzeilen sorgte der Mönch vor gut zweieinhalb Jahren stattdessen mit einer bizarren Videosequenz, die an seinem Image als moralische Instanz gekratzt hat. In der Aufnahme küsst er einen Jungen auf den Mund und streckt ihm die Zunge hin. Verbunden mit der Aufforderung, er möge sie ihm doch lutschen. Auf Social Media werfen ihm Userinnen und User direkt vor, pädophil zu sein. Einen solchen Shitstorm gegen den spirituellen Führer der Buddhisten hatte es zuvor noch nicht gegeben.
Der Dalai Lama bittet öffentlich um Entschuldigung. Er „necke“ eben gerne, versucht er sein sonderbares Verhalten zu erklären. Das überzeugt aber längst nicht alle: Betroffene von sexuellem Missbrauch etwa kritisieren seine Worte als verharmlosend. Tatsächlich wurde auch diese Weltreligion immer wieder von teils schweren Missbrauchsfällen erschüttert, und dem Dalai Lama wird vorgeworfen, nicht entschieden genug gegen sexuelle Übergriffe innerhalb der buddhistischen Gemeinschaften vorgegangen zu sein.
Er selbst sagt dazu, er sei „nicht der Papst“. Er habe daher „nicht die Macht, jemandem die Robe abzunehmen“. Immer wieder riet er Opfern stattdessen, sämtliche Verfehlungen von Einzelnen publik zu machen – damit staatliche Stellen gegen die Beschuldigten ermitteln könnten. „Kein buddhistischer Lehrer steht über dem Gesetz“, so betont er stets.
Anders als das Christentum, das Judentum oder der Islam ist der Buddhismus keine „Glaubensreligion“, sondern wie der Hinduismus, Daoismus und Konfuzianismus eine „Erfahrungsreligion“. Im Mittelpunkt stehen hier keine strengen Gebote oder religiösen Vorschriften. Vielmehr kommt der Buddhismus einer philosophischen Lehre gleich, nach der es jedem Menschen möglich ist, die Erleuchtung zu erlangen. Und das kommt gut an in der westlichen Welt.
Der Dalai Lama lehne es jedoch ausdrücklich ab, „leichtfertig“ die Religion zu wechseln. Der Religionswissenschaftler Michael von Brück, ein langjähriger Gesprächspartner des Dalai Lama, beschreibt es folgendermaßen: Die Religionen sollten nach der Auffassung des Dalai Lama voneinander lernen. So könne das Christentum den Buddhisten praktische Formen der Nächstenliebe zeigen, und Christen könnten von Buddhisten etwa Techniken der Meditation lernen.
rnd