Kinder leiden vermehrt unter Ängsten – fehlen ihnen freies Spiel und der Umgang mit Herausforderungen?


Mit einer befreundeten Lehrerin sprach ich kürzlich über ein Mädchen, das aufgrund von Panikattacken nur sporadisch in die Schule kommt. Und darüber, dass solche Fälle immer häufiger werden. Im Gespräch kamen wir auch auf das Buch «Generation Angst» des Psychologen Jonathan Haidt, der dafür die digitalen Medien verantwortlich macht. Er belegt dies mit Zahlen, die eine Korrelation zwischen der Nutzung von Smartphones und Angsterkrankungen sowie Depressionen nahelegen.
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In dieser Kolumne werfen Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin und Gesundheit.
Allerdings stellten Wissenschafter schon lange vor dem Aufkommen der sozialen Netzwerke eine Zunahme von psychischen Erkrankungen bei Kindern fest. Schon im ausgehenden 20. Jahrhundert war die Rede von einem «Zeitalter der Angst».
Der Psychologe Peter Gray vom Boston College sieht das Problem in der Abnahme von unabhängigen Aktivitäten jüngerer Kinder. Kinder verbrächten heute mehr Zeit in der Schule und bei betreuten Aktivitäten als damit, spielend durchs Quartier zu ziehen. Unbeaufsichtigtes Spielen sei jedoch nicht nur beliebt bei Kindern, die Kleinen lernen dabei laut Gray auch, sich zu behaupten und selbständig Probleme zu lösen. Das fördere die Autonomie, ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und die soziale Einbindung.
Dazu gehören auch unangenehme Erfahrungen. Manchmal begeben sich Kinder in Gefahren, die eine Aufsichtsperson sofort unterbände. Doch egal ob sie aufgrund des Gruppendrucks ihre Ängste überwinden oder ob sie sich dem Druck widersetzen: Die Auseinandersetzung mit solchen Entscheidungen bereitet sie auf spätere Herausforderungen vor.
Von Helikoptern und RasenmähernIch selbst habe mich nie als Helikoptermutter gesehen, die ständig beschützend über ihrem Kind kreist. Aber mit dem Begriff der «Rasenmäher-Eltern», die ihrem Kind alle Probleme aus dem Weg mähen, fühle ich mich stellenweise ertappt. Wie oft versuche ich, meinen Kindern unangenehme Erfahrungen zu ersparen? Wenn es zu stark regnet, fahre ich sie mit dem Auto ins Training. Oder ich mische mich in Streitereien ein, um zu schlichten. Womöglich ist das für ihre Entwicklung auf Dauer kontraproduktiv.
Ob nun soziale Netzwerke oder ein Mangel an freiem Spiel der wahre Grund für die steigende Zahl psychischer Probleme sind? Beide Erklärungen klingen plausibel, aber sie lassen sich schwer mit Studien überprüfen. Unsere Psyche ist komplex, statistische Korrelationen geben bestenfalls Hinweise.
Die Crux ist, dass man nicht weiss, ob es sich um eine Ursache oder eine Folgeerscheinung handelt. Geht es einigen Jugendlichen schlechter, weil sie sich so häufig in den sozialen Netzwerken bewegen, oder verbringen Kinder, denen es schlechtergeht, mehr Zeit mit dem Handy? Sind Kinder sozialer und weniger ängstlich, weil sie unabhängig spielen können, oder ist es umgekehrt?
Was mir persönlich am Erklärungsansatz von Gray gefällt: Er ermutigt mich, meinen Kindern mehr Eigenständigkeit zuzutrauen. Mich entlastet das jedenfalls stellenweise. Und bei ihnen kommt es auch gut an, wenn sie mehr Freiraum bekommen – gemault wird nur, wenn sie jetzt mit dem Velo durch den Regen zum Sport fahren müssen.
Bereits erschienene Texte unserer Kolumne «Hauptsache, gesund» finden Sie hier.
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