Sollten ChatGPT und Co. kostenlos sein?

Bei KI diskutieren wir hierzulande gern über Ethik, Regulierung und Gemeinwohl – aber ungern über Skalierung, Monetarisierung und Rendite. Das muss sich ändern, sagt ein KI-Experte.
Ein Beitrag von Fabian Westerheide. Er ist Gründungspartner des KI-fokussierten Venture-Capital-Investors AI.FUND und investiert seit 2014 privat über Asgard Capital in KI-Unternehmen. Westerheide berät öffentliche und private Institutionen strategisch im Bereich KI und lädt jährlich zur KI-Konferenz Rise of AI nach Berlin ein.
ChatGPT ist kostenlos. Zumindest für die allermeisten. Rund 97 Prozent aller Nutzer verwenden die Gratisversion – und das gilt nicht nur für ChatGPT, sondern auch für Alternativen wie Claude von Anthropic oder Gemini von Google. Das Wissen der Welt scheint frei zugänglich zu sein, jederzeit und überall.
Doch wie so oft im Leben: Wer mehr will – schnellere Antworten, größere Kontexte, verlässlichere Funktionen – muss zahlen. Das ist freiwillig, betrifft vor allem berufliche Anwendungsfälle und entspricht dem Freemium-Modell, das sich in der digitalen Wirtschaft längst durchgesetzt hat.
Die Frage ist also nicht: „Warum kostet das etwas?“ Sondern eher: „Wie lange kann es überhaupt noch kostenlos bleiben?“
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Oft höre ich: „Aber die KI wurde doch mit dem Wissen der Menschheit trainiert. Warum gehört sie dann einer privaten Firma?“ Eine verständliche Frage – aber auch eine verkürzte Sicht.
Denn zwischen „öffentlich zugänglichem Wissen“ und „marktfähiger Intelligenz“ liegt ein riesiger technologischer und finanzieller Aufwand. Allein das Training großer Sprachmodelle kostet heute hunderte Millionen Euro. Der tägliche Betrieb – also das Beantworten von Anfragen – ist energetisch und technologisch hochintensiv. ChatGPT, Claude oder Gemini sind keine Bücher, sondern laufende Infrastrukturen. Sie müssen skaliert, gesichert und ständig weiterentwickelt werden.
Wer bezahlt das? Sicher nicht der Staat. In den USA wie in Europa sind es private Investoren, die Kapital bereitstellen – in der Hoffnung auf Rendite.
Und genau deshalb brauchen solche Firmen ein Geschäftsmodell. Wer kein Geld verdient, bekommt keins. So funktioniert der Markt.
In Europa dagegen diskutieren wir gern über Ethik, Regulierung und Gemeinwohl – aber ungern über Skalierung, Monetarisierung und Rendite. Man sieht das an Projekten wie dem „LEAM“-Konsortium oder OpenGPT-X – viel Interesse, viele Stakeholder, viele PDF-Strategien. Aber wenn es um konkrete Investitionen geht, wird es still. Ohne Geschäftsmodell, ohne unternehmerisches Risiko – keine echte Innovation.
Dabei gibt es erfolgreiche KI-Startups aus Deutschland, die genau diesen Weg gehen – allerdings nicht in der Breite, sondern in der Tiefe.
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DeepL zum Beispiel hat sich nicht vorgenommen, „das bessere ChatGPT“ zu werden. Stattdessen liefert das Unternehmen erstklassige Übersetzungstechnologie für Geschäftskunden – spezialisiert, fokussiert, profitabel.
Auch Noxtua geht einen anderen Weg: Statt einen Massenmarkt zu bedienen, entwickeln sie branchenspezifische LLM-Lösungen für Juristen. Weniger Buzzwords, mehr Substanz.
Diese Unternehmen zeigen: Es muss nicht immer das große Modell für alle sein. Auch Nischen können skalieren – wenn der wirtschaftliche Rahmen stimmt.
Die Frage „Sollte KI kostenlos sein?“ lenkt letztlich vom eigentlichen Problem ab: Wenn wir in Europa eigene Modelle und Alternativen entwickeln wollen, brauchen wir nicht nur exzellente Forscher, sondern auch eine klare wirtschaftliche Vision. KI ist keine öffentliche Bibliothek, sondern eine Infrastruktur – und die kostet Geld. Viel Geld.
Kostenlos ist KI nur auf den ersten Blick. Dahinter steht ein Markt, der von Kapital, Kalkül und Kommerz getrieben wird. Wer daran teilhaben will, muss mitspielen – nicht nur mitreden.
businessinsider