Die Weltwirtschaft kämpft mit Schwachstellen

Ayhan Köse, stellvertretender Chefökonom und Direktor der Expectations Group der Weltbank, erklärte, man habe seine Wachstumsprognosen aufgrund der Schwäche der Weltwirtschaft gesenkt. Kurzfristig seien Preisstabilität, Haushaltsdisziplin, die Reduzierung der Haushaltsdefizite und die Eindämmung des Schuldenproblems erforderlich, während mittel- und langfristig Strukturreformen, die Steigerung des Humankapitals und der Produktivität sowie eine Verbesserung des Geschäftsumfelds erforderlich seien. Köse beantwortete am Hauptsitz der Weltbank in Washington Fragen eines AA-Korrespondenten zur Weltwirtschaft. Mit Bezug auf die Ergebnisse des Global Economic Expectations Report, der letzte Woche von der Weltbank veröffentlicht wurde, sagte Köse: „Die Weltwirtschaft weist sehr ernste Schwächen auf. Diese Schwächen werden in der kommenden Zeit in gewisser Weise anhalten.“ Köse erklärte, man habe seine Wirtschaftswachstumsprognose aufgrund der Schwäche der Weltwirtschaft nach unten korrigiert und erwarte für dieses Jahr ein Wachstum der Weltwirtschaft von 2,3 Prozent, was unter den Schätzungen von 2,7 Prozent zu Jahresbeginn liege. „DER WACHSTUMSTREND HAT SICH IN DEN LETZTEN 25 JAHREN ABGELAUFEN“ Köse wies darauf hin, dass 70 Prozent der Volkswirtschaften ihre Wachstumsprognosen gesenkt hätten. Er erklärte, dass die Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums teilweise dauerhaft und teilweise aufgrund struktureller Probleme vorübergehend sei. Köse äußerte sich wie folgt: „Die Entscheidungen der politischen Entscheidungsträger werden den Verlauf der Weltwirtschaft bestimmen. Langfristig, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklungen dieses Jahrhunderts, ist der Wachstumstrend in den letzten 25 Jahren jedoch rückläufig. In den 2000er Jahren verzeichneten wir ein durchschnittliches Wachstum der Weltwirtschaft von 5 Prozent, insbesondere in den Entwicklungsländern. Diese Zahlen sanken 2010 auf 4 Prozent und liegen nun bei etwa 3,5 Prozent. Wir erwarten auch in der kommenden Zeit einen Rückgang. Grund dafür sind rückläufige Investitionen und ein rückläufiges Bevölkerungswachstum. Da wir infolgedessen nicht die gewünschten Produktivitätsergebnisse erzielt haben, führt der Produktivitätsrückgang zu niedrigeren Wachstumszahlen.“ „DER REFORMAPPETIT DER LÄNDER HAT ABGENOMMEN“ Köse betonte, dass die von den politischen Entscheidungsträgern kurz-, mittel- und langfristig umzusetzenden Maßnahmen für das Wirtschaftswachstum von großer Bedeutung seien. Kurzfristig seien die Gewährleistung von Preisstabilität, Haushaltsdisziplin, die Reduzierung der Haushaltsdefizite und eine ernsthafte Kontrolle des Schuldenproblems wichtig, während mittel- und langfristig Strukturreformen, die Steigerung des Humankapitals und der Produktivität sowie die Verbesserung des Geschäftsumfelds von Bedeutung seien. Köse bemerkte Folgendes: „Weltweit beobachten wir seit den 2000er Jahren einen deutlichen Rückgang der Investitionen, insbesondere in Entwicklungsländern. Sowohl die Auslandsinvestitionen als auch das Wachstum der Inlandsinvestitionen nehmen ab. Dafür gibt es globale und länderspezifische Gründe. Global betrachtet gibt es sehr ernste Konflikte in Handelsfragen, die geopolitischen Spannungen haben stark zugenommen, und die politische Unsicherheit hat ein nie dagewesenes Niveau erreicht. Länderweise betrachtet, sind die Reformbewegungen und -programme der 2000er Jahre nicht mehr vorhanden. In vielen Ländern hat die Reformbereitschaft deutlich stärker abgenommen. Reformen sind sehr wichtig, da ausländisches Kapital ein wichtiger Faktor ist. Damit privates Kapital ins Land strömen oder die Investitionen deutlich steigen können, muss das Geschäftsumfeld gestärkt werden. Dies ist natürlich durch die Stärkung der Institutionen, die Umsetzung finanzpolitischer Maßnahmen und die Gewährleistung von Preisstabilität möglich.“ Der Wettbewerb zwischen den USA und China wird sich nicht in kurzer Zeit lösen lassen. Auch die zunehmenden Handelsspannungen werden angesprochen. Köse sagte: „Die großen Länder, die USA und China, stehen in dieser Frage in einem sehr harten Wettbewerb. Es erscheint derzeit unwahrscheinlich, dass dieser Wettbewerb kurzfristig gelöst wird.“ Köse erklärte, dass Entwicklungs- und Industrieländer ein großes Interesse an Handelsabkommen erkennen und dass diese Länder insbesondere regionale Abkommen schließen, um den Handel zu steigern, neue Märkte zu erschließen und Investitionen zu erhöhen. Ayhan Köse sagte: „Einerseits werfen die Spannungen zwischen den großen Ländern natürlich einen sehr ernsten Schatten auf den Welthandel, zwingen aber gleichzeitig andere Länder, aktiver Handelsabkommen zu schließen.“ „DER RÜCKGANG DER INFLATION KÖNNTE AUCH IN DIESEM JAHR ÜBERWUNDEN WERDEN.“ Köse schätzte auch die Erwartungen für die globale Inflation ein und sagte: „Wir gehen davon aus, dass der Rückgang der Inflation in diesem Jahr etwas verzögert eintreten wird.“ Wir gehen jedoch davon aus, dass wir im nächsten Jahr einen besseren Punkt erreichen werden.“ Köse erklärte, dass die Inflation im Dienstleistungssektor in diesem Jahr, insbesondere in den Industrieländern, weiterhin „starr“ sei und dass ein weiterer Inflationsrückgang prognostiziert werde, wenn auch mit Verzögerung. Er betonte, dass die Zentralbanken ihre Politik zur Erreichung der Inflationsziele deutlich aktiver gestalten müssten und sagte, dass sie dies der Öffentlichkeit deutlich erklären müssten. Eine Verschlechterung der Inflationserwartungen müsse verhindert und die Erwartungen nahe an den Inflationszielen gehalten werden. Dies sei in manchen Ländern leicht, in anderen deutlich schwieriger zu erreichen. Neben den Maßnahmen der Zentralbanken zur Inflationsbekämpfung sei es auch sehr wichtig, die Haushaltsdefizite im öffentlichen Sektor zu kontrollieren. Köse wies darauf hin, dass die zunehmenden Spannungen im Nahen Osten einen erheblichen Aufwärtsdruck auf die Energiepreise ausübten: „Wir müssen all dies beobachten: wie lange die Spannungen anhalten, wie sie sich auf die Ölreserven und die Ölproduktion, insbesondere im Nahen Osten, auswirken und wie sich dies auf die Weltmarktpreise auswirken wird. Wenn wir dies sehen, können wir das Inflationsbild viel besser verstehen.“ „POLITIKER MÜSSEN VERLÄSSLICHE POLITIK VORLEGEN“ Auf die Frage, ob er hoffnungsvoll in die Zukunft der Weltwirtschaft blicke, sagte Köse: „Natürlich müssen wir hoffnungsvoll und optimistisch sein. Wenn wir nicht optimistisch sind, müssen wir aufhören. Aber dieser Optimismus muss auch mit Vorsicht betrachtet werden.“ Köse wies auf die große Unsicherheit hin und führte weiter aus: „Insbesondere die politische Unsicherheit hat einen historischen Höchststand erreicht. Die geopolitischen Spannungen haben stark zugenommen. Wir befinden uns zudem in einer Phase, in der neben der globalisierungsfreundlichen und globalisierungsorientierten Politik auch protektionistischere Maßnahmen aufgekommen sind. Insbesondere die letzten fünf Jahre zeigen, dass die Weltwirtschaft Schocks besser standgehalten hat als erwartet.“ Es begann mit der Pandemie, dann kam es zu schwerwiegenden Störungen der Lieferketten, dann zu einem rasanten Anstieg der Inflation, schließlich zum Russland-Ukraine-Krieg und nun zu den Entwicklungen im Nahen Osten. All dies geschah in kürzester Zeit und stellt einen schweren Schock für die Weltwirtschaft dar. Bisher gab es starken Widerstand, und wir hoffen, dass dieser Widerstand anhält. Die rückläufigen Wachstumsprognosen sind offensichtlich. Die politischen Entscheidungsträger müssen ernsthafter über kurz- und mittelfristige, verlässliche Maßnahmen nachdenken. Wenn dies geschieht, werden wir zuversichtlicher sein.
ntv