Das Geheimnis hinter Israels Startup-Erfolg: Die Eliteeinheit 8200 der IDF

Tel Aviv ist das dynamische Zentrum der israelischen Startup-Welt, Heimat junger Gründerinnen und Gründer, Investoren und Tech-Profis – und ein Magnet für internationale Talente.
Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 steht das Land mehr denn je im Zentrum des Nahost-Konflikts. Die Lage verschärfte sich weiter durch israelische Luftschläge gegen Ziele im Iran sowie durch amerikanische Angriffe auf das iranische Atomprogramm.
Wer in Tel Aviv kein Startup gründet, ist ‚weird‘
Wie eine der innovativsten Tech-Szenen der Welt auch unter anhaltender Bedrohung bestehen und sogar florieren kann, lässt sich nirgendwo besser beobachten als in Tel Aviv.
Über die Jahre haben israelische Startups Strukturen und eine besondere Mentalität entwickelt, die es ihnen ermöglichen, trotz extrem schwieriger Bedingungen weiterzumachen. Darüber haben wir mit Barak Rabinowitz gesprochen. Er ist Managing Partner des israelischen VC-Fonds F2 Venture Capital.
Als wir Rabinowitz erreichen, befindet er sich im Homeoffice in Tel Aviv. Ins Büro geht momentan niemand mehr, Schulen bleiben geschlossen. Sein Smartphone liegt ständig griffbereit neben ihm – auch während unseres Gesprächs.
In Israel ist das Handy zur Lebensversicherung geworden: Etwa zehn Minuten vor einem Raketenangriff sendet die Regierung eine Warnmeldung aufs Smartphone. Rund 90 Sekunden vor dem Einschlag heulen dann die Sirenen. Laut Rabinowitz bleibt genau diese Zeit, um rechtzeitig einen Schutzraum zu erreichen.

Er selbst war an diesem Tag bereits für 20 Minuten in einem solchen Schutzbunker. Die Atmosphäre sei gelassen gewesen: „Alle haben auf ihren Handys Spiele gespielt und sich die Zeit vertrieben“, beschreibt Rabinowitz.
Diese ständige Alarmbereitschaft wirkt mittlerweile fast normal. Laut Rabinowitz gibt es in den meisten Schutzräumen WLAN oder zumindest Handyempfang, manche führen sogar Video-Calls von dort aus weiter.
Obwohl Business weiterläuft, hat sich das gesellschaftliche Klima verändert. Rabinowitz beschreibt es so: „Wenn es keinen Notfall gibt, haben wir gesellschaftliche Spannungen.“ Doch im Krisenfall, besonders bei einer existenziellen Bedrohung, stelle sich „hundertprozentige Einheit“ ein. Menschen kehren aus dem Ausland zurück, engagieren sich freiwillig oder organisieren Unterstützung für andere.
Ein Startup zu gründen, gehört in Tel Aviv mittlerweile fest zur sozialen Identität. Rabinowitz sagt: „Wer kein Startup gründet, ist ‚weird‘.“ Allein 2024 flossen rund 10,4 Milliarden Euro (12 Milliarden Dollar) in israelische Startups – etwa ein Drittel mehr als im Vorjahr.
In diesem Jahr dürfte diese Summe noch deutlich übertroffen werden. Im März kündigte Google an, das israelische Cybersecurity-Startup Wiz für 27,6 Milliarden Euro (32 Milliarden Dollar) zu übernehmen.
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Dieser Deal markiert nicht nur den größten Exit der israelischen Geschichte, sondern sogar den größten Private-Tech-M&A-Deal weltweit – „und das während der laufenden Konflikte“, wie Rabinowitz betont.
Grundsätzlich ist die Startup-Szene in Tel Aviv daran gewöhnt, auch in Krisenzeiten weiterzumachen. Wie Rabinowitz erklärt, beeinflussen „makroökonomische Faktoren den Markt hier weitaus stärker als jeder lokale Krieg“, denn Konflikte gehörten in Israel „ziemlich häufig“ zum Alltag.
Als konkretes Beispiel nennt Rabinowitz eine Rentenreform vor etwa 18 Monaten, durch die israelische Sparer erstmals die Möglichkeit erhielten, ihre Rentengelder passiv in den S&P 500 umzuschichten. Laut ihm führte dies dazu, dass massiv Kapital von heimischen VC-Fonds abgezogen wurde. Dieser Effekt habe die Liquidität in der Szene deutlich stärker reduziert als jeder Raketenangriff.
Das Zentrum der Startup-Szene in Tel Aviv befindet sich im Stadtteil Sarona – direkt gegenüber vom Hauptquartier der israelischen Streitkräfte (Israel Defense Forces, IDF).
„Du kannst quasi sehen, wie Soldaten ihre Entlassungsformulare bekommen und in unser Büro kommen, um Geld für ihr Startup einzusammeln“, beschreibt der Investor.

Tatsächlich sind Militärdienst und Startup-Kultur in Tel Aviv eng miteinander verknüpft. Ohne Wehrpflicht und die ständige Bedrohungslage gäbe es die israelische Startup-Szene nicht in der heutigen Form, meint er.
Insbesondere Eliteeinheiten wie die Unit 8200 wirken dabei wie eine inoffizielle Kaderschmiede für Tech-Talente. Die Unit 8200 hat sich auf Signalaufklärung und Cyberkriegführung spezialisiert. Die Einheit ist somit ein Brutkasten für Entrepreneure im Bereich Hightech, Cybersecurity, AI und Big Data. Auch Wiz ist daraus entstanden.
Zudem lernen Soldaten, Verantwortung zu übernehmen und unter großem Druck leistungsfähig zu bleiben. Teamwork spielt im Militär ohnehin eine zentrale Rolle.
Man erhält eine gemeinsame Mission und es wird einem gesagt: Geht und setzt sie um.
Viele Gründerteams hätten sich bei der IDF kennengelernt, erzählt Rabinowitz. „Man wird mit Leuten zusammengebracht, die man normalerweise nicht treffen würde“, beschreibt der Investor diese Dynamik. „Man erhält eine gemeinsame Mission und es wird einem gesagt: Geht und setzt sie um.“
Ein weiterer Vorteil des Militärdienstes: Anders als Universitäten erhebt die Armee keinen Anspruch auf geistiges Eigentum, das während der Dienstzeit entsteht. Dadurch können ehemalige Soldaten Technologien direkt in ihre Startups übertragen – beispielsweise aus den Bereichen Data, AI, Security oder Satellitentechnik.
Die Szene sei nicht trotz, sondern gerade wegen der Krisen so innovativ und widerstandsfähig geworden. „Gegenüber dem Rest der Region werden wir immer zahlenmäßig im Nachteil sein – daher brauchen wir Technologie, um diese Lücke zu schließen“, erklärt der Investor die Hintergründe.
Aus Technologien, die ursprünglich entwickelt wurden, um das Land in Konfliktsituationen zu verteidigen, entstehen oft auch ganz neue Geschäftsmodelle.
Manchmal ist das Abstrakte beängstigender als die Realität.
So investierte F2 Venture Capital beispielsweise in das Infrastruktur-Startup 4M-Analytics. Die Gründer kommen ursprünglich aus einer Division, die anhand von Satellitenbildern Veränderungen an der Erdoberfläche erkennt – etwa um festzustellen, wo Raketen eingeschlagen oder Landminen gelegt worden sind.
„Jetzt haben sie diese Technologie für die Bauindustrie umfunktioniert“, beschreibt Rabinowitz den Transfer in zivile Anwendungsfelder.
Trotz der angespannten Sicherheitslage blicken viele Investoren mit überraschendem Optimismus auf Tel Avivs Startup-Welt. Rabinowitz führt das unter anderem darauf zurück, dass für ausländische Investoren Israels „geopolitisches, existenzielles Risiko“ lange schwer quantifizierbar und abstrakt war. „Und manchmal ist das Abstrakte beängstigender als die Realität“, beschreibt er den Effekt.
Nachdem nun das schlimmste Szenario eingetreten sei und Israel daraus weitgehend unbeschadet hervorgegangen ist, zeigen sich einige Investoren sogar optimistischer („bullish“) als zuvor, erläutert der VC-Partner.

Ein weiterer Faktor sei, dass aktuell deutlich weniger Startup-Mitarbeiter militärisch eingezogen wurden als nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023, als fast 50 Prozent betroffen waren.
Jetzt seien es laut Rabinowitz maximal 5 Prozent, da der Konflikt derzeit als Luftkrieg ohne Bodenoffensive geführt werde. Dies erleichtere es den Unternehmen, ihr Geschäft fortzuführen.
Doch es gehe nicht allein um frisches Kapital: Laut Rabinowitz spielen VCs auch bei der mentalen Unterstützung der Gründer eine wichtige Rolle.
„Mentale Gesundheit ist ein zentraler Hebel“, betont er. Die Gründer hätten zwar die technischen Fähigkeiten, entscheidend sei jedoch ihre mentale Haltung, „die ihnen hilft, Phasen der Unsicherheit zu überstehen“.
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Deshalb arbeitet F2 Venture Capital beispielsweise gezielt mit Psychologinnen zusammen, um Gründer in schwierigen Phasen zu begleiten.
In einem Ökosystem, das ständig zwischen Innovation und Ausnahmezustand schwankt, ist mentale Resilienz ein entscheidender Faktor.
businessinsider