Meine Freunde sind Vielflieger – darf ich das kritisieren?

»Ich versuche, klimaschonend zu leben. Dazu gehört, dass ich selten fliege. Nun habe ich viele Freunde, die dreimal jährlich in den Urlaub fliegen, teilweise in Kombination mit einer Kreuzfahrt. Da fehlt mir das Verständnis, und ich finde es mit Blick auf unsere Umwelt egoistisch. Wenn die Freunde mir von ihren Urlaubsplänen erzählen, behalte ich diese Sicht für mich, betone aber, wenn es um meine Pläne geht, dass ich aus Klimaschutzgründen nicht fliegen möchte. Danach fühle ich mich immer feige, keine kritischen Nachfragen zur Vielfliegerei zu stellen. Einerseits finde ich, dass es mich nichts angeht, andererseits denke ich, dass es möglich sein muss, offen über solche Sichtweisen zu sprechen.« Bettina W., München
Ich finde Ihre Frage sehr süß, weil Sie sich im Grunde nur vergewissern wollen, ob Sie sich trauen dürfen, mit Ihren Freunden kontrovers zu diskutieren. Nur zu, möchte man Ihnen zurufen. Sie haben sich zu diesem Thema bestimmt viele Gedanken gemacht, und es kann ein spannendes Gespräch werden.
Allerdings lassen sich die meisten Menschen halt wirklich nur sehr ungern erziehen. Gerade wenn ihnen jemand mit Moral kommt. Erinnern Sie sich an die Pandemie – und die Wut, mit der viele auf Appelle reagierten, ans Gemeinwohl zu denken und nicht dauernd illegale Abendessen zu veranstalten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch nur eines dieser Abendessen abgesagt wurde, weil dem Gastgeber während eines solchen Gesprächs plötzlich klar wurde: Oh nein, ich habe ja gar nicht ans Gemeinwohl gedacht, nun sehe ich ein, hier irre ich! In der Regel neigt der Mensch in solchen Situationen zu Trotz. Eine Einsicht kommt, wenn überhaupt, manchmal erst Jahre später. Und zwar dann, wenn dieser Mensch ganz von allein zu einer Neubewertung der Situation gelangt.
Ich meine aus Ihrer Frage herauszulesen, dass es Ihnen in allererster Linie um die Umwelt geht. Sie müssen die Sache also vom Ende her denken: Um Ihr Ziel zu erreichen, ist es bestimmt besser, den Freunden nicht direkt in ihr Leben hineinzureden. Niemand wird Ihnen zuliebe seine Kenia-Safari stornieren und fortan im Wendland Urlaub machen, das ist doch ganz klar. Aber indem Sie von Ihrem eigenen Umgang mit dem Thema erzählen, pflanzen Sie Ihrem Gesprächspartner solche Gedanken ganz subtil ins Gehirn. Er wird möglicherweise noch weitere Fernreisen unternehmen, aber möglicherweise schon mit sanft schlechtem Gewissen, das vielleicht – vielleicht – eines Tages dazu führt, dass er umdenkt. Mehr können Sie nicht tun.
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