Neue linke Partei in Großbritannien | In Arbeit: Progressive Alternative zu Labour
Genau ein Jahr nach dem Wahlsieg von Labour hat die Abgeordnete Zarah Sultana ihren sofortigen Rücktritt aus der Partei bekannt gegeben. »Labour hat komplett dabei versagt, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern«, schrieb die 31-Jährige in einem Statement am Donnerstag letzte Woche. Nach 14 Jahren werde sie deshalb ihre Parteimitgliedschaft kündigen – und stattdessen etwas Neues aufbauen: »Jeremy Corbyn und ich werden zusammen die Gründung einer neuen Partei leiten, mit anderen unabhängigen Abgeordneten und Aktivisten im ganzen Land«, schrieb sie in ihrem Statement.
Es scheint also so weit zu sein: Nach monate-, sogar jahrelangen Debatten über die Gründung einer neuen Linkspartei ist endlich ein Nagel mit einem sehr konkreten Kopf gemacht worden, beziehungsweise mit zwei Köpfen: Jeremy Corbyn, ehemaliger Parteichef und Koryphäe der Labour-Linken, soll zusammen mit seiner jüngeren Kollegin ein Wahlvehikel anführen, um den Briten eine progressive Alternative zu Labour zu bieten.
Chaotischer Start sorgt für HämeGanz so einfach ist es allerdings nicht. Corbyn selbst wollte die von Sultana angekündigte Parteigründung längere Zeit nicht bestätigen, Insider berichten gegenüber der Presse, dass der Ex-Labour-Chef von der Ankündigung überrumpelt worden sei. Manche seiner Anhänger waren angeblich wenig begeistert von einer Doppelspitze – sie hätten eine allein von Corbyn geführte Partei bevorzugt. Am folgenden Tag schließlich verfasste Corbyn ein eher unverbindliches Statement: Er freue sich, dass Sultana »uns helfen wird, eine wirkliche Alternative aufzubauen« und bestätigte, dass die Diskussionen am Laufen seien.
Der chaotische Start der Neupartei hat für Häme gesorgt. Manche witzelten in den sozialen Medien, dass es die Linke geschafft habe, sich schon vor der Formierung einer neuen Organisation zu zersplittern – normalerweise erfolge dieser Schritt erst nachher. Aber andere sagen, dass es immerhin von Tatendrang zeuge. »Wenn die vergangene Woche irgendetwas bewiesen hat, dann ist es, dass die britische Linke nicht nur vor Energie und Ideen strotzt, sondern auch vor Ungeduld«, schrieb Richard Hames, der die Debatten um die neue Linkspartei im vergangenen Jahr für die Publikation »Novara Media« im Auge behalten hat.
Tatsächlich waren viele Aktivisten in den vergangenen Monaten zunehmend frustriert, weil sie eine neue Partei für dringend notwendig halten. Angesichts des Aufstiegs der Rechtspartei Reform UK dürfe die Linke keine Zeit verlieren, wahlpolitisch aktiv zu werden, sagte etwa Pamela Fitzpatrick, eine enge Verbündete Corbyns, im April dem »nd«. Dass es dennoch so lange gedauert hat, bis man in die Puschen gekommen ist, liegt auch daran, dass es eine ganze Reihe von Organisationen gibt, die teils unterschiedliche Strategien verfolgen.
Basisgruppen setzen auf lokalen AnsatzDie Gruppe rund um Corbyn und Fitzpatrick beispielsweise hat eine Organisation namens Collective gegründet – diese ist es offenbar, die jetzt zu einer Partei gemacht werden soll. Innerhalb des Parlaments zählt Corbyn zur Fraktion der Independent Alliance, die fünf Abgeordnete umfasst, die vor einem Jahr vor allem dank ihrer pro-palästinensischen Haltung gewählt worden sind. Ob diese Abgeordneten zur neuen Partei stoßen wollen, ist noch nicht klar.
Dann gibt es eine Reihe von Basisgruppen, die zunächst lokal organisieren wollen, darunter Majority, gegründet vom ehemaligen Bürgermeister von North of Tyne in Nordostengland, Jamie Driscoll. Er hält wenig von einer landesweiten Partei, sondern will eine neue Organisation von unten aufbauen. In London verfolgt der ehemalige Anti-Apartheid-Aktivist Andrew Feinstein einen ähnlichen Ansatz, er hat dazu die Camden Community Alliance gegründet; allerdings ist Feinstein auch ein Verbündeter Corbyns und könnte bei der neuen Partei mitmachen.
Angesichts dieser unübersichtlichen Lage ein einziges Vehikel zu lancieren, dürfte nicht einfach werden. Deshalb findet die Idee einer breiten Allianz von linken Parteien und Organisationen immer mehr Zustimmung: Wer in einem Wahlkreis die besten Chancen hat, zu gewinnen, wird von den anderen Parteien unterstützt, solange die breiteren Ziele dieselben sind, so die Idee. Auch die Grüne Partei wäre ein Teil dieser »Volksfront«; Zack Polanski, der Parteichef werden will und gute Erfolgschancen hat, hat sich für eine solche Strategie offen erklärt. Das Interesse an einer Linkspartei ist jedenfalls nicht unerheblich: Eine Umfrage hat kürzlich ergeben, dass eine solche Wahlalternative auf Anhieb zehn Prozent der Stimmen gewinnen würde – nicht schlecht für eine bislang nicht existierende Partei.
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