Die «beste EM» ist Geschichte – sie hat nicht nur die Hotels gefüllt, sondern auch das Image der Schweiz gestärkt


Peter Schneider / Keystone
Grossereignissen wird in der Schweiz gerne mit Skepsis begegnet. Dass nun die Frauen-EM von allen Seiten als Erfolg gefeiert wird, ist daher umso bemerkenswerter. Nachdem bereits der europäische Fussballverband (Uefa) ein positives Fazit gezogen hatte, präsentierten am Dienstag im Haus des Sports in Ittigen bei Bern auch die Organisatoren ihre Einschätzung. Und sie teilen die Begeisterung: Die EM habe «die kühnsten Erwartungen übertroffen», sagte Robert Breiter, der Generalsekretär des Schweizerischen Fussballverbands (SFV).
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Er brachte die Post-Fest-Stimmung perfekt auf den Punkt: «Das Erwachen aus einem Traum ist auch dann hart, wenn er Wirklichkeit geworden ist.»
Die Nationaltrainerin Pia Sundhage lobt die SchweizEine Schlüsselfigur bei der Verwirklichung des Traums war die Turnierdirektorin Doris Keller. Sie liess eine andere sprechen, um ihre Befriedigung auszudrücken. Keller zitierte aus einem SMS, das sie tags zuvor von der Schweizer Nationaltrainerin Pia Sundhage bekommen hatte. «Thank you for the greatest Euro ever», hatte die Schwedin geschrieben, die als Coach mit ihrem Land immerhin bereits ein Heimturnier erlebt hat. Auf der Heimreise nach Schweden habe sie überall gehört «Well done, Switzerland».
Dass es dem Turnier gegenüber dem Austragungsland auch Skepsis gegeben hatte, zeigt die Bilanz des englischen «Guardian». Dessen Kommentator schreibt: «Die relativ bescheidene Fussball-Infrastruktur der Schweiz, ganz zu schweigen von ihrer zurückhaltenden Wertschätzung für den Frauenfussball, hatte für Stirnrunzeln gesorgt.» Doch dann kommt der Kommentator zum Schluss: «Aber sie hatte eine Veranstaltung auf die Beine gestellt, die bis zum Schluss überzeugte.» Die Fanmärsche seien Beweis für eine Kultur der Frauenfussball-Fans, die hier an Form und Identität gewonnen habe.
Die gesellschaftliche Relevanz des Turniers betonte auch Sandra Felix, Direktorin des Bundesamtes für Sport. Sie bezeichnete die Heim-EM als Meilenstein. «Wir haben mit dem Event gezeigt, dass der Frauenfussball nicht einfach nur dazugehört. Diese Euro war ein echtes Statement», sagte sie.
Der Erfolg lässt sich nicht nur an der guten Stimmung und einem gestärkten Bewusstsein für den Frauenfussball ablesen, sondern auch mit Zahlen bemessen. 97 Prozent der verfügbaren Tickets wurden verkauft, das Ziel von umfassend ausverkauften Stadien wurde also nur knapp verpasst. Aus über 160 Ländern sind Fans angereist, die grössten Gruppen aus Deutschland und England. Das Turnier ist bei Frauen gut angekommen: Rund die Hälfte der Besuchenden war weiblich, bei Männerturnieren sind es unter 20 Prozent. 30 Prozent waren unter 30 Jahre alt. «Frauenfussball ist bei jüngeren Personen beliebt und bei Familien», sagte Doris Keller, die diese Prognose bereits vor dem Turnier gemacht hatte.
Auch aus touristischer Sicht hat sich die EM für die Schweiz gelohnt. 35 Prozent der Tickets seien an ausländische Besucher gegangen, sagte Martin Nydegger, der Direktor von Schweiz Tourismus. Die Hotelauslastung in den Host Citys war hoch; in St. Gallen etwa lag sie bei 95 Prozent. Dass die Organisation ihren Auftrag erfüllen konnte – «mach aus Fussballfans Schweizfans» – hat nicht nur mit der grössten Kampagne seit zehn Jahren zu tun. Und auch nicht allein mit den fussballbegeisterten Influencerinnen, die eingeladen worden waren, die Idylle in die Welt hinauszutragen. Beste Promoterinnen waren die Fussballerinnen selbst. Stars wie Aitana Bonmatí, Ada Hegerberg oder Stina Blackstenius teilten Bilder ihrer Ausflüge in die Berge oder von Gestaden wunderbarer Seen.
Für Kritik sorgten allenfalls Details: Zweimal habe die SBB für eine Verlängerung gesorgt, sagte Reto Liechti, der Leiter Personenverkehr. Zwar sei man dem Anspruch gerecht geworden, dass man alle Matchbesucher nach Hause bringe. In Basel und Genf sei es jedoch wegen Störungen zu Verzögerungen gekommen.
Ebenfalls angesprochen wurde die angespannte Situation bei den Frauen-Toiletten in einzelnen Stadien. Ihr wurde zwar mit zusätzlichen Kabinen davor begegnet, trotzdem blieben die Wartezeiten zuweilen beträchtlich.
Keine Toleranz für randalierende FansRobert Breiter schaute nicht nur zurück, sondern bereits nach vorn. Was nach dem Erwachen aus dem Traum komme, sei nicht nur einfach. «Wir sind jetzt erst recht gefordert. Wir müssen dafür sorgen, dass der Erfolg des Turniers nachhaltig in die Zukunft transportiert wird.» Bei der weiteren Entwicklung des Mädchen- und Frauenfussballs wolle man sich von England inspirieren lassen, dem Gastgeber der letzten EM. Dort werde die Legacy sehr erfolgreich umgesetzt. Noch ist die Schweiz in allen Belangen allerdings meilenweit entfernt von den Europameisterinnen.
Auch bezogen auf den Ligastart der Männer war das Erwachen aus dem Traum hart. Bereits nach der ersten Partie der neuen Saison, FCZ gegen Sitten am Freitagabend, brannten in Zürich Container. Die Bilder der friedlichen Fanmärsche während der EM haben die Toleranz für derartige Vorkommnisse nicht gesteigert. Sieben Sicherheitsdirektorinnen um die Baslerin Stephanie Eymann fordern denn auch in einem Brief an den SFV und die Swiss Football League, dass im Männerfussball zukünftig die friedlichen Frauenspiele zum Massstab genommen werden müssten. Breiter sagte in Bern, Männer-Ligaspiele und Partien des Frauen-Nationalteams liessen sich nicht so einfach vergleichen.
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