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Ein Fehler der weltbesten Torhüterin wirft Deutschland aus dem Turnier

Ein Fehler der weltbesten Torhüterin wirft Deutschland aus dem Turnier
Entscheidung im Letzigrund: Aitana Bonmati (r.) trifft zum 1:0.

Manchmal geht einem Scheitern, das in seiner Tragik kaum zu greifen ist, ein ganz profaner Vorgang voraus. Einer, der in seiner Banalität überrascht, ja regelrecht verblüfft. So wie dieser Treffer in der 113. Minute des Halbfinals Deutschland gegen Spanien, als die deutsche Torhüterin Ann-Katrin Berger sich buchstäblich verspekulierte. Als Aitana Bonmatí, Spaniens Weltfussballerin vom FC Barcelona, in den Strafraum eindrang, erwartete Berger offenbar eine Flanke, ihr Arm zeigte nach rechts, doch die Spanierin begriff, dass sich für den Bruchteil einer Sekunde eine Lücke zwischen Torhüterin und dem Torpfosten auftat. Dorthin platzierte sie den Ball – und Berger kam einen Wimpernschlag zu spät.

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Geschlagen: Das war die beste Torhüterin dieses Turniers, die ihr Team, wie schon gegen Frankreich, bis dahin im Spiel gehalten hatte. Kein Vorwurf der Mitspielerinnen erging an sie, obschon man sie bei allem Wohlwollen von dem Fehler nicht freisprechen kann. Janina Minge, nach den Ausfällen von Giulia Gwinn und Sjoeke Nüsken bereits dritte Captain in diesem Turnier, sprang ihrer Torhüterin bei: «Dass so ein Ball reingeht, ist extrem bitter, aber es hätten auch schon fünf Bälle vorher reingehen können, die Anne überragend hält. Von daher ist Anne auf keinen Fall schuld.» Umso erbarmungsloser aber ging Berger mit sich selbst ins Gericht: «Ich nehme die Schuld auf mich, die kurze Ecke muss zu sein, ganz klar. Deswegen bin ich umso enttäuschter von mir selber, da kann ich noch so viele Paraden machen, der hätte meiner sein sollen.»

Ein Moment, wie ihn nur Torhüterinnen und Torhüter kennen: Schnell kam einem die Szene aus dem WM-Final 2002 in den Sinn, als der bis dahin nahezu unbezwingbare Oliver Kahn einen Ball abprallen liess und Brasilien so den WM-Sieg bescherte. Noch gar nicht so lange her ist das Augenblicksversagen Manuel Neuers, der im Halbfinale Bayern Münchens gegen Real Madrid das Gleiche wie Kahn tat – und seine Mannschaft so um einen möglichen Champions-League-Titel brachte.

Kahn, Neuer: In dieser Ahnengalerie des deutschen Fussballs steht nun auch Ann-Katrin Berger, die 34-Jährige von Gotham FC aus der National Women’s Soccer League. Und das ist beileibe keine schlechte Gesellschaft, denn beide sind legendäre Figuren, zwei der grössten Torhüter, die der Weltfussball je gesehen hat. Und Berger? Ist eine Spielerin, die bis vor kurzem in deutschen Innenstädten nur von Kennern des Frauenfussballs erkannt worden wäre, über die aber nun, während der Europameisterschaft, landauf, landab geredet wurde. Und zwar mit Hochachtung.

Die Spanierinnen sind den Deutschen voraus

Wegen ihres riskanten Spiels, wegen ihres unerschütterlichen Selbstbewusstseins, aber vor allem wegen ihrer spektakulären Paraden. Ohne sie hätte das deutsche Team den Halbfinal niemals erreicht; gegen Frankreich hielt sie im Elfmeterschiessen zwei Penalties und verwandelte einen selber. Doch schon diesen Shoot-out hatte sie quasi im Alleingang erzwungen, als sie mit einer aberwitzigen Parade ihr Team vor der sicheren Niederlage rettete. Eine charismatische Figur. Nicht aus der Ruhe zu bringen, lässig, rhetorisch schnörkellos, unverstellt. Und selbst in einem so harten Moment ohne einen Anflug von Selbstmitleid. Sie selber tue sich nicht leid, die ihre Mitspielerinnen dafür umso mehr.

Berger sagte allerdings mit Blick auf Aitana Bonmatí: «Das ist die Brillanz einer Spielerin, von der wir alle wissen, was sie kann.» Ein sachdienlicher Hinweis, denn Bergers Fehlspekulation wäre längst nicht von jeder anderen Gegenspielerin so konsequent ausgenutzt worden. Man braucht nicht gleich von einem Geniestreich zu sprechen, wie es einige Experten dann taten. Die aussergewöhnliche Qualität der Spanierin zeigte sich in diesem Treffer allemal.

Insofern war es eine durchaus bezeichnende Szene. Denn in ihr drückt sich keine gewaltige, aber doch eine feine Differenz aus. Das deutsche Team hat sich über 113 Minuten zwar bravourös verkauft. Offenkundig war allerdings, dass beide Teams spielerisch mehr als nur Nuancen trennen – und auch, warum die Spanierinnen als die Favoritinnen auf den Titel gelten. Ging es um das Kombinationsspiel, die Präzision der Pässe, aber auch um den Ideenreichtum im Angriff, so hatten die favorisierten Finalistinnen ihren Gegnerinnen einiges voraus. Sie in Schach zu halten, ja, in einigen Momenten sogar dem Sieg nahe zu sein, verdient zwar Anerkennung.

Trainer Wück will keine Kopie Spaniens

Es kann aber dennoch nicht verdecken, dass die Deutschen gegen die absolute Weltspitze nicht nur einen guten Tag, sondern auch eine gehörige Portion Glück brauchen, wie es gegen Frankreich in Unterzahl der Fall war. Dass seine Elf noch kein Weltklasse-Team ist, war dem deutschen Trainer Christian Wück durchaus bewusst. Er sprach danach zwar von der hervorragenden Entwicklung, die sein Team gemacht habe, auch lobte er die Spielerinnen für ihren grossen Einsatz. Und er verwies auch darauf, dass sie mehr erreicht hatten, als ihnen zugetraut worden war.

Bloss: Im Ballbesitz und auch in der Technik müsse noch einiges verbessert werden; zudem beklagte der Trainer die geringe Durchlässigkeit im deutschen Frauenfussball, das allmähliche Versiegen der Nachwuchsquellen: «Wir alle zusammen müssen es hinbekommen, die Talentförderung aufs nächste Level zu heben. Das wird nur zusammen funktionieren. Die richtigen Schlüsse ziehen, um irgendwann wieder eine Mannschaft zu haben, die Turniere gewinnen kann.» Allerdings betonte er deutlich, dass er eines nicht wolle: eine Kopie der Spanierinnen, mögen diese auch noch so gut sein.

Quasi nebenbei hat Wück eine allgemeingültige Weisheit ausgesprochen: Es ergibt keinen Sinn, einen Stil zu kopieren, wenn die Voraussetzungen nicht nahezu identisch sind. Und selbst dann ist es ein schwieriges Unterfangen. Vielmehr geht es darum, die eigenen Qualitäten auf die Spitze zu treiben und sinnvolle Elemente zu integrieren. Dass die Deutschen lernfähig sind, haben sie im Verlauf dieses Turniers mehrfach unter widrigsten Bedingungen bewiesen (gegen Spanien fehlten vier Stammkräfte).

Der Frauenfussball ist nun eine akzeptierte Grösse

Genau darin zeigte sich auch die wichtigste Voraussetzung, und demnächst wieder Spitzenfussball zu spielen: die Mentalität der Mannschaft war äusserst robust, die beiden Finalspiele glichen einem Charaktertest. Zudem kommen Trainer und Team inzwischen gut miteinander aus, obwohl dies vor einigen Monaten nach internen Querelen gar nicht zu erwarten war. Christian Wück bekannte freimütig: «Ich habe sehr viel gelernt, auf und neben dem Platz. Ich bin stolz auf die Mannschaft, auch wenn ich jetzt total leer bin.»

Womöglich wird es noch eine Weile dauern, bis die Deutschen diese Europameisterschaft als den Erfolg würdigen können, der er tatsächlich ist. Denn abseits des blanken Resultats vermochten die Frauen ein Millionenpublikum zu begeistern. Nun scheint, auch ohne Titel, eingetreten zu sein, was über ein Jahrzehnt lang vergeblich versucht wurde, herbeizureden: Der Frauenfussball in Deutschland ist nun eine akzeptierte Grösse – und nicht mehr nur eine saisonale Attraktion, wenn mal wieder die Ergebnisse stimmen.

nzz.ch

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