Gaza-Krieg | »Fußball ist Ablenkung«: Der FC Karame und der Konflikt in Berlin
Berlin Moabit am Sonntagnachmittag: Die Fußballer des FC Karame stimmen sich mit lautem Klatschen auf ihr Spiel ein. Es ist wieder Zeit, um die traurigen Nachrichten in den Hintergrund zu drängen, zumindest für neunzig Minuten. »Fußball ist Ablenkung«, sagt Mohamed und rückt seine Schienbeinschoner zurecht. »Wir kennen uns seit Jahren und wir sprechen dieselbe Sprache.« Karame ist ein arabisches Wort für »Würde« und »Stolz«. Im Emblem sind die Farben der palästinensischen Flagge enthalten – als Zeichen für die Herkunft vieler Familien der Vereinsmitglieder.
Neues LebenDer FC Karame spielt in der Kreisliga A und bestreitet seine Heimspiele in Moabit im altehrwürdigen Poststadion, in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofes. »Es geht uns nicht um große Erfolge«, sagt Mohamed, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. »Der Verein ist wie eine Familie. Wir unterstützen vor allem Leute, die in Berlin ein neues Leben aufbauen wollen.«
Mehr als 200 000 palästinensisch-stämmige Menschen leben in Deutschland, davon gut ein Viertel in Berlin. Es ist eine der größten Communitys außerhalb der arabischen Welt. Und der Fußball spielt für ihre Vernetzung eine beachtliche Rolle. Deutlich wird das beim FC Karame, gegründet 1978, als einem der ältesten Migrantensportvereine in Deutschland. Vereinsgründer Mohamad Zaher verbringt einen großen Teil seiner Freizeit mit Jugendarbeit: In dem Moabiter in Jugendzentrum hängen Zeichnungen an den Wänden, daneben sind Pokale aufgereiht. Im Hinterhof nehmen Jugendliche an einem Workshop teil, viele von ihnen tragen Fußballtrikots. »Mithilfe des Sports können wir schnell Kontakte knüpfen und Vertrauen aufbauen«, sagt der Sportlehrer: »So ist das heute und so war das schon vor mehr als vierzig Jahren.«
Neuer VereinZaher wurde 1949 in der Nähe von Haifa geboren, ein Jahr nach der Gründung Israels. Seine palästinensische Familie floh nach Syrien und dann in den Libanon. Fußballspielen lernte er in einem Flüchtlingslager. 1970 kam er fürs Studium nach Berlin. »Viele Jugendliche mit ähnlichen Biografien wollten damals in Berlin Fußball spielen«, erzählt Zaher. »Aber in den Vereinen waren sie nicht willkommen. Also haben wir unseren eigenen Verein aufgebaut.«
Der FC Karame wuchs langsam. Zaher engagierte sich für geflüchtete Menschen und hielt Kontakt in die palästinensischen Gebiete. Immer wieder lud er Trainer aus Gaza für Turniere und Workshops nach Berlin ein. Mit diesem Wissen kehrten sie zurück und bauten in Gaza eine Sportakademie auf. Einige dieser Kollegen wurden nun während des Krieges getötet. »Ich rufe immer wieder dort an«, sagt Zaher. »Wir würden gern Material dorthin schicken, aber das ist zurzeit nicht möglich.« Und: Der Gaza-Krieg hat auch Auswirkungen auf die Arbeit beim FC Karame. Manche Mitglieder fühlen sich pauschal in die Nähe der Terrororganisation Hamas gerückt.
Neue KonflikteZaher nimmt sich Zeit für ihre Sorgen, für ihre Wut. Er sagt ihnen, dass man Israel nicht mit der Regierung Netanjahu und nicht mit dem Militär gleichsetzen dürfe. Und er warnt die Jugendlichen vor Demonstrationen in Berlin, an denen auch Islamisten und Rechtsextreme teilnehmen könnten. »Selbst einige Politiker sagen, wir seien alle radikal«, erzählt Zaher. »Aber das stimmt nicht. Wir wünschen uns mehr Unterstützung aus Politik und Sport.«
Seit dem 7. Oktober 2023, seit dem Angriff der Hamas auf Israel, hat Antisemitismus im Amateurfußball zugenommen. Der Berliner Fußball-Verband BFV unterstützt Prävention und Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Mannschaften wie jene von Makkabi. Das sei richtig und wichtig, sagt Özgür Özvatan, Vizepräsident des BFV: »Wir müssen aber sagen, dass wir in einer solchen Intensität nicht über palästinensische Spieler*innen gesprochen haben. Das können wir besser machen.« Özvatan betont, dass dieser Konflikt kein Fußballspiel sei, in dem man nur für eine Seite eintritt: »Wir setzen uns für Menschenrechte ein, für jüdisches und palästinensisches Leben.«
Neue EskalationAuch die Muslimfeindlichkeit ist gestiegen. In Berlin registrierte die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit im vergangenen Jahr 650 antimuslimische Übergriffe und Diskriminierungen, rund 70 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich größer sein, aber im Amateurfußball wurden kaum antimuslimische Vorfälle an den BFV gemeldet, sagt Özvatan: »Viele Menschen wissen nicht, dass sie über unsere Webseite anonym Fälle melden können. Es kann aber auch sein, dass sie dem Verband nicht vertrauen.« Der Sozialwissenschaftler setzt sich in seinem Ehrenamt beim BFV für eine niedrigschwellige Meldung von Diskriminierungsfällen ein. Und er möchte die Vertrauensarbeit auch gegenüber palästinensischen Fußballern stärken.
Der FC Karame und sein Vorsitzender Zaher würden sich darüber freuen. Regelmäßig, sagt er, organisieren sie im Jugendzentrum in Moabit auch Workshops über den Nationalsozialismus und über Geschichte der Juden in Deutschland. Die meisten Mitglieder von Karame sind in Syrien und im Libanon aufgewachsen, mit Großeltern, die aus Palästina geflohen waren. »Aber wir sind eigentlich kein arabischer Verein«, erklärt Zaher: »Wir sind ein Verein aus Berlin.«
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