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Hoffnung und Risiko zugleich: Die Schweizer Frauenauswahl muss auf die Jugend setzen

Hoffnung und Risiko zugleich: Die Schweizer Frauenauswahl muss auf die Jugend setzen
Andere EM-Auswahlen sind erfahrener: Die Schweizerinnen bereiten sich in Thun auf den zweiten Match gegen Island vor.

Peter Schneider / Keystone

Die Zahlen seien «verrückt», sagt Lilie Persson. Die Trainerassistentin der Schweizer Frauenauswahl spricht über den EM-Auftakt gegen Norwegen. Statistisch in jeder Rubrik Schweizer Vorteil. Irgendwie verrückt, ja. Ausser: in der Bilanz der Torerfolge. 1:2. Schlechtes Resultat, aber sonst nur Vorteile.

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Nicht zu vergessen: Vor dem Match musste man auch den möglichen Absturz in der Rechnung haben, zu ungenügend, teilweise sogar erschreckend waren die Spiele in den letzten Monaten gewesen. Gegen Norwegen positionieren sich die Aussenläuferinnen Iman Beney und Nadine Riesen von Beginn weg offensiver als zuvor. Das bringt Schwung und ein Tor, aber eben auch Wagnis und ein Gegentor mit sich.

Die Trainerinnen denken an Schertenleib

Die Frage ist nun, was das Team der 65-jährigen Trainerin Pia Sundhage im zweiten EM-Spiel gegen Island nachzulegen imstande ist. Auf dem Wankdorf-Rasen wird wieder reichlich Jugendlichkeit zugegen sein. Die Trainerinnen kündigen Wechsel an und überlegen sich, ob sie von Beginn weg Sydney Schertenleib vorne losschicken sollen. Oder früher als gegen Norwegen.

Jetzt sind nicht Nations-League-Spiele, in denen sie in letzter Zeit kaum aufgefallen ist. Nein, jetzt ist Heim-Euro, ausverkauftes Wankdorf, höherer Puls, Dynamik, die nach vorne trägt. Eigentlich ist davon auszugehen, dass der Sieg Pflicht ist. Fussball-Endrunden bieten viele Exempel, in denen die Einheimischen in der über Gebühr aufgeladenen Stimmung früh die Segel streichen. Zu viel der Erwartung.

In den Wochen vor dem Turnier kursierte im Schweizerischen Fussballverband (SFV) eine kühne Rechnung, ausgehend von der Prämisse, dass die Gruppe dank Losglück «machbar» sei. Der Gruppensieger wird auf den Zweiten der Spanien-Gruppe treffen und so mutmasslich den Spanierinnen aus dem Weg gehen. Dagegen ist die Wahrscheinlichkeit gross, als Zweiter auf ebendiese Weltmeisterinnen zu treffen.

Spanien ist zur Hälfte der FC Barcelona

Was Letztgenanntes bedeuten kann, ist unter der Woche im Wankdorf zu sehen, als Spanien Portugal in Einzelteile zerlegt (5:0). Da in den spanischen Reihen der halbe FC Barcelona mitrennt, fliessen Überlegungen mit ein, dass allein die Tatsache, von diesem Klub verpflichtet zu werden, eine Auszeichnung für sich ist. Womit der Bogen zurück zu Sydney Schertenleib geschlagen ist.

Wie sagt sie in einer aufwendig produzierten, kurzen SFV-Botschaft vor dem Turnier? «Du hast das ganze Land hinter dir. Du willst es einfach stolz machen.» Oder: «Wir wollen Druck.» Ihr Jahrgang? 2007.

Jugendlichkeit und Unerfahrenheit können einen EM-Match beleben. Ihnen sind aber auch Grenzen gesetzt. Beides offenbarte die Schweizer Ouvertüre am letzten Mittwoch im drückend heissen Basel.

Noch keine Viertelstunde ist gegen Norwegen gespielt, als die Trainerin Pia Sundhage an der Seitenlinie kurz die Faust ballt. Die Torhüterin Livia Peng hat soeben mit einem Hechtsprung einen Flankenball behändigt. Alles auf guten Wegen, am Boden und in der Luft. So wächst das Vertrauen einer Fussballerin, die vor der EM schleichend zur Torhüterin Nummer 1 aufgestiegen ist.

Die Schweizer Torhüterin Peng hat 11 Länderspiele

Doch später folgen die vier verhängnisvollen Minuten, in denen die Norwegerinnen den Match kehren, vom 0:1 zum 2:1. Peng schätzt nach einem Eckball die Räume und Optionen im Torraum falsch ein und greift in die Luft, nachdem die Norwegerin Ada Hegerberg ihr zuvorgekommen ist und den Ball ins Tor geköpfelt hat.

Hier viel Talent und wenig Erfahrung, die 23-jährige Bündnerin in ihrem erst 11. Länderspiel. Dort viel Talent und viel Erfahrung, die bald 30-jährige Hegerberg. Über 90 Partien für Norwegen, 50 Tore, seit über 10 Jahren in Lyon unter Vertrag.

Kehrtwenden und Richtungsänderungen bietet der Fussball zur Genüge, sie sind ein Teil seiner Anziehungskraft. Die Newcomerin Peng zeigt einen guten Match. Dennoch bündelt sich in jenen vier Minuten die Labilität der jungen Schweizerinnen wie unter dem Brennglas.

Sie setzen mit Iman Beney, Noemi Ivelj und der nach etwas mehr als einer Stunde eingewechselten Sydney Schertenleib drei unter 20-Jährige ein. Das ist selten, was sich zwei Tage später am Vergleich zwischen Spanien und Portugal ablesen lässt. Da erregt die 18-jährige Vicky López Aufsehen, aber sie ist mit ihrem Jahrgang 2006 mit Abstand die Jüngste auf dem Platz. Andere unter 20-Jährige? Hier wie dort nicht zu sehen.

Das Experiment mit Iman Beney ist auch abenteuerlich

Solche Zahlen muss man sich vor Augen halten, wenn die Leistungen der Frauenauswahl gewürdigt und kritisiert werden. Wenn Iman Beney (Jahrgang 2006), aus welchen Überlegungen auch immer, von der rechten YB-Flügelstürmerin im Nationalteam nach rechts hinten beordert wird, kann damit gerechnet werden, dass sie im rechten Couloir gegen vorne etwas in Bewegung setzen kann. Gleichzeitig nimmt die Teamführung Risiko.

Die Torschützin Nadine Riesen (rechts) und Viola Calligaris jubeln nach dem 1:0 gegen Norwegen.

Michael Buholzer / Keystone

Das zeigt sich gegen Norwegen vor dem zweiten Schweizer Verhängnis, als Beney trotz ihrer Laufstärke gegen Caroline Graham Hansen zu spät kommt, deren Pass in der Mitte die Schweizerin Julia Stierli ins eigene Tor lenkt. Pech für Stierli. Aber auch Pech für Beney, die sonst gut spielt. Auch hier muss berücksichtigt werden, wer wofür steht: Graham Hansen ist 30 Jahre alt und bei über 115 Länderspielen. Sie spielt im FC Barcelona. Jungspund Beney ist bei 12 Länderspielen angelangt und wechselt von YB zu Manchester City.

Ob Jung oder Alt: So viele Optionen bleiben der SFV-Auswahl nicht, nachdem sich andere verflüchtigt haben.

Anfang Juni unterhalten sich beim Start zum Trainingscamp in Magglingen zwei Personen, die manches Frauen-Länderspiel verfolgt haben. Offenbar haben sie bei einem Essen stundenlang das Team «durchdekliniert». Sie sind sich einig: Die arrivierte Ramona Bachmann (Jahrgang 1990, 153 Länderspiele, 60 Tore) und die YB-Stürmerin Naomi Luyet (Jahrgang 2005, 5 Länderspiele, 1 Tor) müssten an der EM dabei sein, wegen «des gewissen Etwas», wenn ab der Ersatzbank noch etwas Verrücktes gefragt sei.

Das ausverkaufte Stadion führt nicht zur Erstarrung

Zu jenem Zeitpunkt ist die Krise, die Bachmann vor allem Ende 2024 erlebt hat, noch nicht öffentlich. Etwas später kommt bei ihr der Kreuzbandriss dazu. Und die rekonvaleszente Luyet ist zu jenem Zeitpunkt noch nicht aus dem EM-Kader gestrichen. So schnell können Gedankenspiele beendet werden.

Zum Fazit des resultatmässig missglückten EM-Auftakts gehört, dass die Einheimischen ob der ungewöhnlichen Kulisse eher beschwingt wirkten. Auch die Jungen. «Geniessen», sagte dazu Beney am Freitag an einer Medienkonferenz. Das kann ein Kraftspender für den Match in Bern sein. Die Schweizerinnen haben mehr Heimpublikum als früher. Zuletzt 11 000 in St. Gallen, 7000 in Sitten, über 7700 in Winterthur. Nach den 34 000 gegen Norwegen in Basel warten am Sonntag wiederum fast 30 000 in Bern. Möglicherweise ein Fall für Schertenleib.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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