Iman Beney, Sydney Schertenleib, Leila Wandeler: Das muss man über die jungen Wilden im Schweizer Nationalteam wissen


Sie spielen mutig und versprühen jugendliche Leichtigkeit: Die Teenager des Schweizer Nationalteams nutzen die Bühne der Heim-Europameisterschaft. Dabei haben sie längst die besten Klubs der Welt von sich überzeugt. Leila Wandeler liess die Super League aus und ging direkt zu Olympique Lyon, Iman Beney spielt nach der EM für Manchester City. Und Sydney Schertenleib wurde vom FC Barcelona via Instagram verpflichtet.
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Der Weg zum Tor ist weit, 35 Meter, mindestens, aber Iman Beney kümmert das nicht. Sie fasst sich, wie es im Fussballjargon so schön heisst, ein Herz. Und der Ball rast nur knapp am Tor der Isländerinnen vorbei, er streift sogar noch das Aussennetz. Die junge Walliserin verpasst zwar ein Goal, an das sie noch lange zurückgedacht hätte, eine ganze Karriere vielleicht. Doch die Szene aus der Nachspielzeit der ersten Halbzeit gegen Island versinnbildlicht, was ihren Auftritt ausmacht: Unerschrocken tritt Beney auf und frech, unablässig saust sie der rechten Aussenlinie entlang.
Dort hat die Nationaltrainerin Pia Sundhage sie auch an diesem Sonntagabend wieder aufgestellt, als rechte Aussenläuferin, die defensiv Ordnung halten und sich offensiv einbringen soll. Es ist eine komplizierte Aufgabe, zumal für eine 18-jährige Fussballerin, die eigentlich in der Offensive agiert. Aber Beney saust an diesem Abend nicht nur nach vorne, sie verteidigt auch standhaft und aufsässig. Sie findet das Gleichgewicht besser als noch gegen Norwegen und zeigt, wie schnell sie lernt.
Gegen Island hat Beney bereits ihr 13. Länderspiel absolviert. Aber es wären noch ein paar mehr zusammengekommen, wenn sie sich vor zwei Jahren nicht das Kreuzband gerissen hätte, mit nur 16 Jahren und kurz vor der WM. Es folgt eine schwere Zeit für Beney, doch sie übersteht sie – so, wie sie schon einiges überstanden hat.
Sie wächst in Savièse hoch über dem Rhonetal auf, in einem Haus, das neben Weinbergen steht und von dem man auf das Schloss Tourbillon sieht. Beney stammt aus einer Fussballfamilie. Der Vater Nicolas absolvierte einst rund hundert Super-League-Spiele und gewann zweimal den Cup. Die Tante Noémie ist 45-fache Nationalspielerin. Und der Bruder Romeo steht im Kader des FC Basel und der U-21-Nationalmannschaft.
Im Gespräch mit der NZZ beschrieben Beneys Eltern sie kürzlich als introvertierte Person, die gerne daheim im Elternhaus Zeit verbringe, wenn sie es wieder einmal ins Wallis schaffe. Schon mit zwölf Jahren ist Beney von dort nach Biel gezogen, ins Ausbildungszentrum des Schweizerischen Fussballverbands (SFV). Früh ordnet sie viel dem Fussball unter. Jüngst entwickelte sich ihre Karriere rasant. Vor der EM wird sie mit YB Schweizer Meisterin und verwandelt dabei den entscheidenden Penalty. Dann absolviert sie die KV-Abschlussprüfungen. Und gehört jetzt an der EM zum Schweizer Stamm.
Nach dem Heimturnier geht es für Beney nach Manchester, zu City, dem Weltklub aus England, dessen Infrastruktur Beneys Eltern mit nur einem Wort umschreiben: «incroyable», unglaublich. Dort hat sie einen Vertrag über vier Jahre unterschrieben. Wie wichtig ihr eigentlich Geld sei, wurde Beney unlängst im Zusammenhang mit ihrem Wechsel nach England gefragt. «Hauptsache, keine Schule mehr», gab sie zur Antwort. (dow.)
Sydney Schertenleib, 18 Jahre, FC BarcelonaPeter Klaunzer / Keystone
Wenn sie in Barcelona vom grössten Talent sprechen, das sie je gesehen haben, will das etwas heissen. Barça ist – trotz der Niederlage im Champions-League-Final gegen Arsenal – der Olymp des Frauenfussballs. Dort versammeln sich die besten Spielerinnen der Welt. Unter ihnen ist Sydney Schertenleib, der es bei all den Vorschusslorbeeren eigentlich angst und bange werden müsste. Selbst Vergleiche mit Lionel Messi und Lamine Yamal zirkulieren in Katalonien.
Die Zürcherin spielte im FCZ und zuletzt im Grasshopper Club, als sie vor gut einem Jahr auf Instagram eine Nachricht erhält: Barcelona interessiere sich für sie. Schertenleib, damals 17 Jahre alt, hält das zuerst für ein Fake. Ein paar Wochen später zieht sie nach La Masia, in die Jugendakademie des FC Barcelona. Sie kommt immer wieder zum Einsatz, im März schiesst sie in der Champions League gegen Wolfsburg ein Traumtor, das viral geht.
Nachdem Schertenleib im Startspiel der Schweiz erst in der zweiten Halbzeit eingewechselt worden ist, spielt sie am Sonntag gegen Island von Anfang an. Nicht alles gelingt ihr, aber sie rackert wie ihre Kolleginnen. Und sie spielt in der 76. Minute den entscheidenden Pass zum erlösenden 1:0 von Géraldine Reuteler. Ihre Übersicht und ihre Technik sind überragend, sie kann dribbeln und schiessen, ist auf allen Positionen im Mittelfeld einsetzbar.
Schertenleib hat die seltene Gabe, Fussball leicht und natürlich aussehen zu lassen. Doch auch bei der Hochbegabten glänzt nicht immer alles. In einer SRF-Dokumentation sieht man, wie sie im Training weint – es ist ein Moment, in dem ihr alles zu viel wird, er geht ans Herz. Sydney Schertenleib mag eine grosse Zukunft vor sich haben. Aber sie ist auch ein ganz normaler Teenager. (cen.)
Leila Wandeler, 19 Jahre, Olympique LyonEs ist schon fast Mitternacht am Sonntag, als Leila Wandeler im Bauch des Berner Wankdorfs vor einem Strauss Mikrofone steht und lacht. Auf Deutsch mit französischem Akzent hat die 19-Jährige gerade erzählt, dass das Team nach dem 2:0-Sieg «schon ein bisschen feiern» werde. Wie denn, wurde sie gefragt, woraufhin sie eben lachte. «Das sage ich euch nicht. Vielleicht tanzen wir ein bisschen in der Kabine.» Mit Alayah Pilgrim hat sie vor der Europameisterschaft ein Tortänzchen einstudiert, das sie nach Pilgrims 2:0 prompt auf dem Rasen zeigen.
So erfrischend, wie Wandeler spricht, so spielt sie Fussball: frech, mutig, mit Spielfreude. Dabei hat sie gerade erst zwei Länderspiele fürs A-Team absolviert: das Testspiel in Winterthur vor zwei Wochen und nun die Partie gegen Island. Doch vor Herausforderungen hat sie sich noch nie gescheut: Als Vierjährige spielte sie beim FC Matran im Kanton Freiburg mit den älteren Jungs mit. Im Alter von sechs bis zehn Jahren lebte sie mit der Familie in Senegal, der Heimat ihrer Mutter.
Im Fussball-Ausbildungszentrum in der Hauptstadt Dakar war Wandeler gemäss den «Freiburger Nachrichten» das einzige Mädchen unter hundert Jungs, war nicht willkommen und wurde von den anderen gehänselt. Wandeler blieb. Und lernte, sich auch als Leichtgewicht und mit heute bloss 1 Meter 62 gegen körperlich stärkere Gegner durchzusetzen.
Zurück in der Schweiz, trainierte sie im Leistungszentrum Biel, bis zur U 16 wiederum mit den Jungs. Dann liess sie den nächsten logischen Schritt aus, die Schweizer Super League der Frauen. Mit 17 Jahren wurde sie ins Probetraining bei Olympique Lyon eingeladen, wo sie einen Ausbildungsvertrag unterschrieb – und dort, beim Champions-League-Rekordsieger, ist sie noch immer, versucht sich für den ersten Profivertrag aufzudrängen.
Das EM-Aufgebot kam nach ein paar Verletzungen eher überraschend. Aber die Nationaltrainerin Pia Sundhage war sehr angetan von Wandelers Vielseitigkeit, dem jugendlichen Esprit, ihrem Willen. Es ist der erste Schritt, der sie in eine rosige Zukunft führen soll: Wandeler will dereinst Weltfussballerin des Jahres werden. Das ist frech. Wie auf dem Rasen. (eva.)
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