Interview mit Trainer Marcel Obersteller | Triathlon: »Der Kopf ist immer stärker als der Körper«
Marcel, du coachst mich als absoluten Anfänger, der in zwei Monaten einen Triathlon laufen will. Worauf kommt es vor allem an, wenn du Einsteiger betreust?
Bei den meisten Einsteigern muss man das Tempo drosseln. Das ist erst mal das Wichtigste, was man wissen muss: Dein Kopf will immer mehr, als dein Körper kann. Der Körper unterliegt gewissen Anpassungsprozessen, die man nicht beschleunigen kann. Der Kopf übersieht diese Anpassungszeiten oft. Deshalb muss ich als Coach Struktur in das Training bringen und auf ausreichend Regenerationszeiten achten.
Und wie sieht das aus?
Man kann immer nur eine der drei Disziplinen verbessern. Eine zweite hält man auf dem gleichen Niveau, die dritte wird vernachlässigt. Das ist einfach so. Bei dir ist es jetzt zum Beispiel das Schwimmen, das wir da hintenan stellen. Du kannst schon kraulen – ob du da zwei Minuten schneller bist oder nicht, ist erst mal egal. Jetzt konzentrieren wir uns auf das metabolische Training, also die Energiebereitstellung und die Ökonomisierung deiner einzelnen künftigen Wettkampfgeschwindigkeiten.
Was bedeutet das konkret für meinen Trainingsplan?
Ich versuche dir mit den Einheiten ein Gefühl dafür zu vermitteln, was du leisten kannst. Was schaffst du in einer Stunde, was in zehn Minuten? Dieses Gefühl ist ja gar nicht da. Wenn du dich aufs Fahrrad setzt und ich sage: »Such dir eine Geschwindigkeit, die du eine Stunde fahren kannst!«, weißt du nicht, ob das 30 oder 35 km/h sind. Da gebe ich dir mit unserem Training nun eine Orientierung.
Wie steuerst du das Training – führst du mich an bestimmte Grenzen?
Es gibt die Dauerleistungsgrenze, diesen FTP-Wert, mit dem alle Trainer arbeiten. Er gibt die maximale durchschnittliche Leistung an, die ein Athlet über eine Stunde aufrechterhalten kann. Du bewegst dich aktuell unterhalb dieser Schwelle. Wir tasten uns langsam an diese ran. Sind wir zu schnell, bist du eine Woche außer Gefecht oder verletzt dich. Die Kunst ist, dich so einzustellen, dass du auch am Ende des Wettkampfs im September nicht kurz vorm Verrecken bist. Die Leute sind im Wettkampf oft übermotiviert, fahren zu schnell los, und dann geht’s nach hinten los.
Du betreust 20 Athletinnen und Athleten. Sind da auch Topathleten dabei?
Ja, richtig gute Leute, aber keine Profis. Einer meiner Schützlinge war mal vier Jahre als Profi aktiv, hat aber jetzt Familie. Olympiateilnehmer hatte ich noch nicht unter meinen Fittichen, aber schon sehr schnelle Leute.
Was ist deine Philosophie als Triathlontrainer?
Mich kann man nicht mit Leistung beeindrucken, sondern mit Leistungsbereitschaft. Da behandle ich alle gleich – ob Anfänger oder Topathlet. Man kann mich beeindrucken, indem man bereit ist, an sich zu arbeiten. Die Leute müssen mit einem Ziel zu mir kommen, sonst hat es keinen Sinn. Es darf auch hochgesteckt sein. Im Zweifelsfall muss halt länger daran gearbeitet werden.
Ist Triathlon ein elitärer Sport?
Ja, ich sage immer, Triathlon ist das Golf des Ausdauersports. Unter 10 000 Euro kauft sich ja von den Triathlon-Verrückten keiner mehr ein Fahrrad. Wenn du zum Iron Man nach Hawaii willst (die inoffizielle Weltmeisterschaft über die Triathlon-Langdistanz, Anm. d. Red.), kostet das allein für dich als Teilnehmer mindestens 8000 Euro insgesamt. Schon der Startplatz kostet 1200 Euro, und du musst für zwei Wochen hin. Bei zwölf Stunden Zeitverschiebung und einer Stunde Akklimatisierung, die du pro Tag schaffen kannst, brauchst du einfach so lange. Dazu die Flugkosten. Wenn du noch die Familie mitnimmst und einen Urlaub drum herumstrickst, sind das schnell 20 000 Euro für die ganze Tour.
Trotzdem – warum sollte jemand mit Triathlon anfangen?
Ein Ironman ist wie eine Geburt. Du gehst durch die Hölle, hast wahnsinnige Schmerzen. Aber dann kommt so ein Punkt, meist die letzten zwei, drei Kilometer beim Laufen, da weißt du nicht mehr: Weine ich vor Schmerz oder schon vor Freude? Dieser Punkt war für mich immer der schönste. Wenn der Schmerz umschlägt in Freude, in Glück. Das war noch tausendmal schöner als der Zieleinlauf, bei dem ich dann gar nicht mehr so viel empfunden habe.
Was war dein schönster Wettkampf als Aktiver?
Das war ein Wettkampf, nachdem ich schon lange als Aktiver aufgehört hatte und noch mal auf der Langstrecke gestartet bin, in Podersdorf, Österreich. Ich hatte im Vorfeld nur die Hälfte an Training absolviert, weil ich das Gefühl hatte, ich bin einfach gut drauf. Ich bin dann gestartet ohne Tacho, ohne Uhr: Ich wusste die ganze Zeit weder, an welcher Position ich lag, noch wie schnell ich unterwegs war. Ich war einfach am Genießen, ich hatte die ganze Zeit Spaß, wirklich. Und in dem Lauf habe ich schließlich meine beste Zeit hingelegt – 8:40 Stunden. Als ich auf die Zieluhr schaute, war ich total überrascht. Wieso bin ich denn so schnell? Ich habe andere gefragt: Ist hier die Strecke kürzer? Aber nein: Es war alles richtig. Ich hab dann den Wettkampfrichter gefragt: Wievielter bin ich denn geworden? Und der sagte: Na, Fünfter! Nicht gemerkt? Glückwunsch!
Was vermisst du aus deiner Zeit als Aktiver?
Die Trainingslager! Ehrlich, ich habe nie für die Wettkämpfe gelebt, sondern für die Trainingslager. Ich habe das geliebt, irgendwo in der Welt zu sein, aufzustehen, mich mit meinen Jungs zu treffen und zu beraten: Was machen wir heute? Erst laufen, das Rad? Oder mal nur schwimmen? Und dann ging’s einmal quer über die Insel mit dem Rad, und irgendwo wurde ein Cappuccino genommen, herrlich.
Was ist deine Stärke als Trainer?
Ohne es despektierlich zu meinen: Die Trainingswissenschaft ist eigentlich ausgereizt, das ist kein Hexenwerk mehr. Da gibt es viele gute Leute. Meine Stärke ist mein ganzheitlicher Blick als Sportwissenschaftler und angehender Heilpraktiker. Ich kann meine Sportler immer bis ans Limit belasten, ohne sie zu überlasten. Ich kenne meine Leute gut; ich weiß, wer wie viele Kinder hat und wer vielleicht gerade in einer schweren Lebensphase steckt. Da rufe ich im richtigen Moment an und sage: »Du, wir nehmen mal das Training raus.« Da kriege ich immer gespiegelt: »Das hast du genau im richtigen Moment gemacht.«
Ist das vielleicht auch der Vorteil, den ein Trainer gegenüber Künstlicher Intelligenz immer haben wird?
Ja, genau: Denn die KI passt ja auch schon die Trainingspläne an den aktuellen Leistungsstand an. Aber die KI weiß nicht: Hast du vielleicht Kinder, die mehr Betreuung brauchen, oder Stress mit einem Arbeitskollegen? Ich kann immer reagieren. Meine Athleten sind offen mit mir, weil ich sie nicht bewerte. Wenn du mir heute sagst, du schaffst dein Training nicht, dann ist das eben so. Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben. Meine Athleten können ehrlich sein. Dadurch behalten sie viel länger die Freude am Sport.
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