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Saudiarabien nutzt E-Sport, um sein Bild in der Welt aufzupolieren – mittendrin: die Schach-Lichtgestalt Magnus Carlsen

Saudiarabien nutzt E-Sport, um sein Bild in der Welt aufzupolieren – mittendrin: die Schach-Lichtgestalt Magnus Carlsen
Goldregen und viel Geld: Magnus Carlsen gewinnt den Schach-Wettkampf am E-Sports World Cup in Riad.

Ein Schachspiel ist normalerweise eine direkte Konfrontation. Die Gegner sitzen sich am Brett gegenüber, Auge in Auge. Mit unbewegter Miene versuchen sie, jede Regung des anderen zu deuten. Das Spiel der Könige ist zugleich ein intellektuelles und psychologisches Duell.

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In diesem Match ist das anders. Magnus Carlsen, der beste Schachspieler der Welt, sitzt vor einem Computerbildschirm in einem bequemen Sessel, wie das Gamer tun. Die Ohren des 34-Jährigen sind mit schalldämpfenden Kopfhörern zugedeckt. Carlsen führt seine Züge per Mausklick am Computer aus. Den Gegner sieht er nicht.

Das führt dazu, dass der fünfmalige Weltmeister aus Norwegen hier Emotionen zeigen darf. Carlsen lächelt, schüttelt den Kopf, verzieht das Gesicht; dabei trägt er eine Jacke mit Pferde-Motiven, die während eines normalen Matches den Gegner in den Wahnsinn treiben würde. Der Match wird im Internet gestreamt; das Publikum sieht das Schachbrett und die Kontrahenten.

Carlsen kassiert 250 000 US-Dollar für drei Tage Arbeit

Anders als bei klassischen Turnieren jubeln und applaudieren die Zuschauer in der Halle bei gelungenen Zügen. Carlsen spielt nicht in der ernsten Atmosphäre eines traditionellen Schachwettbewerbs, sondern beim E-Sports World Cup in Riad. Er gewinnt das Turnier und kassiert 250 000 US-Dollar – ein stattliches Honorar für drei Tage am Brett.

Carlsen hat vor zwei Jahren den Weltmeister-Titel des internationalen Schachverbandes (Fide) kampflos abgegeben. Klassisches Schach langweile ihn zunehmend, sagte er in den Medien. Sein Auftritt in Saudiarabien an einem elektronischen Turnier ist kein Zufall, sondern Kalkül.

Schach war dieses Jahr erstmals Teil des E-Sports World Cup, einer Grossveranstaltung elektronischer Sportarten, die von Anfang Juli bis Mitte August läuft. 2000 Teilnehmende messen sich in 25 verschiedenen Spielen; das Preisgeld beträgt insgesamt 71,5 Millionen US-Dollar. Der E-Sports World Cup gehört dem saudischen Staatsfonds Public Investment Fund (PIF).

Der PIF investiert auch in Hersteller von Computerspielen

Dem Kronprinzen und De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman, dient der üppig geäufnete Fond unter anderem dazu, in Sport und E-Sport zu investieren. Zum Portfolio gehören unter anderem der Fussballklub Newcastle United und die LIV-Tour im Golf. Saudiarabien richtete schon prestigeträchtige Boxkämpfe aus und dürfte die Fussball-WM 2034 zugesprochen bekommen.

Das ist Teil der Vision 2030, mit der die Staatsführung gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen anstossen will – die das Land unabhängiger von den Erdöl-Einnahmen machen sollen. Die Investitionen in den Sport sowie den E-Sport dienen auch dazu, der Welt ein moderneres Bild Saudiarabiens zu vermitteln.

Der PIF investiert nicht nur in Fussballklubs, sondern auch in Hersteller von Computerspielen. Über eine Tochterfirma hält er Anteile an Electronic Arts, bekannt für Spiele wie Madden und Fifa, sowie an Activision, dem Entwickler der Call-of-Duty-Reihe. In diesen Spielen treten auch Teilnehmer des E-Sports World Cup an.

In der geplanten Retortenstadt Qiddiya soll es nebst Wasser-, Freizeitpärken und einer Formel-1-Rennstrecke dereinst auch ein Zentrum für elektronischen Sport geben; mit Trainingsanlagen und Infrastruktur für Wettkämpfe. Saudiarabien sieht Potenzial im E-Sport – das dürfte auch daran liegen, dass zwei Drittel der Bevölkerung unter 35 Jahre alt sind. Und hier kommt Carlsen ins Spiel. Und mit ihm das Schach.

Schach ist bei einem jungen Publikum en vogue

Während der Pandemie hat Schach dank dem Internet sein angestaubtes Image abgelegt und ein junges Publikum gewonnen. Schach-affine Youtuber, die Netflix-Serie «Queen’s Gambit» sowie Lern- und Spiel-Portale wie «Chess.com» haben diesen Trend befeuert. Carlsen erkannte das Potenzial während der Corona-Zeit und gründete die Champions Chess Tour, ein elektronisches Turnier-Format.

Später verkaufte er die Champions Chess Tour an «Chess.com», doch die Sponsorensuche gestaltete sich schwierig. In einem Interview mit einem Schach-Influencer sagte Carlsen 2023, sein Traum-Investor wäre der saudische Staatsfonds PIF. Dieser «Traum» ist nun Wirklichkeit: In diesem Jahr fand das Finalturnier der Champions Chess Tour erstmals am E-Sports World Cup statt.

In den letzten Jahren reiste Carlsen mehrfach nach Saudiarabien, trat bei einer Konferenz auf und ist nun weltweiter Botschafter des E-Sports World Cup – zusammen mit Cristiano Ronaldo, den er bereits zu einem Plausch-Schach-Duell herausgefordert hat. Wie viel Carlsen für sein Engagement kassiert, bleibt offen.

17 Hinrichtungen innerhalb von drei Tagen

Saudiarabien sieht sich immer noch mit dem Vorwurf des Sportswashings konfrontiert. Zur möglichen Vergabe der WM 2034 sagte der frühere Fifa-Reformer und emeritierte Strafrechtsprofessor Mark Pieth zur NZZ: «Die Fifa geht einen Deal mit dem Teufel ein.». Er forderte, dass Saudiarabien gewisse Mindestanforderungen bei Menschenrechten erfüllen müsse.

Am vergangenen Wochenende, als Carlsen in Riad spielte, richtete Saudiarabien innerhalb von drei Tagen 17 Menschen hin. Anfang Juli schrieb Amnesty International, die Zahl der Hinrichtungen sei in Saudiarabien in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gestiegen und hätte 2024 mit 345 einen Höchststand erreicht.

Carlsen schweigt zu diesen Vorgängen. Er befindet sich damit in bester Gesellschaft: Schliesslich lassen sich auch der frühere Tennisstar Rafael Nadal sowie die Fussballer Lionel Messi und Cristiano Ronaldo vor Saudiarabiens Karren spannen.

nzz.ch

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