Stefan Frei ist nicht nur Goalie in Seattle, sondern auch Künstler – die Klub-WM würde er in Gold und Grün malen


Gold und Grün: Das wären die Farben, die Stefan Frei verwenden würde, sollte er ein Bild von der Klub-WM in den USA malen. Der gebürtige Schweizer aus dem Kanton St. Gallen, der vor acht Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb, ist nicht nur Stammgoalie der US-Fussball-Franchise Seattle Sounders FC, sondern auch ein passionierter Künstler. Seine Werke präsentiert er in einem eigenen Online-Atelier und bietet sie zum Verkauf an.
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Frei ist mittlerweile 39-jährig und spielt seit elfeinhalb Jahren für Seattle. Sein Verein qualifizierte sich als Kontinentalmeister Nord- und Zentralamerikas sowie der Karibik im Jahr 2021 für das WM-Turnier. In der Auslosung erwischte der Klub die wohl anspruchsvollste Vorrundengruppe und schied nach Niederlagen gegen Botafogo FR (1:2), Atlético Madrid (1:3) und Paris Saint-Germain (0:2) aus. Zwei der drei Partien trug Seattle im futuristischen Heimstadion Lumen Field mit Blick auf die Skyline der Stadt aus.
Eine eigene Sicht auf den neuen KlubvergleichDas Duell gegen den Champions-League-Sieger PSG nahm Frei im Videogespräch mit der NZZ zum Anlass, die Farbe Gold zu wählen – sie soll die herausragende Qualität des europäischen Kontrahenten symbolisieren. Die grünen Pinselstriche hingegen stehen für den neu verlegten Naturrasen, den der Weltfussballverband Fifa eigens für das Turnier im Stadion von Seattle verlegen liess – normalerweise absolviert Seattle seine Heimspiele auf Kunstrasen. Stilistisch, erzählt Frei, würde seine Illustration einem geometrischen Ansatz folgen, mit klaren Linien, die charakteristische Bezugspunkte des Spielfelds aufnähmen. «Hier kommt der Torhüter in mir durch», sagt er.
Als Zeichner steht Frei für abstrakte Darstellungen. Auch sprachlich formuliert der Goalie eine eigenständige Sicht auf den in Europa skeptisch betrachteten Klubvergleich, den die Fifa mitten in die Sommerpause der europäischen Spitzenvereine gezimmert hat. Er sei von Anfang an angetan gewesen von der Idee, den bis anhin jeweils am Jahresende mit wenigen Teilnehmern ausgetragenen Wettbewerb zu reformieren, sagt Frei.
In seiner Haltung sieht er sich bestätigt: Die Spiele hätten gezeigt, dass attraktiver Fussball nicht allein in Europa gespielt werde, sondern weltweit. Vor den Halbfinals wurden lediglich sechs von sechzig Spielen mit einer Tordifferenz von mindestens vier Treffern entschieden, darunter zwei Partien mit dem ozeanischen Halbprofi-Klub Auckland City.
Besonders fasziniert Frei die sichtbar gewordene «clashing culture» – die unterschiedlichen Spielstile der einzelnen Kontinentalvertreter. Südamerikanische Mannschaften etwa überzeugten weniger durch technische Finesse als vielmehr durch beeindruckende Physis. Botafogos Robustheit und Aggressivität seien deutlich ausgeprägter gewesen als die von PSG und Atlético, erzählt Frei.
Solche Eindrücke, die es ohne das Turnier nicht geben würde, trügen zur Entwicklung von Klubs wie Seattle bei, die nur selten die Gelegenheit hätten, sich mit der internationalen Elite zu messen. Einen speziellen Lerneffekt erkennt Frei darin, dass die besten Spieler «keinerlei verrückte Dinge» machten, sondern «einfache Sachen in Perfektion» ausführten. Davon habe sein Team für den bereits wieder aufgenommenen Betrieb in der Major League Soccer (MLS) profitieren können.
Seattle rangiert auf Platz fünf der Western Conference. Vor ein paar Tagen trennte sich der Klub 1:1 von Columbus Crew – in jener Partie zog sich Frei eine unglückliche Verletzung zu, als er mit dem Kopf gegen das Knie eines Gegenspielers prallte. Der Trainer Brian Schmetzer gab immerhin Entwarnung: Es gehe seinem Torhüter den Umständen entsprechend gut.
Frei absolviert derzeit seine 17. Saison in der MLS. Sein Auftreten wirkt robust, geprägt auch durch die Profi-Erfahrungen in den USA. Viele Spiele im Sommer finden unter extremer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit statt, oft begleitet von wetterbedingten Verzögerungen. Darüber beklagten sich jüngst die europäischen Vereine an der WM. Als Argument lässt Frei das nicht gelten, die Bedingungen seien schliesslich jeweils für beide Mannschaften gleich. Im Zweifel müsse man den Spielstil anpassen.
Das sei fast allen Teams klar – mit Ausnahme der mitteleuropäischen, die meistens in einem für Fussball idealen Klima spielen könnten. Frei selbst hat auf den Auswärtsreisen innerhalb der USA nahezu alles erlebt: von Wüstentemperaturen bis hin zu kurzfristigen Spielabsagen wegen Sturmwarnungen. Viele Beschwerden im Rahmen der Klub-WM hält er deshalb für übertrieben.
Zu Beginn ein Jahresgehalt von 35 000 DollarTrotz seinem insgesamt positiven Fazit übt Frei auch Kritik an der WM: Die Fifa müsse aus einigen Entscheidungen lernen – etwa in Bezug auf die frühen Anstosszeiten und die riesigen Stadien. Beides habe dazu geführt, dass bei vielen Vorrundenspielen ganze Tribünenränge leer blieben. Aus Freis Sicht hat sich der Verband zu stark am europäischen TV-Markt orientiert. Ein Spiel zwischen zwei eher unbekannten Klubs an einem Werktag zur Mittagszeit funktioniere beim amerikanischen Publikum schlicht nicht, sagt er. Die amerikanischen Fussballfans hätten zwar zunächst, ähnlich wie in Europa, mit dem Wettbewerb gefremdelt, dann aber zunehmend Gefallen an den Pflichtspielen gefunden – diese sind eine Seltenheit, da die internationalen Topteams sonst nur für Testspiele in die Staaten reisen.
Als Vermächtnis der Klub-WM wünscht sich Frei einen zusätzlichen Schub an Begeisterung und Wachstum. Im besten Fall habe das Turnier als Einstimmung auf die WM 2026 in Nordamerika gedient. Frei sieht den Fussball in den USA grundsätzlich im Aufwind. In seinen Anfangsjahren habe das Jahresgehalt 35 000 US-Dollar betragen, zu Auswärtsspielen seien Linienflüge gebucht worden, und viele ältere europäische Spieler hätten die Liga als eine Art Ruhestandsdomizil empfunden. Doch das sei längst Vergangenheit, betont Frei. Frei hofft nun, dass die Klub-WM künftig alle vier Jahre stattfindet. Vielleicht hält er sie dann irgendwann als Bild fest und stellt es aus.
nzz.ch