Tour de France: Wie Deutschlands Radsport-Hoffnung Florian Lipowitz vom Ski aufs Rad kam

30 Stunden Training pro Woche, ein Leben auf 2200 Metern Höhe im spanischen Hochgebirge Sierra Nevada, drei Wochen lang: Die Vorbereitung eines Radsportlers auf eine Rundfahrt ist hart. „Das ist für mich richtig viel“, sagt Florian Lipowitz. „Ein Tag besteht aus Schlafen, Essen, Trainieren, Massage“, ergänzt der 24-Jährige eineinhalb Wochen vor dem Start des Critérium du Dauphiné im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die achttägige Rundfahrt gilt als die Generalprobe für die Anfang Juli beginnende Tour de France.
Lipowitz geht bei der Dauphiné, die an diesem Sonntag startet, als Kapitän seines Teams Red Bull-Bora-hansgrohe ins Rennen. Er weiß: „Wenn die Leistung dort passt, dann kann das mit einem Tour-Start ziemlich gut aussehen.“ Sein Team gibt erst einige Tage vor der populärsten Rundfahrt der Welt das Aufgebot bekannt. Für Lipowitz würde „ein Traum in Erfüllung gehen“.
Der gebürtige Laichinger (Baden-Württemberg) ist der deutsche Shootingstar auf dem Rad. Jan Ullrich, Gewinner der Tour de France 1997, sagte kürzlich über Lipowitz: „Er ist ein sehr stabiler Fahrer und wird auch immer öfter bei kleineren Rundfahrten an die Kapitänsrolle herangeführt. Er kann mit dem Druck umgehen und hat großes Potenzial.“
Jan Ullrich, Tour-de-France-Sieger 1997
Erstmals aufhorchen lässt Lipowitz vergangenen Herbst bei der Spanien-Rundfahrt. Die Vuelta gehört mit dem Giro (Italien) und der Tour zu den drei größten Rennen im Radsport-Kalender. Trotz seiner Helferdienste für Kapitän Primoz Roglic, der die Vuelta am Ende gewinnt, wird Lipowitz starker Siebter. Einige Monate später, diesmal mit Lipowitz in der Rolle des Kapitäns, schafft er bei Paris-Nizza (sieben Etappen) als Zweiter den Sprung aufs Podium. Zudem entscheidet der deutsche Vizemeister im Straßenrennen die Nachwuchswertung für sich.

Bei Paris-Nizza auf dem Podium: Florian Lipowitz (l.) neben dem Sieger Matteo Jorgensen und dem Dritten Thymen Arensman.
Quelle: IMAGO/Photo News
„Für mich kam das schon überraschend“, sagt Lipowitz mit Blick auf seine guten Leistungen zuletzt. „Ich habe im letzten Jahr einen riesengroßen Sprung gemacht. Es ist schön zu wissen, dass man vorne mitfahren und ein Rennen gestalten kann. Das macht deutlich mehr Spaß, als in der großen Gruppe im Ziel anzukommen“, betont er.
Dass er eines Tages Rennen im Radsport gestalten würde, hat Lipowitz als Kind nicht für möglich gehalten. Lange Zeit spielt die Sportart maximal eine Nebenrolle. Den Giro und die Tour habe er als Kind verfolgt, mehr aber auch nicht, erzählt er. Als Jugendlicher setzt Lipowitz zunächst alles auf die Karte Biathlon, geht sogar auf ein Ski-Internat und hofft, eines Tages Profi zu werden. „Mein Traum war, im Biathlon erfolgreich zu sein.“ Zwei schwere Knieverletzungen werfen ihn allerdings zurück. „Oft war dann nur das Radfahren als Ausgleichssport möglich. Und irgendwann habe ich mit dem Gedanken gespielt, ganz in den Radsport zu wechseln.“
Lipowitz bereut diesen Schritt nicht. Bei Tirol KTM fährt er zunächst in einem zweitklassigen Continental-Team. „Eine Weile“ habe es gedauert, bis er die Leistungen aus dem Training im Rennen reproduzieren konnte. „Man braucht sicher ein Jahr, um richtig reinzufinden. Ich wusste, dass der Weg schwer ist und es auch einiges an Glück braucht, um es von einem Continental-Team in ein World-Tour-Team zu schaffen.“ Der Sprung gelingt. Seit 2023 fährt Lipowitz für Red Bull-Bora-hansgrohe.
Und im Juli erstmals bei der Tour de France? Die Chance scheint zum Greifen nah. Eine gute Platzierung bei der Dauphiné kann das Ticket bedeuten. „Wenn man das Starterfeld anschaut, wären die Top Ten ein super Ergebnis“, sagt Lipowitz über seine Ziele für die Dauphiné. Mit keinen geringeren Konkurrenten als Tadej Pogacar, Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel, Platz eins, zwei und drei bei der Tour de France 2024, muss es der 24-Jährige aufnehmen.
Ob ihm selbst mal ein Triumph bei einer der drei großen Rundfahrten gelingt? „Das ist etwas zu hoch gegriffen“, ordnet er ein. Aber: „Ein Podium wäre ein Mega-Traum. Doch da muss vieles zusammenkommen. Es wäre aber gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich auf so etwas nicht hinarbeiten würde.“
rnd