«Ich bin heute, mit 71 Jahren, stärker als je zuvor», sagt der Altersforscher

Der renommierte amerikanische Mediziner Eric Topol verrät, wie es Super-Agers gelingt, gesund alt zu werden – und worin das Geheimnis seiner persönlichen Anti-Aging-Therapie besteht.
Martin Angler

Sandy Huffaker / The Washington Post via Getty
Der Amerikaner Eric Topol ist ein einflussreicher Herzspezialist und hat sich als Forscher mit den genetischen Grundlagen von Krankheiten beschäftigt. Inzwischen ist er 71 und widmet sich in einer Studie der Frage: Was zeichnet Menschen aus, die sehr alt werden? Über die Ergebnisse seiner Recherchen zu der Frage, was das gesunde Altern fördert und was nicht, hat er jetzt ein Buch geschrieben. Ein Gespräch über den Trick, sich mit über 70 noch wie 50 zu fühlen.
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Herr Professor Topol, Sie untersuchen in einer Langzeitstudie, warum manche Menschen zu sogenannten «Super-Agers» werden. Also wie sie es schaffen, gesund alt zu werden. In Ihren Berichten fällt eine Dame besonders auf: die 98-jährige Lenore Rushall.
Lenore ist schon seit langem eine Patientin von mir, und sie sticht wirklich heraus. Sie ist kognitiv frisch, geht ins Freie, und sie ist eine begabte Malerin. Ernsthaft krank war sie nie. Das unterscheidet sie von typischen Altersgenossen. Menschen über 85 ohne ernsthafte Krankheiten sind eher die Ausnahme als die Regel. Wenn Sie jetzt aber denken, dass Lenores besondere Gene der Grund dafür sind, täuschen Sie sich. Denn die unterscheiden sich kaum von jenen unserer anderen 1400 Studienteilnehmer.
Prinzipiell kann also jeder gesund alt werden?
In der Studie haben wir das gesamte Genom der Teilnehmer analysiert, und wir können sagen: Die Gene und etwas Glück spielen zwar insgesamt eine gewisse Rolle, beim Altern aber eher eine untergeordnete. Wesentlich wichtiger ist der Lebensstil, den jemand führt, also gesundes Essen, qualitativ hochwertiger Schlaf, Bewegung und saubere Luft.
Wie ist das zu erklären?
Ein wichtiger Grund ist, dass solche Umweltfaktoren das Immunsystem stärker beeinflussen als die Gene. Der Zustand des Immunsystems spielt beim Altern aber eine entscheidende Rolle. Lenore zum Beispiel hatte ein besonders intaktes Immunsystem, damit war sie eine Ausnahme in ihrer Familie. Ihre Brüder und Eltern starben alle im Alter von etwa 60 Jahren, obwohl sie ihr genetisch sehr ähnlich waren.

Wäre es dann nicht sinnvoll, schon frühzeitig die Fitness des eigenen Immunsystems zu messen?
Klinisch betrachtet gibt es da momentan leider keine vernünftige Methode, die auch routinemässig verfügbar wäre. Sie können also nicht einfach per Bluttest überprüfen, wie gesund Ihr Immunsystem gerade ist. Zwar wird vielfach der Blutmarker NLR empfohlen, der das Verhältnis bestimmter weisser Blutkörperchen misst und Entzündungen anzeigt. Doch für eine Aussage über den Zustand des Immunsystems ist er quasi bedeutungslos. Vielversprechender sind da eher Studien, die per Machine Learning eine sogenannte Immunsystem-Uhr ermitteln.
Was ist das, eine Immunsystem-Uhr?
Das ist eine Technologie, an der gerade fieberhaft geforscht wird. Eine Studie der Stanford University von 2025 hat mehrere tausend Proteine gefunden, die als Marker für die Gesundheit von Organen wie Herz, Lunge und auch dem Immunsystem dienen. Dazu haben die Forscher zigtausend Datensätze per KI untersucht. Der Clou dabei ist, dass die Daten bei den entsprechenden Personen über einen sehr langen Zeitraum erhoben worden waren. Die Wissenschafter konnten also einen Vorher-Nachher-Vergleich im Abstand von 17 Jahren anstellen – deshalb der Begriff Uhr. Dabei zeigte sich, dass Entzündungen schon früh in einem starken Zusammenhang mit Organ- und Immunkrankheiten im Alter stehen.
Warum spielen Entzündungen beim Alterungsprozess eine so grosse Rolle?
Es gibt einen gemeinsamen Nenner bei den vier wichtigsten Altersleiden, also Diabetes, Krebs, den Herz-Kreislauf-Krankheiten und neurodegenerativen Krankheiten wie Demenz: Bei allen sind chronische Entzündungen massgeblich an der Entstehung beteiligt. Solche Prozesse schädigen teilweise über Jahrzehnte, bevor sich Probleme zeigen, den Körper. Ein gesunder Lebensstil kann das Risiko für solche chronischen Entzündungen senken. Wichtig wäre aber auch eine frühzeitige, individualisierte Erkennung von Risikofaktoren mit einer anschliessenden gezielten, präventiven Behandlung von sich anbahnenden Erkrankungen.
Wie hat man sich so eine individualisierte Prävention in der Praxis vorzustellen?
Das lässt sich am leichtesten an einem Beispiel veranschaulichen. Vor kurzem war in vielen Medien zu lesen, dass niedrig dosiertes Aspirin Darmkrebs vorbeugen könne. Schaut man sich die Studie dahinter an, dann stimmt das nur, wenn die betroffenen Personen eine bestimmte Mutation ihrer Blutstammzellen haben. Das liesse sich leicht und billig überprüfen, doch das macht niemand. Wer die Mutation nicht hat und trotzdem mit niedrig dosiertem Aspirin sein Darmkrebsrisiko senken möchte, bei dem bleibt diese Wirkung nicht nur aus, der riskiert auch noch Blutungen in Magen und Darm. Dass wir solche Gentests nicht regelmässig veranlassen, ist reine Dummheit.

Sandy Huffaker / The Washington Post via Getty
Woran liegt das?
In manchen Fällen einfach an Unwissenheit. Nehmen Sie Alzheimer. Die Krankheit liesse sich am Protein «pTau217» im Blut erkennen, und das bis zu zwei Jahrzehnte bevor die Krankheit ausbricht und sich erste Symptome zeigen. So ein Test kostet in den USA knappe 190 Dollar. Das ist ein geringer Preis für eine der wichtigsten neurologischen Errungenschaften der Neuzeit. Denn der Bluttest ist mindestens so präzise wie eine Lumbalpunktion, also eine Suche nach Alzheimerspuren im Nervenwasser, das ältere Verfahren. Doch auch diesen Test macht kaum jemand. Ich glaube, weil zu wenig Ärzte über ihn Bescheid wissen und ihn verschreiben.
Sie sind 71 Jahre alt. Haben Sie den Alzheimer-Bluttest selbst schon gemacht?
Ja. Denn ich wusste bereits im Vorfeld, dass ich das Risikogen ApoE4 in mir trage, das einer der wichtigsten genetischen Risikofaktoren für Alzheimer ist. Glücklicherweise ist mein pTau217-Wert niedrig, so dass ich mir im Moment keine Sorgen machen muss. Bei einigen meiner Familienmitglieder ist das aber anders. Genau so sollten wir Risiko ermitteln: individuell und gezielt. Es hat keinen Sinn, alle Menschen zu Massen-Screenings einzuladen, wenn nur ein paar wenige eine Krankheit entwickeln. Getestet werden muss je nach individuellem Risiko.
So betrachtet ergeben die Pauschal-Empfehlungen prominenter «Medfluencer» aber wenig Sinn. Dazu zählen Ganzkörper-MRT-Scans, die Youtuber wie Andrew Huberman und der Arzt Peter Attia einem Millionenpublikum nahelegen.
So ein explorativer Ganzkörper-Scan ist zur Prävention nicht geeignet. Wenn Sie dort einen Knoten finden, dann ist der schon mehrere Milliarden Zellen gross. Ein junger amerikanischer Arzt und Journalist hat so einen Scan gemacht, und dabei tauchte eine Masse auf seiner Prostata auf. Es konnte aber auch nach mehreren Zusatz-Untersuchungen immer noch nicht herausgefunden werden, was genau nicht stimmt. Seitdem lebt er in Unsicherheit. Verstehen Sie mich richtig: Ganzkörper-MRT sind ein wichtiges Diagnosewerkzeug. Aber gezielt. Es muss nicht jeder seinen ganzen Körper scannen.
Die Influencer empfehlen auch angebliche Nahrungsergänzungsmittel, die das Altern rückgängig machen sollen.
Dazu muss man erst einmal klar sagen: Es gibt kein einziges Nahrungsergänzungsmittel, das einen nachgewiesenen Effekt in puncto Alterung beim Menschen hat. Die Studien, die einen Effekt belegen, sind zu einem Grossteil Laborstudien mit Zellen. Bestenfalls wurden die Präparate an Mäusen und Ratten getestet. Ohne ordentlich gemachte, qualitativ hochwertige Kontrollstudien beim Menschen lässt sich eine Wirkung nicht belegen. Manche der Präparate werden trotzdem einfach so empfohlen, das ist verantwortungslos, weil sie gefährliche Nebenwirkungen haben können. Es gibt in diesem Bereich leider zu wenig Regulierungen.
Einer der prominentesten Wirkstoffe, die angeblich einen Anti-Aging-Effekt besitzen, ist Rapamycin. Im Netz berichten einige Patienten jedoch von Nebenwirkungen.
Der Hype um Rapamycin als Anti-Aging-Mittel ist völlig überzogen. Das Mittel fährt das Immunsystem herunter und wird für gewöhnlich nach einer Transplantation verschrieben, damit der Körper das fremde Organ nicht abstösst. So einen Wirkstoff sollte niemand nehmen, der ihn nicht medizinisch benötigt. Sie werden dafür auch keine medizinisch begründbare Dosierungsempfehlung finden. Manche der Influencer nehmen das Mittel einmal pro Woche, andere jeden Tag – und das in unterschiedlichen Mengen. Auch beim Rapamycin gibt es keinen Nachweis, dass das Mittel das Altern beim Menschen verzögert.
Das Diabetesmittel Metformin wird ähnlich hoch gehandelt. Wie sieht es mit ihm aus?
Metformin ist zumindest nicht so gefährlich wie Rapamycin, weil es das Immunsystem nicht herunterfährt. Ein Effekt des Medikamentes ist es, dass es die chronischen Entzündungen, die zur Entstehung der Alterskrankheiten beitragen, zu einem gewissen Mass verringert. Das ist vorteilhaft. Aber daraus kann man keinen direkten Anti-Aging-Effekt ableiten. Metformin ist seit Jahrzehnten gegen Diabetes im Einsatz und wurde in unzähligen grossen Studien am Menschen überprüft. Denken Sie, wir hätten in all den Jahren nicht gemerkt, dass die Probanden langsamer altern würden?
Für ein gesundes Altern spielt auch die Proteinaufnahme eine Rolle – wegen des zunehmenden Muskelabbaus bei Senioren. Welche Mengen sind hier zu empfehlen?
Man sollte im Alter 1,2 oder sogar 1,4 Gramm Proteine pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen, weil der Körper ab 60 Jahren rapide Muskelmasse abbaut. Von höheren Dosen ist eher abzuraten, weil ein Zuviel an Proteinen Krankheiten und den Alterungsprozess fördert.
Wie halten Sie selbst Ihren Alterungsprozess in Schach?
Ich mache all das, wofür es gute Belege gibt. Dazu zählen gesundes Essen und regelmässiger Schlaf, Ausdauer- und Krafttraining sowie Früherkennung dort, wo es sinnvoll ist. Ich bin vollständig gegen alle wichtigen Krankheiten geimpft. Wir wissen heute, dass beispielsweise die Gürtelrose-Impfung einen positiven Effekt auf das Immunsystem hat. Ich bin heute, mit 71 Jahren, stärker als je zuvor. In meiner Familie ist das nicht selbstverständlich, denn meine Eltern starben vergleichsweise früh. Das zeigt uns aber auch: Eine Familiengeschichte voller Krankheit und früher Tode hält uns nicht davon ab, zu Super-Agers zu werden.
Ein Artikel aus dem «NZZ am Sonntag»
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