Warum das Elektroauto nicht die Lösung der Verkehrswende ist

Die Elektromobilität kann nur der Anfang einer nachhaltigen Verkehrswende sein. Das System Verkehr in den Städten muss grundsätzlich überarbeitet werden.
Wer heute über die Zukunft der Mobilität spricht, landet fast automatisch beim Elektroauto. In der politischen Kommunikation, in der Werbung und in den Feuilletons steht das E-Auto sinnbildlich für den Fortschritt. Der Stecker ersetzt den Auspuff, das Gewissen ist beruhigt. Doch genau hier beginnt das Problem: Die Verkehrswende wird auf das Antriebssystem reduziert – und verpasst damit ihren eigenen Anspruch. Denn das Elektroauto ist nicht die Lösung, sondern nur ein Symptom einer viel größeren Veränderung.
Denn im Kern bleibt das System gleich: Wir ersetzen Millionen Verbrenner durch Millionen E-Autos, die genauso viel Platz verbrauchen, genauso lange im Stau stehen und genauso viel Fläche beanspruchen wie zuvor. Das eigentliche Versprechen der Mobilitätswende war nie nur der elektrische Antrieb, sondern ein anderes Verständnis von Bewegung. Doch davon ist Europa weit entfernt.
Doch es gibt auch positive Entwicklungen und die kommen von Startups. Mobility-Gründer eint ein Gedanke: Mobilität ist kein Produkt, sondern ein Netzwerk. Während traditionelle Hersteller ihren Mobility-as-a-Service Ansatz komplett aufgegeben haben, programmieren junge Firmen das Betriebssystem der Mobilität. Sie verbinden Energie, Daten, Verkehr und Stadtplanung zu einem digitalen Organismus.
In Potsdam analysiert das Startup MotionTag anonyme Bewegungsdaten, um Verkehrsplanung smarter zu machen. Das Berliner Unternehmen Swobbee errichtet Batteriewechselstationen für Mikromobilität und exportiert das Konzept nach Amsterdam und Warschau. Und Plattformen wie The Mobility House oder GridX integrieren Elektroflotten in das Stromnetz, damit Energie nicht nur verbraucht, sondern auch zurückgespeist wird.
Wie sich systemübergreifende Kooperationen entwickeln, sieht man inzwischen auch außerhalb Deutschlands. In Luxemburg will Stellantis gemeinsam mit dem chinesischen Unternehmen Pony.ai ab 2026 autonome, vollelektrische Vans auf die Straße bringen. Die Partnerschaft wurde Mitte Oktober offiziell bekannt gegeben.
Nur wenige Tage später verkündete Baidu, sein Robotaxi-System „Apollo Go“ in die Schweiz zu bringen – zusammen mit dem PostBus, also einem staatlichen Verkehrsbetrieb. Und in Hamburg arbeitet der VW-Ableger Moia schon lange mit dem ÖPNV zusammen. Diese Projekte zeigen, dass die Grenzen zwischen Privatverkehr, ÖPNV und Technologieplattformen verschwimmen. Die Zukunft der Mobilität liegt nicht mehr in der Hand einzelner Hersteller, sondern in Kooperationen über Branchen und Länder hinweg.
Dieses Denken in Systemen ist auch bei der Energieinfrastruktur entscheidend. Ladepunkte allein reichen nicht; gebraucht werden Datenplattformen, die Netze, Fahrzeuge und Nutzer in Echtzeit koordinieren. Startups wie das Unternehmen Optibus oder das französische Vianova entwickeln Software, die Städte bei der Verkehrssteuerung unterstützt – mit KI, die Verkehrsdaten analysiert und Routen dynamisch anpasst. Damit wird Mobilität zu einem lernenden System, das auf Nachfrage, Wetter und Energieverfügbarkeit reagiert.
Die eigentliche Frage lautet also nicht, wie viele Elektroautos wir bis 2030 auf die Straße bringen, sondern wie wir die Systeme dahinter gestalten. Wie lassen sich Stadtplanung, Energie und Verkehr zusammendenken? Und wie kann man die Mobilität vor allem in den Städten flexibler und demokratischer gestalten?
Die Zukunft der Mobilität entsteht nicht im Windkanal, sondern im Netzwerk. Sie benötigt weniger PS und mehr API. Sie wird von Software bestimmt, nicht von Karosserien. Wer Mobilität wirklich neu denken will, darf nicht beim Stecker stehen bleiben. Es geht um Energieflüsse, Raumordnung, Datenhoheit und Servicekultur. Die Mobilitätswende beginnt dort, wo wir aufhören, Autos zu zählen – und anfangen, Systeme zu verstehen.
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