Jamaica war seit über dreissig Jahren nicht mehr von einem schweren Hurrikan betroffen – jetzt ist es wieder so weit

«Melissa» tobt als Wirbelsturm der höchsten Kategorie über das Meer. Dass er auf Jamaica treffen wird, sagten KI-Rechenmodelle früh voraus.

Die Einwohner der Karibikinsel Jamaica bereiten sich am Montag auf die Ankunft des Hurrikans «Melissa» vor. Boote werden gesichert, Fenster vernagelt, viele Menschen ziehen sich zeitweise in höher gelegene Gebiete zurück. Denn «Melissa» wird am Dienstag voraussichtlich als einer der stärksten Hurrikane der Neuzeit auf Jamaica treffen.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Am Montag stuft die amerikanische Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA den Hurrikan in die Kategorie fünf ein, das ist die höchste Kategorie auf der Skala für tropische Wirbelstürme. Rings um das wolkenlose Auge toben Winde mit einer anhaltenden Geschwindigkeit von bis zu 270 Kilometern pro Stunde, in Böen erreichen sie sogar 325 Kilometer in der Stunde.
Der Wind rast allerdings im Kreis, um das wolkenlose Auge herum. Der Hurrikan als Gesamtsystem bewegt sich viel gemächlicher, ungefähr so schnell wie ein Velofahrer. Am Dienstagmorgen Ortszeit wird «Melissa» – voraussichtlich leicht abgeschwächt – als schwerer Hurrikan der Kategorie vier oder fünf die Südküste Jamaicas erreichen. Winde mit anhaltenden Geschwindigkeiten von mehr als 210 Kilometern pro Stunde können aber immer noch katastrophale Schäden anrichten.
Das letzte Mal, dass ein schwerer Hurrikan die jamaicanische Küste überquerte, war im September 1988. «Gilbert» forderte 45 Menschenleben auf der Insel, und die Schäden beliefen sich auf ungefähr eine Milliarde Dollar. «Melissa» könnte beim Erreichen der Insel noch stärker sein als «Gilbert».
Es drohen eine Sturmflut und gewaltige RegenmengenAm Meeresufer wird es bald gefährlich. Denn auf der Ostseite des Hurrikans treibt der Wind das Wasser Richtung Südküste und hebt auf diese Weise den Meeresspiegel an. Der jamaicanische Wetterdienst hat für Dienstag eine drei bis vier Meter hohe Sturmflut vorausgesagt.
Eine noch grössere Gefahr als von Wind und Sturmflut dürfte aber von den heftigen Regenfällen ausgehen. Das hängt damit zusammen, dass sich der Wirbelsturm so langsam bewegt. Die NOAA erwartet, dass innert drei Tagen zwischen 500 und 750 Millimeter Regen zusammenkommen werden, punktuell sogar noch mehr. Grosse Teile der Insel sind gebirgiger Natur, was Sturzfluten und Erdrutsche begünstigt.


Der tropische Wirbelsturm «Melissa» entstand am 21. Oktober im Osten der Karibik. Südlich von Jamaica fand er ideale Bedingungen für eine rasante Verstärkung vor. Dort war das Wasser für die Jahreszeit ungewöhnlich warm: Die Temperaturen lagen an der Meeresoberfläche bei 30 Grad Celsius, ein Grad höher als im Durchschnitt der vergangenen Jahrzehnte.
Die feuchtwarme Luft über dem Meer speist die Energie der Hurrikane. Innerhalb von zwei Tagen wurde «Melissa» von einem Tropensturm zu einem Hurrikan der Kategorie fünf. Wissenschafter sagen, dass eine solch schnelle Intensivierung wegen des Klimawandels immer öfter auftritt.
Schon vor mehreren Tagen deuteten Vorhersagen darauf hin, dass Jamaica von einem tropischen Wirbelsturm getroffen werden könnte – die Einwohner hatten also viel Zeit zur Vorbereitung. Rechenmodelle, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten, prognostizierten vor allem den Pfad des Hurrikans recht genau. Jedenfalls sagten sie früher als das Standardmodell des amerikanischen Wetterdienstes voraus, dass «Melissa» in ein Gebiet mit besonders hohen Wassertemperaturen zieht, bevor der Wirbelsturm plötzlich Richtung Norden abbiegt.
Am Dienstag überquert «Melissa» Jamaica. Anschliessend dürfte der Hurrikan auf den Osten Kubas und die Bahamas treffen. Gut möglich, dass auch Haiti die Ausläufer des Wirbelsturms zu spüren bekommt. Doch bis dahin wird er sich voraussichtlich weiter abgeschwächt haben.
nzz.ch




