INTERVIEW - «Die angeblichen neuen ‹Wunderwaffen› bringen Russland strategisch nichts. Die USA sollten sie rhetorisch einfach ignorieren», sagt der Experte

Kurz nach russischen Waffentests kündigt US-Präsident Trump die unmittelbare Wiederaufnahme von Atombombentests an. Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München ordnet die Bedeutung der russischen Waffen ein und sagt, Aussagen wie jene von Trump seien ein gigantisches Eigentor.

Russisches Verteidigungsministerium via Imago
Vergangene Woche hat der amerikanische Präsident Donald Trump auf der Plattform Truth Social eine Nachricht abgesetzt, die sogar für seine Verhältnisse aussergewöhnlich war. Die USA würden künftig wieder Atomwaffentests durchführen. Für die grösste Militärmacht der Welt war so ein Statement ein Novum – selbst wenn der amerikanische Energieminister später sagte, die Tests umfassten keine Nuklearexplosionen.
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Was Trump zu seiner Truth-Social-Nachricht veranlasst hat, ist unklar. Möglicherweise war es eine Reaktion auf russische Meldungen zu Waffentests in den Tagen davor. Russland hatte bekanntgegeben, die Systeme Poseidon und Burewestnik erfolgreich getestet zu haben. Über die Waffensysteme ist bis anhin nur wenig bekannt. Bei Poseidon handelt es sich um einen atomgetriebenen Langstreckentorpedo, dessen Ziel es sein sollte, vor der Küste eines Gegners unter Wasser eine atomare Detonation auszulösen. Burewestnik wiederum ist ein Marschflugkörper, der über einen Minireaktor verfügen soll. Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnet beide als «Wunderwaffen».
Dass die USA auf solche Meldungen von Russland reagierten, sei unüblich, sagt Frank Sauer im Gespräch. Er forscht an der Universität der Bundeswehr München dazu, wie Atommächte miteinander kommunizieren, um die Abschreckung aufrechtzuerhalten. Auch wenn die Weltlage gegenwärtig angespannt ist, sieht Sauer keinen Grund, warum die USA ihre übliche Kommunikationsweise anpassen sollten.
Herr Sauer, kürzlich sagte der russische Präsident Wladimir Putin, die Waffensysteme Poseidon und Burewestnik seien erfolgreich getestet worden. Was bezweckte er mit dieser Nachricht?
Die Nachricht hat verschiedene Dimensionen. Militärstrategisch signalisiert sie eine gesicherte Zweitschlagfähigkeit. Russland kommuniziert damit: Wir könnten mit diesen Waffensystemen auf einen nuklearen Angriff vergeltend reagieren, ohne dass etwaige US-Abwehrsysteme es verhindern könnten. Politisch geht es darum, etwas in der Hand zu haben, falls man irgendwann wieder mit den USA über Rüstungskontrolle verhandelt. Und dann geht es noch darum, nach innen wie nach aussen die Botschaft zu senden, Russland sei militärtechnologisch sehr fortschrittlich.
Sollten sich die USA vor diesen Waffensystemen fürchten?
Beide Systeme sind nicht serienreif. Und selbst wenn sie irgendwann in Dienst gestellt würden, wären diese extrem teuren Systeme nur in extrem kleiner Stückzahl verfügbar. Insofern würde ich da auf amerikanischer Seite nicht in Panik ausbrechen. Das strategische Gleichgewicht bleibt ohnehin unverändert. Das heisst: Beide Länder können einander mit den schon existierenden Arsenalen nach wie vor glaubhaft mit einer nuklearen Vergeltung drohen, falls der andere zuerst angreift. Die angeblichen neuen «Wunderwaffen» fügen dieser Gleichung nichts fundamental Neues hinzu. Sie bringen Russland strategisch also nichts. Die USA sollten sie rhetorisch einfach ignorieren, mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen.
Falls Trumps Truth-Social-Nachricht, in der er Atomwaffentests ankündigte, eine Antwort auf die russischen Waffentests war: Wie werten Sie diese Antwort?
Wir wissen nicht, was Trump vorschwebt. Wenn mit den Äusserungen gemeint gewesen sein sollte, dass man wieder Atomwaffentests durchführen will, dann wäre das ein gigantisches Eigentor. Denn die USA haben mit weitem Abstand die meisten Tests gemacht, die besten Daten gesammelt und auch ziemlich sicher die beste Infrastruktur, um Forschung durchzuführen, die Testexplosionen überflüssig macht. Insofern sind Trumps Aussagen ein Geschenk für Russland und China. Die Russen hätten sicher auch keine Skrupel, ihrerseits mit Tests anzufangen. Putin hat sich inzwischen auch schon entsprechend geäussert.
Putin bewirbt Poseidon und Burewestnik als «Wunderwaffen». Gab es überhaupt schon einmal ein Waffensystem, das das strategische Gleichgewicht zwischen Atommächten verändert hat?
Durchaus, in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren war das mit der Entwicklung von Interkontinentalraketen der Fall. Bevor es die Raketen gab, mussten Atomwaffen mit Bombern zum Ziel gebracht werden. Diese Bomber hätten Sie rein theoretisch alle mit Ihrer Flugabwehr abschiessen können. Gegen die Interkontinentalraketen gab und gibt es jedoch bis heute keine sichere Abwehr. Angenommen, Sie haben nur Bomber und die andere Seite hat Interkontinentalraketen, dann können Sie dem Gegner nicht mehr glaubwürdig androhen, einen Angriff mit gleichen Mitteln zu vergelten. Deshalb haben Interkontinentalraketen damals das strategische Gleichgewicht verändert.
Was spricht dafür, mit Wort oder Tat auf einen Waffentest oder eine Ankündigung eines Rivalen zu reagieren, und was dagegen?
Nehmen Sie beispielsweise die zahlreichen Nukleardrohungen der Russen im Zuge des Ukraine-Kriegs. Aus meiner Sicht hat die Nato darauf immer wieder souverän und deeskalierend reagiert: indem sie darauf gar nicht einging. In dem Fall war Nichtstun genau richtig. So hat die Nato keine Eskalation der nuklearen Rhetorik provoziert.
Täuscht der Eindruck, oder informiert Russland von allen Grossmächten am offensivsten über seine Waffensysteme?
Bei Russland ist das schon auffällig. Als Putin die Poseidon und die Burewestnik 2018 offiziell vorstellte, wurde das komplett aufwendig inszeniert und im Fernsehen gezeigt. Das richtete sich sowohl ans russische wie auch ans internationale Publikum. So ein Schauspiel soll andere militärische Schwächen übertünchen und Stärke signalisieren.

Vyacheslav Prokofyev / AP
Vor vier Jahren machte die «Financial Times» publik, dass die Chinesen eine neue Hyperschallwaffe getestet hatten und die Amerikaner über den Stand der Technologie schockiert waren. Warum prahlte China nicht mit dem Waffensystem, wenn es die USA so sehr überraschte?
China ist im Bereich Hyperschallgleiter weiter als die USA. Statt einfach nur in einer ballistischen Flugbahn zur Erde zu fallen wie bei einer Interkontinentalrakete, kann bei diesen Systemen der Gefechtskopf durch die Atmosphäre gleiten und ist lenkbar. Das macht die Flugbahn unkalkulierbar und die Waffe schwieriger abzufangen. Russland ist mit dem Waffensystem Awangard da ebenfalls weiter als die USA und spricht sehr viel und sehr laut darüber.
Und die Chinesen?
Die haben, wie es für sie typisch ist, keinen Piep dazu gesagt. Sie sind in dem Sinne auch ein Extremfall, weil sie sehr wenig sagen. Sie zeigen höchstens mal Systeme bei einer Parade. China spricht aber auch nicht öffentlich über die extreme zahlenmässige Aufrüstung seines Nukleararsenals. Die Chinesen gingen wahrscheinlich davon aus, dass die Amerikaner das zu einem gegebenen Zeitpunkt selber merken würden. Und das haben die Amerikaner ja auch.
Inwiefern kommunizieren die USA über die Fähigkeiten ihrer Waffensysteme?
Seit dem Ende des Kalten Kriegs haben die USA kaum nuklear bestückbare Waffensysteme benutzt, um explizit damit Stärke zu signalisieren. Wenn, dann lief das eher subtil. Etwa durch das Verlegen von potenziellen Trägerflugzeugen. In den 1990er und frühen 2000er Jahren waren die USA schliesslich die einzige Supermacht. Da haben sie eher signalisiert, Atomwaffen brauchten sie ja gar nicht mehr, weil sie allen anderen Ländern mit konventionellen Mitteln militärisch ohnehin weit überlegen seien.
Sollten die USA heute offensiver kommunizieren angesichts der volatilen und angespannten Weltlage?
Nein, es spricht heute nichts dafür, Öl ins Feuer zu giessen. Die USA sind mit ihren nichtnuklearen militärischen Fähigkeiten Russland und China immer noch haushoch überlegen. Und das Nukleararsenal der Amerikaner mag zwar nur das zweitgrösste sein, aber es wird gut unterhalten und ist modern. Deswegen könnten die USA die gegenwärtige Lage immer noch mit einer gewissen Lässigkeit angehen. Als zumindest bislang noch echte militärische Supermacht könnten sie die Aussagen Russlands einfach an sich abperlen lassen.
Wie sollten die USA in Zukunft reagieren, wenn Russland oder China den erfolgreichen Test eines Waffensystems verkünden?
So, wie sie das vor Trumps Truth-Social-Nachricht gemacht haben: gar nicht. Für uns alle gilt: Russland will uns mit Aussagen zu angeblichen Superwaffen provozieren. Wir müssen nicht über jedes Stöckchen springen, das uns der Kreml hinhält. Wir sollten uns stattdessen etwas anderes vergegenwärtigen.
Was denn?
Die Waffensysteme Poseidon und Burewestnik sind in ihrer Entwicklung exorbitant teuer und bringen Russland mit Blick auf das strategische Gleichgewicht nichts. Man könnte also auch einfach sagen, dass sich die Russen mit solchen Systemen selbst ruinieren und kaputtrüsten, so wie das schon die Sowjetunion getan hatte. Lassen wir sie doch.

PD
Er forscht und publiziert zu Fragen der internationalen Politik, vor allem zum Verhältnis zwischen Technologie und Sicherheit. Im Podcast «Sicherheitshalber» diskutiert er zusammen mit den Sicherheitsexperten Ulrike Franke, Carlo Masala und Thomas Wiegold Fragen zu Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
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