Neues HIV-Medikament Lenacapavir - sicher, aber sehr teuer

Als die Lenacapavir-Testergebnisse bei der Welt-Aids-Konferenz im Juli 2024 vorgestellt wurden, war die Fachwelt begeistert: Im Kampf gegen Aids könnte Lenacapavir tatsächlich der lange erwartete "Gamechanger" sein, der den entscheidenden Durchbruch schafft.
"Ich bin total begeistert. Als diese Daten vorgestellt wurden, war im Saal eine elektrisierende Stimmung, die ich selten so erlebt habe. Das ist einfach grandios", sagt Prof. Dr. Clara Lehmann, die Leiterin des Infektionsschutzzentrums der Uniklinik Köln.
Was ist das besondere an Lenacapavir?Das antiretrovirale Medikament hat eine fast 100-prozentige Wirksamkeit bei der Prävention und auch bei der Behandlung von HIV-Infektionen. Außerdem muss es nur zweimal im Jahr gespritzt werden, was die Verabreichung wesentlich vereinfacht. Anderen Prophylaxen wie Cabotegravir (CAB) werden alle ein bis zwei Monate injiziert; Truvada muss täglich als Tablette eingenommen werden.
Das neue Medikament ist nicht nur komfortabler. Vor allem dort, wo die Versorgung schwierig ist oder familiäre Zwänge und Stigmatisierung gegen eine tägliche Tabletteneinnahme sprechen, kann eine diskrete halbjährliche Injektion eine große Erleichterung sein, so Dr. Astrid Berner-Rodoreda, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Heidelberg Institute of Global Health. Davon würden vor allem Frauen und junge Mädchen profitieren, bei denen die HIV-Inzidenz laut UNAIDS immer noch außerordentlich hochist.
Wann ist Lenacapavir wo erhältlich?Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat das langwirksame HIV-Medikament Lenacapavir auch zur HIV-Prophylaxe PrEP zugelassen (Handelsname in den USA: Yeztugo). In der EU ist das vielversprechende Medikament des Pharmaunternehmens Gilead bislang nur zur Behandlung von HIV-Patienten unter medizinischer Aufsicht zugelassen.
Zu kaufen war Lenacapavir bisher nicht, weil der Hersteller noch die Zulassung als antivirale Prä-Expositions-Prophylaxe (HIV-PrEP) abwarten wollte. Dies ist in den USA jetzt geschehen.
Ob Lenacapavir aber wirklich den lang ersehnten Wendepunkt im Kampf gegen Aids bringt, ist trotzdem unklar. Denn zum Durchbruch würde das Präparat nur, wenn es flächendeckend eingesetzt würde. Und dafür müsste das Medikament bezahlbar sein.
Was wird Lenacapavir kosten?Bislang ist Lenacapavir allerdings unerschwinglich teuer: Für die Behandlung verlangt der US-Pharmakonzern Gilead rund 40.000 Dollar pro Person und Jahr. Zum Vergleich: Andere HIV-Prophylaxen kosten im Schnitt 50-60 Euro im Monat, also etwa 600-700 Euro im Jahr.
"Es wäre abscheulich, das Tausendfache für ein Medikament zu verlangen, welches das Potenzial hat, eine Pandemie zu beenden. Wir können Aids nicht mit solch teuren Medikamenten bekämpfen", so UNAIDS-Chefin Winnie Byanyima.
Gilead rechtfertigt den hohen Preis mit den langjährigen Entwicklungskosten. Das wollen Experten und Aids-Aktivisten aber nicht gelten lassen. Astrid Berner-Rodoreda verweist etwa auf Berechnungen des britischen Pharmakologen Andrew Hill von der Universität Liverpool, der die tatsächlichen Lenacapavir-Herstellungskosten berechnet hat.
Selbst bei einer Gewinnmarge von 30 Prozent dürfe der Preis laut Hill nur bei jährlich 40 Dollar liegen, also ein Tausendstel von dem, was Gilead verlangt.
Wo wird Lenacapavir erhältlich sein?Gilead verhandelt mit mehreren Generikaherstellern, um das Medikament künftig auch in Ländern mit niedrigem Einkommen günstiger herzustellen und zu verkaufen. Zu dem Lizenzgebiet sollen 120 Länder gehören, darunter auch einige Länder in Sub-Sahara Afrika.
Gleichzeitig aber gehören einige Länder mit mittlerem Einkommen wie Argentinien, Brasilien, Mexiko und Peru möglicherweise nicht zum Lizenzgebiet, obwohl Gilead auch dort das Medikament getestet hat. Dies werfe ethische und auch rechtliche Fragen auf, so Berner-Rodoreda.
Ähnlich sieht dies auch die stellvertretende Direktorin von UNAIDS, Christine Stegling. Bei der Vorstellung des UNAIDS-Jahresberichts sagte sie, dass solche "bahnbrechenden Neuerungen nur dann zu einem echten Rückgang der Neuinfektionen führen werden, wenn wir sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu ihnen haben".
Wie funktioniert Lenacapavir?Lenacapavir ist ein sogenannter Kapsid-Inhibitor: Der Wirkstoff stört die Funktion der kegelförmigen Proteinhülle um das HIV-Erbgut und hemmt die Vermehrung des Virus. Und das funktioniert - im Gegensatz zu den meisten antiretroviralen Wirkstoffen - in mehreren Phasen im Leben des HI-Virus.
Eigentlich will die Internationale Gemeinschaft die HIV-Epidemie bis 2030 beenden. Aber davon sind wir weit entfernt: Nach wie vor tragen weltweit über 40 Millionen Menschen das Virus in sich. Rund 30 Millionen sind in Behandlung. Das andere Viertel erhält keine antiretrovirale Therapie, welche die Virusmenge im Blut auf nicht nachweisbare Werte reduzieren könnte.
Die Zahl der weltweiten HIV-Neuinfektionen ging zwischen 2010 und 2021 um 22 Prozent zurück. Allerdings infizierten sich 2023 laut dem neuen UNAIDS-Bericht immer noch rund 1,3 Millionen Menschen.
Die größten Rückgänge sind in Subsahara-Afrika und in Südasien zu verzeichnen. Dagegen steigen die Zahlen in Mittel- und Osteuropa, in Zentralasien, Nordafrika und im Nahen Osten weiter an.
"In der Prävention haben wir keine großen Fortschritte gemacht, das muss man wirklich offen sagen. Wenn wir wirklich bis 2030 die Aids-Epidemie beenden wollen, dann müssten wir die Neuinfektionen auf 370.000 nächstes Jahr senken", sagt Astrid Berner-Rodoreda.
Die HIV-bedingten Todesfälle gingen zwischen 2010 und 2021 ebenfalls um fast 40 Prozent zurück. Im vergangenen Jahr starben rund 630.000 Menschen an Aids-bedingten Krankheiten. Das ist der niedrigste Stand seit 2004.
Gibt es Alternativen?Trotz intensiver Forschung gibt es zwar noch keine Impfung gegen HIV. Aber es gibt inzwischen einige hochwirksame Prä-Expositions-Prophylaxen, die eine HIV-Ansteckung verhindern. Auch wenn sie in der Anwendung nicht ganz so komfortabel sind, konnten die vorhandenen Prä-Expositions-Prophylaxen die HIV-Raten in einigen Ländern bereits deutlich senken.
Bislang haben sich diese günstigeren Mittel aber vor allem in wohlhabenderen Ländern bewährt. In ärmeren Ländern mit teilweise hohen HIV-Raten sind auch diese Prophylaxen oftmals zu teuer. "Nur 15 Prozent der Menschen, die PrEP benötigen, erhielten diese im Jahr 2023", heißt es im UNAIDS-Bericht.
Der Artikel wurde am 24.06.25 nach der Zulassung von Lenacapavir als HIV-Prophylaxe PrEP durch die US-Arzneimittelbehörde FDA aktualisiert.
dw