EURO 2025: Warum es Frauenteams aus Osteuropa schwer haben

"Dies ist mehr als ein Turnier. Es ist eine Bewegung. Und die Reaktion aus ganz Europa und darüber hinaus beweist, dass der Frauenfußball nicht nur existiert, sondern einen neuen Standard setzt." Das sagt Nadine Kessler, ehemalige deutsche Nationalspielerin, die bei der UEFA als geschäftsführende Direktorin für den Frauenfußball verantwortlich ist.
Vieles davon ist unbestritten: Laut UEFA wurden bereits vor Beginn der Gruppenphase der EURO 2025 mehr Eintrittskarten verkauft als während der gesamten EURO 2022, das Engagement in den sozialen Medien rund um den Frauenfußball ist seither um 55 Prozent gestiegen, und das Preisgeld hat sich um 156 Prozent auf 41 Millionen Euro erhöht.
Beeindruckende Zahlen. Sie sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwicklung im Frauenfußball längst nicht nicht in allen Regionen Europas so positiv verläuft.
Kroatien im Männerfußball international erfolgreich. Und die Frauen?Aus Osteuropa hat sich Polen als einzige Mannschaft für die diesjährige EM qualifiziert. Und in den 41 Jahren, seit im Frauenfußball Europameisterschaften ausgetragen werden, waren lediglich zwei weitere osteuropäische Mannschaften Teil dieses Turniers: die Ukraine bei der EM 2009 sowie Russland fünfmal zwischen 1997 und dem Ausschluss aus dem internationalen Fußball im Jahr 2022.
Dies steht im deutlichen Gegensatz zum Männerfußball, wo elf der 24 Mannschaften bei der letzten Europameisterschaft 2024 in Deutschland aus Osteuropa kamen - auch wenn der ganz große Erfolg dort ausblieb. Dass es auch anders geht, bewies Kroatien, das sich bei der Weltmeisterschaft 2018 erst im Finale geschlagen geben musste und vier Jahre später in Katar den dritten Platz feierte. Und die kroatischen Fußball-Frauen? Haben sich noch nie für eine EM qualifiziert.

Goran Ljubojevic, ehemaliger Trainer und jetziger Sportdirektor des kroatischen Frauen-Serienmeisters ZNK Osijek, erklärt gegenüber der DW, dass die Region immer hinterherhinke, da die Klubs erst in den 90er-Jahren begonnen hätten, Frauenprogramme einzuführen. Es gebe auch kaum Investitionen in den Frauenfußball. Zudem, so Ljubojevic, bremsten gesellschaftliche Normen den Sport: "Das kulturelle Problem in unseren Ländern ist, dass die Leute denken, dass Mädchen nicht Fußball spielen sollten, dass sie lieber zu Hause bleiben und Hausfrauen sein sollten."
Sind veraltete Rollenbilder verantwortlich?Der Gleichstellungsindex der Europäischen Union, der 2024 veröffentlicht wurde, bestätigt seine Einschätzung zu einem gewissen Grad. Kein östliches Land liegt über dem EU-Durchschnitt.
"Ich weiß nicht, ob es jemals dazu kommen wird, dass sich das männliche Gehirn in Kroatien ändert und dass dieser Teil Europas den Frauenfußball jemals auf dem Niveau akzeptiert, wie es in Westeuropa oder den USA der Fall ist," sagt Ljubojevic nachdenklich.
Wichtig dabei sei die Sichtbarkeit des Frauenfußballs, meint der Sportdirektor aus Osijek. Immerhin werde in seinem Heimatland und auch im Osten und Süden des Kontinents wahrgenommen, dass das Interesse an der Frauen-EM groß sei und die Stadien ausverkauft seien.
"Die Leute haben die Spiele der Europameisterschaft gesehen, der Weltmeisterschaft in Australien [und Neuseeland 2023 - Anm. d. Red.]. Sie registrierten die vollen Stadien und dachten: 'Wow, ich wusste gar nicht, dass so viele Leute Frauenfußball gucken.' Also ändert sich etwas in ihren Köpfen. Aber selbst dann denke ich, dass die Infrastruktur immer noch nicht gut genug ist, damit der Frauenfußball hier aufsteigen kann."
Großes Potential im Frauenfußball in OsteuropaObwohl ZNK Osijek die erfolgreichste Frauen-Mannschaft des Landes ist, kommen im Schnitt nur etwa 300 Zuschauerinnen und Zuschauer zu den Spielen. Das sind immer noch mehr als bei fast allen anderen Mannschaften im Osten Europas. Ljubojevic glaubt, dass ausreichend Talente vorhanden sind. Es müsste jedoch Geld in Training, Infrastruktur und die Bezahlung der Spielerinnen investiert werden, damit diese Vollzeitprofis werden könnten.
Die UEFA hat in den letzten Jahren Förder-Programme für den Frauenfußball Osteuropas aufgelegt. Nach Ansicht von Professor Dariusz Wojtaszyn von der Universität Breslau in Polen zeigen sie langsam Wirkung. "In den letzten Jahren hat es viele positive Entwicklungen gegeben", sagt der Historiker und Politologe, der sich intensiv mit dem osteuropäischen Frauenfußball beschäftigt hat, gegenüber der DW. "Die Budgets für den Frauenfußball sind in allen mittel- und osteuropäischen Ländern erheblich gestiegen, meist um mehr als 100 Prozent. Deshalb sehe ich die Initiativen der UEFA sehr positiv. Sie bringen wirklich greifbare Ergebnisse."
Einfluss von Politik und Geschichte auf FrauenfußballNach Ansicht der UEFA haben die neu gestalteten Frauen-Wettbewerbe, einschließlich Champions League und Europa League, sichergestellt, "dass alle Wettbewerbe und alle Endrunden für Vereine und Mannschaften aus allen Verbänden offen und zugänglich bleiben".
Weiter heißt in dem Schreiben der UEFA an die DW: "In diesem Zeitraum haben wir beeindruckende Leistungen osteuropäischer Vereine sowohl auf Vereins- als auch auf Nationalmannschafts- und Jugendnationalmannschaftsebene gesehen. Wir werden weiterhin mit den jeweiligen Verbänden zusammenarbeiten, wie wir es mit allen unseren Mitgliedsverbänden tun, um die Leistung und die Entwicklung des Fußballs auf gesamteuropäischer Ebene zu verbessern."
Wissenschaftler Wojtaszyn weist darauf hin, dass die Politik in der Region die Entwicklung des Frauenfußballs behindert habe. Obwohl die kommunistischen Systeme, die bis in die 1990er Jahre in vielen dieser Länder herrschten, die Gleichstellung der Geschlechter anstrebten, hätten sie ein "paternalistisches Familienmodell" hervorgebracht und "traditionelle soziale Beziehungen, die die Möglichkeiten für die Emanzipation der Frauen einschränkten", so Wojtaszyn. Der Fall des Kommunismus habe die Probleme dann noch weiter verschärft.
"Der Zusammenbruch des staatlichen Sponsorensystems stellte die Fußballvereine vor erhebliche wirtschaftliche Probleme", erklärt der polnische Wissenschaftler. "Unter diesen Bedingungen war es für den Frauenfußball, der weniger Interesse weckte, äußerst schwierig, auf dem freien Markt mit dem Männerfußball um Sponsoren zu konkurrieren." Die Folge: Die Spielfelder waren in einem sehr schlechten Zustand, die Fußballerinnen Amateurinnen und keine Profis.
Der Aufstieg rechter Parteien in Ländern wie Rumänien, Polen, der Slowakei und Ungarn - und das damit verbundene Wiederaufleben "traditioneller" Werte - habe den Profifußball für viele Frauen ebenfalls unattraktiv gemacht.

Obwohl seine Spielerinnen noch andere Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen, setzt Ljubojevic große Hoffnungen in die Zukunft. "Wir haben einen riesigen Talentpool, genau wie im Männerfußball, aber niemand hat sie richtig trainiert", sagt der Sportdirektor von ZNK Osijek. "Das wird in ein paar Jahren viel, viel besser sein. Wir haben großartige Spielerinnen und arbeiten jetzt wirklich auf höchstem Niveau."
Nina Patalon ist Trainerin der polnischen Nationalmannschaft, die in der Schweiz erstmals bei einer EM dabei war. Sie rechnet mit einem sprunghaften Anstieg von Spielerinnen in ihrem Land nach der EM: von 30.000 auf 300.000.
Ljubojevic ist der Meinung, dass Kroatien und vauch andere Länder im Osten Europas etwas Ähnliches brauchen, um ihre Frauenfußballszene in Schwung zu bringen. Etwa, indem man selbst eine EM ausrichtet. Polen hatte sich für 2025 vergeblich beworben, für 2029 gab es keinen Kandidaten aus Osteuropa.
"Ja, wir können es schaffen. Aber wir müssen es ernst nehmen. Der Verband, das Land und alle anderen müssen Geld und Zeit investieren", sagt Ljubojevic. "Der Frauenfußball ist die neue Welle, und wir müssen auf dieser neuen Welle reiten. Aber wir sind noch nicht so weit."
Dieser Artikel wurde aus dem englischen Original "Why was Poland the only easern European team at Euro 2025?" adaptiert.
dw