KOMMENTAR - Ditaji Kambundjis WM-Gold ist ein historischer Erfolg. Exploits dieser Art in Weltsportarten sind selten – das hat Gründe


Die Schweiz ist eine Ski-Nation. An den alpinen Ski-WM im Februar sammelte sie 13 Medaillen. Die Erfolge sind wesentlich mit der hochprofessionellen Arbeit des Skiverbandes begründbar, der 80 Millionen Franken pro Jahr investiert. Er tut das, obwohl das Blochen am Berg nicht wirklich eine Weltsportart ist. Auf höchstem Niveau bewegen sich bloss ein paar Alpenländer plus zugewandte Orte aus Nordamerika und Skandinavien.
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In der Leichtathletik sieht die Situation ganz anders aus: Überall auf der Welt sprinten, springen, werfen Athletinnen und Athleten. An den letzten WM im Jahr 2023 gewannen 46 Länder mindestens eine Medaille, darunter auch Zwergstaaten wie die Britischen Jungferninseln oder Grenada. Die Schweiz ging damals leer aus.
In olympischen Kernsportarten sind Schweizer Erfolge rarEs ist eine helvetische Spezialität, sich im Sommer vor allem in kleineren oder jüngeren Sportarten an der Spitze zu positionieren. Das zeigen die Erfolge etwa im Mountainbike oder im Beachvolleyball. In Weltsportarten aber sind internationale Erfolge rar und meist Ausnahmekönnern zu verdanken. Beispiele dafür sind Roger Federer im Tennis, Noè Ponti im Schwimmen und nun Ditaji Kambundji in der Leichtathletik.
Gold an Welttitelkämpfen dieser olympischen Kerndisziplinen gibt es selten. In der Leichtathletik schafften es vor Kambundji nur der Kugelstösser Werner Günthör (1989, 1991, 1993) und der 800-m-Läufer André Bucher an Weltmeisterschaften auf die oberste Stufe des Podests. Das unterstreicht, wie herausragend die Leistung der erst 23-Jährigen ist. Sie wird noch dadurch aufgewertet, dass die Leistungsdichte im Hürdensprint derzeit extrem gross ist.
Kambundji verfügt über herausragendes Talent, sie ist aber auch das Produkt eines Verbandes, der sich in den vergangenen Jahren mit begrenzten Mitteln rasant entwickelt hat. Anstoss dafür waren die Heim-EM 2014, die zu einem Zeitpunkt an Swiss Athletics vergeben wurden, als der Sportart in der Schweiz kurz der Absturz in die Bedeutungslosigkeit drohte.
Fördermassnahmen von den Schulkindern bis hoch in die Elite schufen eine Dynamik, die bis heute anhält und weltweit als vorbildlich gilt. Reichte es 2014 mit etwas Glück gerade einmal zu einer EM-Goldmedaille vor Heimpublikum, so sind internationale Erfolge seither fast schon selbstverständlich geworden: In den letzten 10 Jahren sammelten Schweizerinnen und Schweizer an EM 24 Medaillen – gleich viele wie in den 80 Jahren zuvor.
Gleichzeitig hat sich die Basis massiv verbreitert, was Dutzende Podestplätze an Nachwuchstitelkämpfen belegen. Die Generation, die einst auf Kambundji folgen soll, steht schon bereit. Diese Entwicklung ist für den Verband allerdings auch eine Belastung, denn Förderung und Beschickung von Grossanlässen gehen ins Geld. Der Verband hat zwar in den letzten zehn Jahren sein Budget verdoppelt, mit 10 Millionen Franken ist es aber immer noch bescheiden.
Schweizer Erfolge basieren deshalb immer auf einer Mischung aus Verbandsarbeit und Eigeninitiative. So ist es auch bei Ditaji Kambundji. Um ihre grosse Schwester Mujinga Kambundji herum entstand in Bern ein Kompetenzzentrum mit Management, Trainer und vielem mehr. Von diesem profitiert heute auch die zehn Jahre jüngere Ditaji. Gleichzeitig trainiert diese ihre Hürdentechnik aber auch am nationalen Leistungszentrum in Basel.
Trainer gehen und kritisieren die vielen KompromisseMan kann dieses Ineinandergreifen verschiedener Strukturen als Schweizer Erfolgsmodell begreifen, es ist aber auch ein Flickwerk. Mangels eigener Ressourcen sind die Verbandstrainer auf die Zusammenarbeit mit Heimtrainern und Managern angewiesen, bei Entscheiden von der Saisonplanung bis zur Trainingssteuerung reden stets mehrere Protagonisten mit. Meinungsverschiedenheiten sind beinahe unausweichlich.
In den vergangenen Jahren haben mehrere Nationaltrainer den Verband verlassen, nachdem sie zu viele Kompromisse hatten eingehen müssen. Allen voran Laurent Meuwly, der heute in den Niederlanden arbeitet. Seine Athleten haben seit 2019 über 40 internationale Medaillen gewonnen.
In den Niederlanden werden die Ressourcen und das Fachwissen für alle olympischen Sportarten an einem Ort gebündelt. Ein solches Modell liesse sich kaum auf die Schweiz übertragen. Und doch ist eine gewisse Zentralisierung notwendig, um zu vermeiden, dass Ditaji Kambundjis Titel ein einsamer Ausreisser bleibt. Das nächste Ziel von Swiss Athletics muss olympisches Gold sein. Um das Glück zu erzwingen, benötigt der Verband mehr Mittel zur Professionalisierung.
nzz.ch