Liverpool verordnet sich eine teure Verjüngungskur – der englische Meister gibt diesen Sommer 300 Millionen Euro für neue Spieler aus


«Was, bitte schön, rauchen die bei Arsenal im Emirates Stadium?», wetterte John W. Henry einst. Es war ein Ausspruch, der in die Annalen der Premier League eingegangen ist. Mit dieser scharfen Spitze wies der Eigentümer des Liverpool FC im Juli 2013 das Werben des Liga-Rivalen Arsenal um den Stürmerstar Luis Suárez zurück. Henrys Aussage macht derzeit in England erneut die Runde, allerdings leicht verändert.
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Diesmal fragt sich die Fussballöffentlichkeit, was Henry und seine Geschäftskollegen Tom Werner und Mike Gordon antreibt, die den Klub über die mehrheitlich Henry gehörende Fenway Sports Group kontrollieren. Der Liverpool FC hat in diesem Transfersommer schon 300 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben – eine Summe, die der Verein in einem einzelnen Wechselzeitraum noch nie aufgebracht hat. Der bisherige Höchstwert lag bei 190 Millionen, investiert im Jahr 2018, als der Verein auf die Titel in der Premier League und der Champions League abzielte, die Liverpool in den folgenden zwei Saisons auch gewonnen hat.
Die Investitionen sind Teil eines vor zwei Jahren eingeleiteten Generationswechsels. Zunächst erneuerte Liverpool 2023 das Mittelfeld, 2024 folgte der Trainerwechsel: Nach dem Rücktritt von Jürgen Klopp kam Arne Slot. Und nun vollzieht der Klub den Umbruch in Abwehr und Angriff. Nach dem Übertritt von Trent Alexander-Arnold zu Real Madrid wechselt für die rechte Abwehrseite der 24-jährige Jeremie Frimpong von Bayer Leverkusen zu Liverpool.
Liverpool will die Fehler von 2020 und 2022 vermeidenAuf links könnte künftig Milos Kerkez, 21 Jahre alt, vom AFC Bournemouth den inzwischen 31-jährigen Andy Robertson herausfordern. Zudem besetzt der Offensiv-Allrounder Florian Wirtz die seit langem vakante Spielmacher-Position. Wirtz könnte Liverpool mit Bonuszahlungen bis zu 135 Millionen Euro kosten. Er wechselte wie Frimpong aus Leverkusen.
Und der 95 Millionen Euro teure Hugo Ekitiké von Eintracht Frankfurt ist als Nachfolger des zum FC Bayern gewechselten Luis Díaz vorgesehen. Wirtz und Ekitiké sind erst 21 und 23 Jahre alt. Von der einstigen Achse des Teams sind nur noch der Abwehrchef Virgil van Dijk, 34 Jahre alt, sowie der 33-jährige Goalgetter Mohamed Salah im Kader verblieben.
Die Dimension der Transfers ist ein unmissverständliches Signal des englischen Meisters an die Konkurrenz. Nach dem Titel im Jahr 2020 hatte es Liverpool versäumt, die Mannschaft rechtzeitig zu erneuern. Es folgte, auch bedingt durch zahlreiche Verletzungen, ein deutlicher Leistungsabfall – vergleichbar mit der Saison 2022/23, als der Verein nach dem Double aus FA-Cup und League-Cup ebenfalls auf eine wesentliche Kader-Anpassung verzichtete.
Diesen Fehler will der Klub unter allen Umständen vermeiden. Henry und seine Partner sind entschlossen, den FC Liverpool dauerhaft an der Spitze der Premier League zu etablieren. Bereits am Sonntag, um 16 Uhr, bietet sich die Chance auf den ersten Titel der neuen Saison: Im englischen Supercup trifft Liverpool auf den FA-Cup-Sieger Crystal Palace.
Wirtz soll in Salahs Rolle hineinwachsenNotwendig wird der Umbruch durch interne wie externe Entwicklungen: das absehbar altersbedingte Ende der Zusammenarbeit mit van Dijk und Salah – sowie internationale Trends in der Kaderarchitektur. Der Klub-Weltmeister Chelsea FC und der Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain haben bewiesen, dass grosse Erfolge auch ohne jenen routinierten Führungsspieler möglich sind, die bisher als unentbehrlich galten. Beide stellen die jüngsten Spitzenmannschaften Europas.
Dieses Modell erhöht den Druck auf die Konkurrenz – auch auf Liverpool. Zumal das Team stark auf van Dijk und Salah angewiesen ist: Salah war in der Vorsaison an 47 der 86 Liga-Tore beteiligt, fast zweieinhalbmal so oft wie der nächstbeste Mitspieler.
Mit den im Frühjahr abgeschlossenen, hochdotierten Verträgen von van Dijk und Salah habe sich der Klub «Spielraum verschafft», um erstklassigen Ersatz zu finden, sagte Ian Graham, der langjährige Datenchef des FC Liverpool, in der «Financial Times». So soll etwa Wirtz perspektivisch in Salahs Rolle hineinwachsen.
Um sich die Ausgaben leisten zu können, bildete der Klub Rücklagen. Von 2019 bis 2024 investierte Liverpool rund 550 Millionen Euro in neue Spieler – und lag damit in der Premier League nur im Mittelfeld. Zur Gegenfinanzierung zeigt sich der Klub regelmässig bereit, Schlüsselspieler und Talente zu verkaufen. In dieser Transferperiode hat er bisher ungefähr 150 Millionen Euro eingenommen. Sollte der Wechsel von Darwin Núñez zum saudischen Klub al-Hilal finalisiert werden, könnten sich die Erlöse auf 200 Millionen Euro erhöhen.
Darüber hinaus sorgen stabile Erträge sowie damit verbundene Sponsoren- und Ticketeinnahmen für finanzielle Sicherheit. Im Geschäftsjahr 2023/24 stiegen die Umsätze auf das Rekordniveau von 350 Millionen Euro; sie dürften aufgrund des lukrativen Ausrüster-Wechsels zu Adidas in dieser Saison weiter steigen.
Wirbt Liverpool auch noch Isak von Newcastle ab?Entlastend wirken ebenfalls abgeschlossene Infrastrukturprojekte aus dem Jahr 2023. Das Trainingszentrum gilt als hochmodern, das erweiterte Anfield-Stadion fasst über 60 000 Zuschauer. Und ein Verkauf von Minderheitsanteilen an die US-Investmentfirma Dynasty Equity für einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag soll helfen, die ohnehin überschaubaren Schulden zu senken.
Die Strategie des Klubs hatte Liverpools kaufmännischer Leiter Ben Latty einst in mehreren englischen Medien erläutert: Man spreche intern von einem sogenannten «Engelskreis» – kommerzieller Erfolg befördere sportlichen und umgekehrt. Die «Financial Times» kommentierte nun, es sehe so aus, als könnte diese Vision «Realität werden».
Die komfortable Ausgangslage erlaubt es Liverpool sogar, nach all den bisherigen Transfers auch noch die Verpflichtung des Stürmers Aleksander Isak zu forcieren, für den Newcastle United eine Ablöse von bis zu 150 Millionen Euro fordert. Gelingt dieser Coup, könnte Liverpool einen Rekord aufstellen: für die höchsten Transferausgaben innerhalb einer einzigen Wechsel-Periode.
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