Infektionen | Gürtelrose unterschätzt
Windpocken zählen unter den ansteckenden Krankheiten im Kindesalter noch zu den harmloseren. Offenbar trägt das dazu bei, die Rückkehr der verursachenden Viren im höheren Lebensalter zu unterschätzen. Varizella zoster (VZ) bleibt nach einer Windpockeninfektion in Nervenzellen zurück und erhalten. Gerade bei Älteren und bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem können die VZ-Viren noch einmal aktiv werden. Das zeigt sich dann in einem schmerzhaften, halbseitigen Hautausschlag mit Bläschen, genannt Herpes zoster (HZ) oder Gürtelrose. Geht es damit los, sollte schnell ärztlich behandelt werden, um Komplikationen wie anhaltende Nervenschmerzen, eine sogenannte postherpetische Neuralgie, zu vermeiden.
Seit 2019 gibt es eine gute Möglichkeit, der bei vielen äußerst schmerzhaft verlaufenden Neu-Infektion zu entgehen, nämlich eine Impfung. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt diese Impfung mit einem Totimpfstoff für alle ab 60 Jahren sowie für Personen ab 50 Jahren mit einem geschwächten Immunsystem oder schweren Grundkrankheiten wie der Lungenkrankheit COPD, Diabetes oder rheumatoider Arthritis.
In ihrem aktuellen Arzneimittelreport schaute sich die Krankenkasse Barmer hier nun einmal die Impfraten an. Vorgestellt wurden die Befunde in der vergangenen Woche in Berlin. Danach sind unter den anspruchsberechtigten Personen nur etwa 80 Prozent nicht oder nur unvollständig (zwei Dosen im Abstand von maximal sechs Monaten sind empfohlen) gegen Herpes zoster geimpft. Die Impfung wirkt zwar nicht 100-prozentig, aber immerhin lassen sich zwei von drei Gürtelrose-Erkrankungen so verhindern. Laut Arzneimittelreport waren im Jahr 2023 11,4 je 1000 ungeimpfter und 4,1 je 1000 geimpfter Barmer-Versicherter an der Gürtelrose erkrankt.
Gerade bei den Ältesten steigt bei einer Gürtelrose das Risiko von Komplikationen.
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Auffallend niedrig ist die Impfquote bei den über 85-Jährigen: Unter den Barmer-Versicherten sind nur 15,5 Prozent geimpft. Insgesamt zeigt sich bei den Impfraten in den berechtigten Altersgruppen zwar ein leichter Anstieg bis 2022, im Folgejahr gingen sie aber außer bei den 60- und 61-Jährigen wieder zurück. Das ist besonders ungünstig, weil gerade bei den Ältesten das Risiko von Komplikationen steigt, wie Daniel Grandt, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I am Klinikum Saarbrücken, erläutert. »Während des gesamten Lebens erkrankt jede dritte Person, aber unter den Menschen ab 85 Jahren sind es vier von zehn.« Außerdem treffe die schwer zu behandelnde postherpetische Neuralgie jeden siebten Erkrankten. Bei jedem 17. Patienten seien die Augen betroffen, bei jedem 20. ist eine stationäre Behandlung nötig.
Barmer-Chef Christoph Straub sieht Reserven dabei, die Impfung den Berechtigten auch anzubieten. Hier könnten sowohl die Krankenkassen als auch die Hausarztpraxen aktiv werden. Denn bei letzteren zeigen sich laut Report Impfquoten zwischen null und 88 Prozent. Die Ursachen dieser breiten Spanne sind vermutlich vielfältig. Die Barmer-Daten ergeben, dass Praxen mit geringer HZ-Impfrate auch seltener gegen Influenza impfen. Demnach gebe es wohl keine spezielle Skepsis gegenüber der HZ-Impfung, sondern ein allgemeineres Problem. Einen Hinweis gibt die regionale Verteilung: Denn in den östlichen Bundesländern ist eine allgemeine Impfskepsis deutlich weniger verbreitet. Die HZ-Impfquote liegt zum Beispiel in Sachsen-Anhalt bei 29,3 Prozent, während Bayern und Baden-Württemberg mit etwas über 15 Prozent bundesweit die Schlusslichter sind.
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