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Wie ich mit Abnehmspritzen zur Leichtigkeit des Seins zurückgefunden habe

Wie ich mit Abnehmspritzen zur Leichtigkeit des Seins zurückgefunden habe
Vielleicht wäre es gar nicht so falsch, ein Präparat wie Ozempic, Wegovy oder Mounjaro zumindest einmal auszuprobieren.

Vergangenes Jahr wollte ich dringend abnehmen. Warum? Ganz einfach: weil ich innert kurzer Zeit enorm zugenommen hatte. Und das nicht zum ersten Mal in meinem Leben.

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Die jüngste Episode geht so: Wegen einer komplizierten Fussoperation im Frühjahr 2022 und eines Beckenbruchs im Frühsommer 2023 konnte ich beinahe zwei Jahre lang keinen Sport treiben. Was mich als begeisterte Läuferin fast in den Wahnsinn trieb.

Essen und Alkohol trinken konnte ich hingegen auch mit den Verletzungen ganz ausgezeichnet. Die Kombination von Essen, Trinken und Stillsitzen führte dazu, dass mein Gewicht zwischen 2022 und 2024 von ungefähr 75 Kilo auf 86 Kilo zunahm. Für eine (damals noch) 57-Jährige ergab das einen Body-Mass-Index (BMI) von 28,7.

Der höfliche BMI-Rechner meiner Krankenkasse stuft diesen Wert als «leichtes Übergewicht» ein. Richtiges Übergewicht beginnt dann bei einem BMI von 30. In der Praxis bedeutete der Weg zu meinen höchstpersönlichen 86 Kilo, dass ich zunächst nicht mehr in Kleidergrösse 42 hineinpasste. Dann nicht mehr in 44. Zuletzt nur noch mit viel gutem Willen in 46.

Wenn es so weit gekommen ist, findet man – zumindest in den Berliner Boutiquen der Modelabels, die ich mag – in der Regel nichts mehr zum Anziehen. Viele Firmen tragen zwar verschämt dem Umstand Rechnung, dass die Bevölkerung kontinuierlich dicker wird, und dass laut dem Statistischen Bundesamt mittlerweile 54 Prozent der Deutschen und laut dem Bundesamt für Statistik 43 Prozent der Schweizer als übergewichtig gelten müssen.

Doch Marken, die etwas auf sich halten, verstecken die grossen Grössen gern in ihrem Online-Angebot. In den Läden herrscht weiterhin ein brutaler Schlankheitsfaschismus – allen politisch korrekten Bemühungen um mehr Body-Positivity zum Trotz. Und jenseits von Grösse 48 sieht es dann vollkommen finster aus. Man beginnt – ich begann – Kleidungsstücke mit seltsamen Schnitten bei Firmen mit noch seltsameren Namen zu bestellen.

Bei früheren Diätversuchen hatte ich mit astronautennahrungsähnlichen Sojadrinks experimentiert, mit denen man angeblich spielend abnehmen sollte – aber vermutlich hätte man während dieser Kur auf dem Mond leben müssen. Ich absolvierte auch insgesamt vier Fastenaufenthalte in Kliniken oder «Fastenhäusern», drei davon teuer und exklusiv, einer geradezu billig, aber dafür auch mit einem Esoterik-Anteil, den ich nicht gut verkraften konnte.

Die Erkenntnis lautete jedes Mal: Wenn man nur Tee und Brühe zu sich nimmt und dabei Sport treibt, verliert man ein paar Kilo – für ein paar Wochen, allenfalls Monate. Danach ist alles beim Alten, nur das Konto sieht schlechter aus als vorher. Ich will dabei nicht in Abrede stellen, dass das Fasten an sich guttun kann. Es bringt eine gewisse Nach-innen-Wendung, es bringt Entschleunigung und kann einen abgestumpften Geschmackssinn wiederbeleben. Aber das waren für mich höchstens sekundäre Ziele.

Schwere Bedenken

Meine Freundin Yael Adler, eine Dermatologin, die sich auf Anti-Ageing-Medizin spezialisiert hat, erzählte dann bei einem gemeinsamen Abendessen zum ersten Mal von einer «Abnehmspritze», die ursprünglich für Diabetiker entwickelt worden sei, aber auch auf ganz erstaunliche Weise den Gewichtsverlust fördere. Ihr lieber Ehemann, sagte sie, habe damit bereits viele Kilos abgenommen.

Ich blieb zunächst skeptisch. Nach meiner Wahrnehmung hatte ihr Mann vor allem seine sportlichen Aktivitäten intensiviert – verdankte er seine neue, in der Tat attraktive Körperform nicht einer geradezu einschüchternden Fitness-Offensive? Zu der fühlte ich mich nach zwei extrem schlappen Jahren nicht imstande.

Und ernsthaft: Das Internet ist voll von hässlichen Bauchfett-Darstellungen und angeblichen Wundermitteln, die dieses Fett wie durch Zauberhand verschwinden lassen. Solchen «Magic Pills» (so auch der Titel eines lesenswerten Buches des britischen Journalisten Johann Hari zum Thema) traue ich normalerweise noch weniger als Geldanlagetipps aus der Demokratischen Republik Kongo.

Andererseits ist Yael nach meinem Dafürhalten eine zutiefst seriöse Ärztin, die mehrere solide Medizin-Bestseller geschrieben hat. Sie liebt ihren Mann auch wirklich, so dass sie ihn vermutlich weder mit einem Placebo abspeisen noch mit irgendetwas Gefährlichem vergiften würde. Und er hatte ja unzweifelhaft abgenommen.

Vielleicht wäre es also gar nicht so falsch, ein Präparat wie Ozempic, Wegovy oder Mounjaro zumindest einmal auszuprobieren. Nichtsnutziger als meine esoterische Fastenkur konnten die Mittel ja auch nicht sein. Und mein persönlicher Leidensdruck war im Sommer 2024 so angestiegen, dass ich beschloss, mich mithilfe der Spritze noch einmal radikal zusammenzureissen. Ein ernsthafter Entschluss war nötig, denn die Versuchung, Schönheit und Fitness für überbewertet zu erklären, ist mit Ende 50 ziemlich gross. Aber ich wollte ihr doch noch nicht nachgeben.

Vielleicht konnte die Spritze als eine Art emotionale Anschubfinanzierung dienen, um den mutlos-resignativen Lebensstil zu reformieren, in den ich mich hatte hineinsinken lassen. Ich bat also Yael, beziehungsweise einen ihrer Praxiskollegen, um eine Verschreibung, und erhielt ein Privatrezept für drei Monate. In der Apotheke zahlte ich selbst.

Die Anwendung ist denkbar einfach: Man spritzt sich einmal wöchentlich den Wirkstoff in den – zunächst noch reichlich vorhandenen – Bauchspeck. Das Medikament imitiert die Wirkung eines Hormons, das der Darm nach dem Essen ins Blut abgibt. Es bewirkt unter anderem, dass die Nahrung im Magen langsamer verarbeitet wird und im Gehirn das Sättigungsgefühl zu- und der Appetit abnimmt. Verkauft wird es in einem Fertig-Pen à vier Einheiten, es muss im Kühlschrank gelagert werden. Nach vier Wochen steigert man die Dosis – so lange, bis das Wunschgewicht erreicht ist.

Ich vermutete, dass die Spritze allein kaum viel bewirken würde. Also erlegte ich mir ein striktes dreimonatiges Alkoholverbot auf – was weder für mich noch für mein Umfeld eine besondere Freude war. Denn ohne Wein oder Cocktails fand ich plötzlich viele Unternehmungen langweilig. Ich wollte nur noch lesen und abends um neun Uhr ins Bett gehen.

Und dann kam die Sache in Gang

Was ich auch tat. Das hatte aber zur Folge, dass ich plötzlich viel und ausgezeichnet schlief. Und weil ich gleichzeitig vorsichtig wieder mit dem Lauftraining begann – im Juli ganz früh am Morgen, wenn die nettesten Jogger unterwegs sind –, fühlte ich mich schnell sehr viel besser als zuvor.

Das war gut, denn beim Gewicht tat sich in den ersten zwei Wochen praktisch nichts. Immerhin hatte ich keine Nebenwirkungen wie Übelkeit, Sodbrennen, Durchfall oder Verdauungsbeschwerden, von denen andere Patienten, auch Yaels Mann, berichteten. Ich weiss nicht, ob ich das Ganze überhaupt durchgehalten hätte, wenn mir zwei Wochen lang übel gewesen wäre.

Dann kam die Sache in Gang. Ab der dritten Woche verlor ich relativ konstant drei Pfund in jeweils sieben oder acht Tagen. Mir fiel auf, dass sich der Verzicht auf Alkohol leichter anfühlte – er fehlte zwar immer noch aus sozialen oder ästhetischen Gründen, aber ohne Anlass vergass ich ihn tagelang.

Und noch etwas war überraschend: Die Abnehmspritze schien nicht nur, wie versprochen, den Appetit zu zügeln, sie veränderte ihn auch. Ich mag normalerweise durchaus Currywurst, Pommes frites mit Mayonnaise oder Pizza Salami. Aber unter dem Einfluss der Spritze bekam ich Fleisch und Fett kaum hinunter. Hingegen packte mich eine klischeehafte Sehnsucht nach Gemüse und Obst.

Wenn ich – seltener als sonst – mit meinem Mann, mit Freunden oder Kollegen zum Essen ausging, musste ich allerdings ein ganz anderes Bestellverhalten praktizieren als bisher: Es war komplett sinnlos, einen Hauptgang zu ordern. Ich schaffte höchstens einen Salat oder eine Vorspeise. Dann war ich einfach satt. Ein Hoch auf Restaurants, die einem das nicht übelnehmen.

Das morgendliche Wiegen wurde zu einem stets neuen Erfolgserlebnis. Meine Gemütslage war heiter – vielleicht, weil mir mit unerwarteter Leichtigkeit etwas gelang, was ich mir als sehr schwer vorgestellt hatte. Vielleicht aber auch, weil die Abnehmspritzen, wie sich mittlerweile andeutet, noch viele andere willkommene Begleiteffekte besitzen. Sie helfen wahrscheinlich, Süchte und Abhängigkeiten zu reduzieren. Der Blutdruck sinkt, die Gelenke werden weniger belastet, man wird ganz automatisch beim Laufen wieder schneller.

Und die Kleidung! Ich hatte das Gefühl, mich rückwärts durch meinen Schrank zu arbeiten – und war sehr froh, dass ich in meinem zeitweiligen Defaitismus nicht alle kleineren Stücke aussortiert hatte. Schlanke Menschen, die keine Gewichtsprobleme kennen, können sich wohl kaum vorstellen, wie grossartig es sich anfühlt, sogar in Junge-Leute-Modegeschäften wieder in eine Grösse L oder gar M zu passen.

Während der zunächst geplanten drei (insgesamt dann vier) Monate meines Abnehmprozesses fielen mir ein paar interessante Reaktionen in meinem sozialen Umfeld auf. So ist es anscheinend heutzutage ungehörig, überhaupt noch Bemerkungen zum Körpergewicht zu machen. Wenn Bekannte oder Kollegen etwas Positives sagen wollten, lobten sie Outfit, Fitness oder Bräune.

Die Sache mit dem Schlankheitsdiktat

Freundinnen äusserten natürlich viel Sympathie für meinen Erfolg. Aber oft schwang auch eine geradezu protestantische Skepsis mit: War denn dieses Verfahren «natürlich»? War es nicht beinahe unlauter, mit einer Art Trick und fast ohne Qual abzunehmen? Und verschwieg die Pharmaindustrie nicht vielleicht doch irgendwelche schlimmen Nebenwirkungen? Tatsächlich warnen die Hersteller im Internet vor der «gelegentlich» auftretenden Nebenwirkung einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse und der «seltenen» Nebenwirkung einer schweren allergischen Reaktion – diese Risiken muss jeder für sich selbst bewerten.

Die ehemalige deutsche Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, die in den vergangenen Monaten extrem abgenommen hat, formulierte in einem «Zeit»-Interview, in dem die Schlankheitsspritze allerdings nur ganz am Rande vorkam, eine eher gesellschaftspolitische Sorge: Trage sie mit ihrem öffentlich sichtbaren Gewichtsverlust nicht selbst zu dem Schlankheitskult bei, unter dem sie zuvor gelitten habe? Und sei es nicht richtiger gewesen, sich für Body-Positivity einzusetzen, als nun selbst zu demonstrieren, wie gut ihr das Abnehmen tue?

Die Frage, ob die Existenz eines wirksamen Mittels gegen Übergewicht zu einem noch härteren Schlankheitsdiktat führen könnte, ist berechtigt. Aber die Grünen-Politikerin hat sie für sich persönlich offenbar genauso beantwortet wie ich für mich: Der Zuwachs an physischem und psychischem Wohlbefinden, der den Gewichtsverlust begleitet, ist so enorm, dass man nicht darauf verzichten möchte. Andere sollten sich dadurch nicht unter Druck gesetzt fühlen.

In den vier Monaten von Juli bis Oktober 2024 hatte ich insgesamt sogar 20 Kilo abgenommen, von 86 auf 66. Zwei Kilo sind seither wieder dazugekommen, und die habe ich nicht bekämpft.

Mit dem gesünderen Lebensstil, den ich mir antrainiert habe, lassen sich diese nunmehr 68 Kilo gut halten. Ich merke allerdings, dass ich bei Alkohol aufpassen muss, weil dessen Kalorien sofort zu Buche schlagen – und dass mir dieser Verzicht ohne die medikamentöse Unterstützung wieder schwerer fällt.

Sollte das zu einem grösseren Problem werden, würde ich umstandslos wieder zur Spritze greifen. Einstweilen freue ich mich einfach, die Figur wiedergefunden zu haben, die ich manchmal hatte und immer haben wollte – samt aller Veränderungen, die das Alter unausweichlich mit sich bringt. Denn selbst wenn ich jetzt wieder so viel (oder so wenig) wiege wie mit 30 Jahren, sehe ich natürlich trotzdem aus wie 58. Mit allen Beulen, die man im Leben so abbekommt. Aber ich bin viel glücklicher als mit 57 Jahren und 18 Kilo mehr Gewicht. Und das sieht man, glaube ich.

15 Prozent Gewichtsverlust innerhalb eines Jahres. Als das Präparat Wegovy 2022 in Europa zugelassen wurde, hat man es dem Hersteller geradezu aus den Händen gerissen. Auf so ein Medikament hatten Ärzte und Patienten seit Jahrzehnten gewartet. Das Konkurrenzprodukt Tirzepatid kann das Körpergewicht sogar um 20 Prozent reduzieren. Im Schnitt – es gibt auch Übergewichtige, die mehr, und andere, die weniger Kilos verlieren.

Ähnlich variabel sind die Nebenwirkungen. Viele Anwender brechen die Therapie wegen Beschwerden wie Übelkeit, Sodbrennen, Durchfall oder Verdauungsproblemen schon nach einigen Wochen bis Monaten ab. Andere haben weniger Probleme, oft werden die Nebenwirkungen mit der Zeit auch schwächer.

Diese starken Effekte haben die Mittel, weil sie die Wirkung eines Hormons nachahmen, das vom Darm nach der Nahrungsaufnahme ins Blut abgegeben wird. Das Glucagon-like Peptide 1 – so der vollständige Name, GLP-1 abgekürzt – ist für eine Art Feineinstellung der Nahrungsverarbeitung zuständig. Es bremst den Verdauungsprozess, indem es den Magen langsamer arbeiten lässt. Weil die Speisereste dadurch länger im Organ verweilen, steigt das Völlegefühl nach dem Essen.

GLP-1 regt die Bauchspeicheldrüse an, mehr Insulin auszuschütten. Dadurch werden die Kohlenhydrate der Nahrung im Blut schneller in die Muskeln und in die Energiespeicher transportiert. GLP-1 stimuliert zudem direkt die Zellen im Gehirn, die das Sättigungsgefühl kontrollieren, und hemmt den Appetit. Auch dadurch sinkt der Antrieb, zu essen.

Das Hormon scheint auch auf das Belohnungssystem im Gehirn zu wirken. Das soll erklären, dass sogenannte GLP-1-Agonisten wie Wegovy Suchtsymptome lindern können. Weil das Originalhormon aber noch viele andere Wirkungen hat – beispielsweise die Hemmung von Entzündungsprozessen – werden seine Kopien inzwischen auch als Mittel gegen Demenz, Unfruchtbarkeit und Nierenschäden ausprobiert.

Wegovy-Nachfolgeprodukte wie Tirzepatid oder Amycretin ahmen nicht nur die Wirkung des GLP-1, sondern auch jene anderer Verdauungshormone wie GIP beziehungsweise Amylin nach. Das soll ihre noch stärkeren Abnehmeffekte erklären. Nach spätestens einem Jahr, oft auch schon früher, nimmt die Wirkung der Medikamente auf das Fettgewebe allerdings ab. Die Betroffenen erreichen das sogenannte Plateau, den Zeitpunkt, ab dem sie nicht mehr weiter abnehmen, die Mittel aber trotzdem nicht ohne weiteres absetzen sollten. Denn ohne Spritzen sind die verlorenen Kilos oft bald wieder da.

Dann kippt das neue hormonelle Gleichgewicht. Der Körper beginnt, sich gegen den Gewichtsverlust zu wehren, und schüttet andere Hormone aus, die wiederum zu einer Zunahme von Appetit und Kilos führen. Gegenwärtig wird deshalb ausprobiert, ob man die Mittel wenigstens langsam und stufenweise absetzen kann. Eine weitere aktuelle Forschungsfrage: Wirken dieselben Wirkstoffe nicht nur als Spritzen, sondern auch als Tabletten? Michael Brendler

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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