Alzheimer: Der Algorithmus, der das Risiko zwischen Männern und Frauen unterscheidet

Wenn die Krankheit zuschlägt – in Italien sind es etwa 800.000 –, sind nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen. Die Zahlen zeigen sogar, dass Frauen häufiger an Alzheimer erkranken: von 0,7 % bei den 65- bis 69-Jährigen bis zu 23,6 % bei den über 90-Jährigen. Bei Männern liegt die Quote bei 0,6 % bis 17,6 %. Doch auch die Art und Weise, wie sich die Krankheit manifestiert, macht einen Unterschied: Frauen erleben häufig einen schnelleren kognitiven Abbau und eine stärkere Beeinträchtigung des episodischen Gedächtnisses. Dies scheint – die Forschung untersucht dies jedoch noch – auf die Rolle der Sexualhormone und auf Unterschiede in der Gehirnstruktur zurückzuführen zu sein. Doch die zur Diagnose der Krankheit verwendeten Instrumente – von Tests bis hin zu invasiveren und teureren Methoden wie MRT oder Liquoranalyse – berücksichtigen diese Unterschiede nicht ausreichend. Ein Algorithmus könnte nun Abhilfe schaffen.
Eine Voreingenommenheit, die es zu überwinden gilt„Viele neuropsychologische Tests wurden in der Vergangenheit überwiegend an männlichen Probanden entwickelt“, erklärt Daniele Caligiore, Forschungsleiter am Institut für Kognitionswissenschaften und -technologien (ISTC) des Nationalen Forschungsrats (CNR). „Das Problem ist, dass diese Tests dann an Personen beiderlei Geschlechts durchgeführt werden, Männer und Frauen jedoch unterschiedlich reagieren können. Dies kann zu Diagnosefehlern führen: Beispielsweise kann eine Frau bei einem Test schlechter abschneiden, obwohl dieses Ergebnis auf einer für das weibliche Geschlecht kalibrierten Skala immer noch auf eine gute Leistung hindeuten könnte.“
Maschinelles Lernen für die FrühdiagnoseMaschinelles Lernen kann in diesem Zusammenhang eine Chance darstellen, wie das von Caligiores Forschungszentrum koordinierte Projekt zeigt, dessen Ergebnisse im Journal of Neurological Sciences veröffentlicht wurden. „Unser Ziel“, so die Wissenschaftlerin weiter, „ist es zu verstehen, welche Faktoren aus geschlechtsspezifischer Sicht berücksichtigt werden sollten, um Ärzten bei der Frühdiagnose zu helfen, insbesondere bei komplexen Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson, die eng miteinander verwandt sind.“
Eine italienische ZusammenarbeitDie Arbeit ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem CNR (Nationaler Forschungsrat), dem Forschungsbereich Mailand 4, der Mondino-Stiftung, der Universität Pavia, der Santa Lucia-Stiftung, der Sapienza-Universität Rom und dem Start-up AI2Life. Kernstück des Projekts ist ein Algorithmus für maschinelles Lernen, der den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit anhand des Geschlechts eines Patienten vorhersagen und differenzieren kann. Dazu werden nicht-invasiv erfasste Daten wie neuropsychologische Testergebnisse und soziodemografische Informationen verwendet. Der Algorithmus wurde mit Daten aus zwei großen internationalen Datenbanken trainiert, darunter der der Michael J. Fox Association. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ansätzen, die Daten homogen behandeln, trainierte das Team das System getrennt mit Daten von Männern und Frauen. So ermöglicht das maschinelle Lernmodell nicht nur die Vorhersage der Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines bestimmten Zeitraums (ein bis fünf Jahre) an der Krankheit zu erkranken, sondern dank des Einsatzes erklärbarer KI, die den Entscheidungsprozess des Algorithmus transparent macht, auch die Identifizierung der Tests, die für welches Geschlecht die höchste Vorhersagekraft haben.
Test für Frauen und MännerDie Analyse der Ergebnisse zeigt, dass einige neuropsychologische Tests je nach Geschlecht unterschiedliche Vorhersagewerte haben. „Maschinelles Lernen ermöglicht es uns, relative Unterschiede zwischen den Tests zu analysieren und mehrere Parameter zu kombinieren“, so Caligiore weiter. „Beispielsweise haben wir festgestellt, dass der Mini-Mental-Status-Test (MST) bei Frauen effektiver zur Vorhersage von Alzheimer ist, ebenso wie der Test zur Messung des episodischen Langzeitgedächtnisses (LDELTOTAL), während der Test des verbalen Kurzzeitgedächtnisses (AVTOT) für Männer relevanter ist. Anders ausgedrückt: Das System kann sagen: ‚Für eine bessere Diagnose ist Test X bei Männern wichtig, Test Y bei Frauen.‘ Dies stellt einen Durchbruch in der personalisierten Diagnose dar.“ Auch der Bildungsgrad und damit die kognitive Reserve erwiesen sich als entscheidend, insbesondere bei Frauen.
Eine personalisierte und zugängliche DiagnoseEin besonderes Element des Projekts ist die Entwicklung einer grafischen Oberfläche namens EMA (ExplAIn Medical Analysis), die es Ärzten ermöglicht, das System direkt zu nutzen. Einfach neuropsychologische Testergebnisse eingeben, und der Algorithmus liefert eine Risikobewertung mit einer numerischen Wahrscheinlichkeit. „Wir stellen uns für die Zukunft ein einfaches System vor, bei dem Patienten Fragebögen ausgefüllt, Ergebnisse erfasst und vom Arzt in die Oberfläche eingegeben werden“, erklärt Caligiore. „Das System gibt eine Zahl zurück, zum Beispiel ‚75 % Wahrscheinlichkeit, innerhalb von drei Jahren an Alzheimer zu erkranken‘. Es handelt sich um ein Vorhersagetool, das selbst für Personen nützlich ist, die noch keine offensichtlichen Symptome zeigen.“ Er betont, dass die KI-Forschung oft im Labor endet. Stattdessen wollen sie dieses Tool im klinischen Alltag nutzbar machen, um eine schnellere, gerechtere und weniger invasiv zu ermöglichen.
Training mit Daten italienischer PatientenDas Team arbeitet derzeit an einer neuen Entwicklungsphase, die auf italienischen klinischen Daten basiert. Dieser Schritt ist entscheidend, um kulturelle Voreingenommenheit abzubauen und das System an die Merkmale der europäischen Bevölkerung anzupassen. „Nordamerikanische Daten sind sehr nützlich, spiegeln aber einen anderen Lebensstil wider als unseren“, so Caligiore. „Deshalb validieren wir den Algorithmus jetzt mit italienischen Daten, um die Genauigkeit zu erhöhen und auch in unserem Gesundheitskontext ein wirklich effektives System aufzubauen.“
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