Berlin steckt in der Dauerkrise: So sollen es die Olympischen Spiele nun richten

Berlin will es erneut wagen: Zusammen mit Brandenburg, Sachsen sowie einem der beiden Ostsee-Anrainer Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein will sich die Hauptstadt für die Olympische Spiele bewerben. Und dies soll, so klang es am Dienstag bei einer Pressekonferenz im Berliner Olympiastadion, vor allem nachhaltig und gemeinsam geschehen. Das Ziel aller: Deutschland soll erstmals nach 1972 Olympische Spiele und Paralympics ausrichten.
Das war allerdings schon eine der konkretesten Aussagen an diesem Nachmittag. Dazu vielleicht noch die Aussage von Berlins Innen- und Sportsenatorin Iris Springer (SPD), dass man im Senat 500.000 Euro für die Werbung in dieser ersten Phase einer nationalen Bewerbung zur Verfügung habe.
Deutschland will Olympia – egal ob 2036, 2040 oder 2044Dazu muss man wissen: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will im kommenden Jahr entscheiden, welche Bewerbung man im nächsten Jahr dem Internationalen Olympischen Komitee vorlegen will. Für welches Jahr, ist noch offen: 2036, 2040 oder 2044. Wählerisch ist man da nicht.
Ebenfalls vom DOSB komme das One-City-Prinzip, wie es am Dienstag hieß. Es müsse einen eindeutigen zentralen Austragungsort geben, und dort müssten mindestens etwa 70 Prozent aller Athleten auftreten und wohnen. So zerplatzten Ideen, Berlin und Hamburg könnten ihre Ressourcen bündeln. Niemand wollte sich vorstellen, dass das olympische Dorf dann etwa auf halber Strecke – in Wittenberge an der Elbe? – entstehen könnte. Also gehen Berlin und Hamburg eigene Wege und bewerben sich separat.
Olympiabewerbung: Berlin macht den ersten AufschlagDamit der DOSB auch genug Zeit zum Auswählen hat, wollen die Hamburger ihre Pläne in der kommenden Woche präsentieren. Die Rhein-Ruhr-Region in Nordrhein-Westfalen will sich bereits am Mittwoch präsentieren. München will sich ebenfalls bewerben.
Da die nationalen Ressourcen in Zeiten von Nachhaltigkeitsspielen begrenzt sind, gibt es manch seltsame Kollisionen. So werden sich die beiden Küstenländer Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein jeder Bewerbung andienen wollen, denn: Gesegelt, gesurft und Wellen geritten wird auf jeden Fall auf der Ostsee – egal, welches der zentrale Austragungsort sein wird.
Berlin will Olympia – auch bei der Konkurrenz in NRWUnd es gibt noch andere Überschneidungen. So sind vor allem die olympischen Fußballturniere mit Frauen- und Männerteams in jedem Fall eine nationale Anstrengung. Zum Beispiel plant Berlin die vielen großen Stadien im eigentlich ja konkurrierenden Nordrhein-Westfalen für die eigene Bewerbung ein. Anders ließe sich Nachhaltigkeit auch gar nicht erreichen. Zum Vergleich: Bei den Olympischen Spielen von Paris im vergangenen Jahren wurde in insgesamt sieben Städten Frankreichs Fußball gespielt. Niemand kann die Absicht haben, sieben Stadien dieser Größe in Ostdeutschland zu bauen. Und Berlin plant noch einen weiteren Ausflug tief in den Westen. Die Reitwettbewerbe sollen auf der weltberühmten Soers in Aachen stattfinden – schlappe 640 Kilometer von Berlin entfernt.

Doch was will Berlin+, so der Arbeitstitel der hauptstädtischen Bewerbung, selber machen? Nicht weniger als ganz viele Chancen nutzen, „eine Chance für den Sport, für Berlin, für ganz Deutschland, für Ostdeutschland“, wie Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) es zusammenfasste. „Das kann ein Investitionsprogramm sein“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister. Wichtig sei ein Mehrwert für Städte und Bevölkerung an Sportstätten und Infrastruktur. Olympia bedeute gut zehn Jahre Vorbereitung, dann 30 Tage Sportfest, aber danach dürfe es nicht vorbei sein. Die Folgewirkungen der Spiele für die Gesellschaft „müssen gut und gerne 20 Jahre halten“, so Wegner.
Gemeinsam sei allen Partnern, dass sich an all diesen Orten bereits Sportstätten befänden, wo jetzt schon olympische Wettkämpfe stattfinden könnten, so Wegner. Die Rede war von 90 Prozent. Und dort, wo es noch fehle, solle saniert, modernisiert und im Zweifel temporär eine Halle oder eine Tribüne aufgebaut werden, die man danach problemlos demontieren könnte.
Olympia in Berlin: Wettkämpfe in der ganzen StadtKonkrete Pläne, was wo exakt ausgetragen werden soll, gibt es noch nicht. Aber Sportsenatorin Spranger nannte für Berlin als mögliche Wettkampforte das Olympiastadion (Leichtathletik), den Olympiapark gleich nebenan, die Messe mit ihren vielen multifunktional nutzbaren Hallen, die Max-Schmeling-Halle, das Velodrom und die benachbarte Sprung- und Schwimmhalle an der Landsberger Allee, den ehemaligen Flughafen Tempelhof (zum Beispiel fürs Bouldern), das Brandenburger Tour als Kulisse für Beachvolleyball und die Museumsinsel als Teil der Marathonroute. Radrennen und Triathlon-Wettbewerbe könnten über die Glienicker Brücke führen, im dann hoffentlich neu errichteten Jahnstadion soll Rugby gespielt, im Köpenicker Mellowpark gescatet und in Grünau fürs Freiwasserschwimmen in die Dahme gesprungen werden.
Doch vieles ist noch offen, wie sich bei genauerem Nachfragen zeigte. Zum Beispiel, wo die olympische Kernsportart Schwimmen veranstaltet werden solle. In Berlin gibt es keine Schwimmhalle, die groß genug wäre. Zwar sieht der Masterplan für die Modernisierung des Sportforums Hohenschönhausen auch den Bau einer Arena fürs Schwimmen vor. Ob diese aber groß genug würde, sei noch nicht klar, wurde am Rande bekannt. Spranger brachte auch eine mögliche Ertüchtigung des Olympia-Bades neben dem Stadion ins Spiel.
Berliner Olympia: Wassersport in Brandenburg, Kampfsport in Leipzig, Segeln an der Ostsee, Fußball und Reiten in NRWAuf dem Beetzsee in Brandenburg an der Havel sollen die Kanu- und Ruderwettbewerbe stattfinden. Ministerpräsident Woidke brachte für Brandenburg aber noch das Sportschießen mit seiner großen Tradition in Frankfurt an der Oder ins Spiel, Golf in Bad Saarow, und die Landeshauptstadt Potsdam sei hervorragend für Triathlon und Straßenradsport geeignet. Leipzig könnte Fechten oder Taekwondo ausrichten, das südlich gelegene Markkleeberg verfügt über alle Einrichtungen für Wildwasserkanu. Insgesamt viel sollen, können, wollen.
Vergleichsweise konkret ist dagegen der Plan für das olympische Dorf. Es soll nahe dem Messegelände auf dem Brachgelände zwischen den S-Bahnhöfen Westkreuz und Grunewald entstehen und Platz für insgesamt bis zu 17.000 Sportler bieten. Anschließend werde rückgebaut, und es blieben rund 2000 Wohneinheiten übrig. Bauherr soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge werden.
Doch am Ende bleiben große Fragen: Was kostet das? Und macht die Bevölkerung mit? Gibt es im Land Mehrheiten für Olympia?
Olympiabewerbung: In München verhinderte das Volk die WinterspieleDoch wie will man „die Menschen begeistern“, wie Wegner es nannte, wenn selbst in der Politik viel Skepsis über Olympia herrscht. Nun, Meinungen können sich ändern. So hatte Sportsenatorin Spranger noch 2022 erklärt, es sei vom Senat kein „weiterer Vorstoß“ für Olympia geplant. Das war noch unter Rot-Grün-Rot.
Die aktuelle schwarz-rote Koalition, der sie erneut angehört, schrieb sich dagegen in den Koalitionsvertrag: „Die Koalition bekräftigt die Bereitschaft, dass Berlin als ein Austragungsort im Rahmen einer möglichen nationalen Bewerbung mit einem nachhaltigen Konzept um die Durchführung von Olympischen und Paralympischen Sommerspielen in Deutschland zur Verfügung steht.“

Aber gibt es die Bereitschaft auch im gewohnt kritischen Berlin? Das peinliche Scheitern an eigenen Unzulänglichkeiten 1992 ist in der Stadt noch sehr präsent, und auch jetzt laufen sich die ersten Nolympia-Aktivisten längst warm. Vor allem die Furcht vor unübersehbaren Kosten treiben in einer in eine Finanzkrise geschlitterten Stadt die Angst um.
Kai Wegner hält es da offenbar mit Wunschdenken. Er erinnerte an Paris im vergangenen Jahr. Da habe bis kurz vor Eröffnung auch viel Skepsis geherrscht, „und dann stand ganz Frankreich dahinter“.
Olympia in Berlin: Die Kritiker und Skeptiker laufen sich schon warmTatsächlich lieferte schon die Eröffnungsfeier aus Paris großartig leichte Bilder, und der Abschluss hatte Grandezza. Aber geht so etwas auch in einem scheinbar dauerverregneten Deutschland voller tiefer gesellschaftlicher Gräben, das nur noch schwer zueinanderfindet? Und wenn ja, wie?
In München dürfen die Bürger am 26. Oktober über die Olympia-Pläne abstimmen – und das, obwohl in der bayerischen Landeshauptstadt vor einigen Jahren schon einmal eine Abstimmung Olympische Winterspiele verhinderte.
Für Berlin äußerte sich Spranger einmal mehr zurückhaltend zu einer solchen Befragung. Das Konzept sei „Dialog miteinander. Nicht nur ja oder nein, sondern dass die Bevölkerung auch wirklich weiß, was wir vorhaben“, sagte die Politikerin. „Wir müssen mit den Berlinern und Berlinerinnen ins Gespräch kommen.“
Berliner-zeitung