CDU erleichtert, SPD wütend: So reagieren die Politiker auf den Rückzug von Brosius-Gersdorf

Die SPD wollte sie, CDU und CSU hatten sie verhindert und jetzt zieht Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurück. In einer Erklärung lässt die Potsdamer Professorin keinen Zweifel daran, warum: „Mir wurde aus der CDU/CSU-Fraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist.“ Teile der Union hätten ihre Kandidatur „kategorisch“ abgelehnt.
Damit würden auch die Wahlchancen der beiden anderen Kandidaten gefährdet, „die ich schützen möchte“, schrieb die Juristin weiter. Es müsse verhindert werden, dass der von der gescheiterten Richterwahl im Juli entfachte Streit in der schwarz-roten Koalition eskaliert und „eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind“.
Um die Personalie Brosius-Gersdorf hatte es in den vergangenen Wochen immer wieder Streit gegeben. Es gab Plagiatsvorwürfe gegen die Juristin, die dann aber wieder zurückgezogen wurden, eine plötzlich veränderte Wikipedia-Seite, Drohungen – bis hin zu verdächtiger Post.
Hinzu kam: In der Union fehlte die notwendige Akzeptanz für die SPD-Kandidatin – die Fraktion war gespalten. Zunächst war die Kandidatin in dem kleinen Gremium des Richterwahlausschusses bestätigt worden, doch viele Unions-Abgeordnete wollten dem nicht folgen. Unionsleute beriefen sich auf die angeblichen Plagiatsvorwürfe und strittige Positionen von Brosius-Gersdorf, etwa zum Abtreibungsrecht. CDU-Fraktionschef Jens Spahn geriet daraufhin ins Zentrum der Kritik: Es sei ihm nicht gelungen, so der Vorwurf, seine Reihen zu schließen und die Abgeordneten hinter einem gemeinsamen Kurs zu versammeln. Viele sahen schon die Koalition wegen der Kandidatur zerbrechen.
Brosius-Gersdorf warnt vor „Auswirkungen auf die Demokratie“Brosius-Gerdorfs Konsequenz ist jetzt also der Rückzug. Auch um die eskalierende Koalitionskrise nicht weiter anzuheizen, wie sie sagt. Weiter warnt sie: Eine weitere Zuspitzung der Richterwahl könne „Auswirkungen auf die Demokratie“ haben, „die nicht absehbar sind“.
Mit ihrem Rückzug zieht die Juristin aber auch diese Lehre: „Die Berichterstattung über meine Person ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen – nicht an mir, nicht an meinem Mann, nicht an meiner Familie, nicht an meinem sozialen Umfeld.“ Ihre Mitarbeitenden bat sie aus Sicherheitsgründen, den Potsdamer Lehrstuhl zu meiden.
Aus Unionskreisen hieß es am Donnerstag, man sei erleichtert. Man habe diesen Schritt aber auch erwartet. Helge Benda, kommissarischer Vorsitzender der Seniorenunion der CDU, spricht es auch offen aus. Zur Berliner Zeitung sagt er: „Der Rückzug von Frau Brosius-Gersdorf ist überfällig und konsequent. Die Nominierung einer Person, deren öffentliche Äußerungen wiederholt Zweifel an ihrer verfassungsrechtlichen Ausgewogenheit geweckt haben, war ein politischer Fehler.“ Er fügt hinzu: „Wir begrüßen ihren Schritt als Dienst an der Demokratie und dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts.“
Jens Spahn (CDU) zeigt sich nach Rückzug selbstkritischUnionsfraktionschef Jens Spahn sagte der Nachrichtenagentur dpa, der Entscheidung gelte größter Respekt. „Für ihre juristische Expertise und persönliche Integrität genießt sie zu Recht hohe Anerkennung. Jenseits der sachlichen Auseinandersetzung gab es herabsetzende und beleidigende Kritik, die Frau Prof. Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen erdulden musste. Diese verurteilen wir ausdrücklich.“ Spahn zeigte sich auch selbstkritisch, er bedauere, „dass diese Lage auch durch die zu späte Ansprache unserer inhaltlichen Bedenken entstehen konnte“.
Die Reaktionen aus der Regierungspartei SPD fallen dagegen scharf aus. Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach schimpfte und reagierte zynisch auf X: „Die Kampagne der Rechtspopulisten gegen Brosius-Gersdorf war erfolgreich. Danke an die Kollegen der Union.“ SPD-Chef Lars Klingbeil reagierte ebenfalls wütend: „Ich bedauere diesen Schritt, aber ich respektiere diese persönliche Entscheidung.“
Jens Spahn hat sein Wort gebrochen. CDU und SPD haben Frauke Brosius-Gersdorf der Hetze preisgegeben. Wer so mit Verfassungsrichter*innen umgeht, ist für ein Amt des Fraktionsvorsitzenden nicht mehr geeignet - und gefährdet das Vertrauen in unsere Institutionen. #BVerfG #Spahn pic.twitter.com/5I0ojq6ZqT
— Janosch Dahmen (@janoschdahmen) August 7, 2025
Was sie in den vergangenen Wochen „an Anfeindungen erleben musste, ist in keiner Weise akzeptabel“, sagte Klingbeil. Im Parlament habe es bisher unter Fraktionen immer einen breiten Konsens bei der Wahl der Richterinnen und Richter gegeben, so der Vizekanzler. „Diejenigen, die am Ende nicht zu ihrem Wort innerhalb der Koalition gestanden haben, müssen dringend aufarbeiten, was da passiert ist“, sagte Klingbeil an den Koalitionspartner Union gerichtet. „So ein Vorfall darf sich nicht wiederholen.“
Nach Rückzug: Grüne schießen erneut gegen UnionsfraktionschefÄhnlich formuliert es auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch. „Wir erwarten von unserem Koalitionspartner, dass Absprachen künftig Bestand haben“, so Miersch. Die SPD werde einen neuen Vorschlag für eine geeignete Besetzung unterbreiten, „weiterhin mit klarer Orientierung an fachlicher Exzellenz“.
Wut auch bei den Grünen. Deren Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen fordert auf X den Rücktritt von CDU-Fraktionschef Jens Spahn: „Wer so mit Verfassungsrichter:innen umgeht, ist für ein Amt des Fraktionsvorsitzenden nicht mehr geeignet – und gefährdet das Vertrauen in unsere Institutionen.“
Franziska Brantner, Grünen-Bundesvorständin, sieht in der Entscheidung einen demokratiepolitischen Rückschlag: „CDU lässt sich lieber von Rechtsextremen treiben, statt das Bundesverfassungsgericht zu schützen. 1:0 für die Gegner demokratischer Prozesse.“
Dagegen nennt Stephan Brandner, stellvertretender Bundesvorsitzender der Alternative für Deutschland, diesen Schritt längst überfällig und einen kleinen Sieg der Vernunft und der Vernünftigen, der aber die weiteren Probleme nicht löse. Denn außer Brosius-Gersdorf dürfe auch die weitere SPD-Kandidatin Kaufhold nicht Richterin am Bundesverfassungsgericht werden. Zur Berliner Zeitung sagt er: „Brosius-Gersdorf ist nun aufgrund des Drucks, der zuletzt auch durch Plagiatsvorwürfe immer stärker geworden war, von der Kandidatur für das Amt als Bundesverfassungsrichterin zurückgetreten. Dadurch hat nun aber nicht nur die Reputation dieser Professorin gelitten, sondern auch die des Bundesverfassungsgerichts.“
AfD spricht über ein krankes System der RichterwahlBrandner fügt hinzu: „Wer nicht auf dem Boden der Verfassung stehe und Werte vertrete, die nichts mit unserem Grundgesetz gemeinhaben, kann unmöglich Verfassungsrichter werden.“ Das ganze System der Richterwahl kranke daran, dass die Altparteien sich das Bundesverfassungsgericht zur Beute gemacht hätten. „Es bedarf grundsätzlicher Reformen, die erforderlich sind, um dem Rechtsstaat und der Gewaltenteilung gerecht zu werden. Das sollte nun jeder verstanden haben.“
Die Personalie Brosius-Gersdorf ist nun vom Tisch – ob damit jedoch mehr Ruhe in die Koalition einkehrt, bleibt fraglich. In Kreisen der Union hieß es am Donnerstag, die SPD sehe sich nun wieder im Aufwind bei Themen wie Rente und Bürgergeld. Man habe ihr zwar die Wunschkandidatin genommen, dafür fordere sie nun umso deutlicher Einfluss in diesen Bereichen. Und das kann heikel werden: Laut Koalitionsvertrag soll es beispielsweise beim Bürgergeld drastische Verschärfungen geben. Ob die SPD nun noch mitspielt und den Unions-Wünschen nachkommt, ist unklar.
Berliner-zeitung