Hafturteil gegen Milorad Dodik: Diese Chance muss von EU und Nato genutzt werden

Die Haftstrafe gegen den Präsidenten der Republika Srpska ist ein historischer Einschnitt – mit potenziell weitreichenden Folgen für die Machtbalance auf dem Balkan.
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Mit dem rechtskräftigen Urteil gegen Milorad Dodik ist nicht nur ein juristisches Kapitel abgeschlossen, sondern auch eine Ära der politischen Erpressung und ethnonationalistischen Blockade in Bosnien und Herzegowina ins Wanken geraten. Der langjährige Präsident der Entität Republika Srpska, der sich stets als unantastbarer Fürst der bosnisch-serbischen Politik inszenierte, hat einen folgenschweren Dämpfer erhalten – durch genau jenes Justizsystem, das er jahrelang diffamierte.
Dodik wurde am 1. August 2025 rechtskräftig zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, am Mittwoch schließlich „unter Anwendung des geltendes Gesetzes“, wie Suad Arnautoviv von der Zentralen Wahlkommission (CIK) erklärte, auch seines politischen Amtes enthoben worden, weil er Gesetze unterzeichnet hatte, die die Gültigkeit von Entscheidungen des Hohen Repräsentanten Christian Schmidt und des Verfassungsgerichts in der Republika Srpska aushebeln sollten – ein klarer Bruch mit der bosnischen Verfassungsordnung.
Zusätzlich wurde ihm für sechs Jahre jede politische Tätigkeit und das Ausüben öffentlicher Ämter untersagt. Das Urteil kann nicht mehr angefochten werden. Dodik kündigte zwar an, es nicht anzuerkennen, doch juristisch ist sein politisches Ende eingeläutet. Es ist ein historischer Einschnitt – mit potenziell weitreichenden Folgen für die Machtbalance im Land.

Dodik hat sich, so scheint es, über Jahre hinweg selbst demontiert – ein politisches Brausetabletten-Phänomen, das sich langsam, aber sicher im eigenen Populismus aufgelöst hat. Der Rückhalt aus Moskau, das Spiel mit Putin-Nähe und antiwestlicher Rhetorik, ist offenbar an seine Grenzen gestoßen. Washington hat genug gesehen – und offenbar genug Einfluss geltend gemacht.
Diese jahrelange Rückendeckung von außen und das Schweigen vieler innenpolitischer Akteure haben bei Dodik eine politische Arroganz reifen lassen, in der er glaubte, über dem Gesetz zu stehen. Er war überzeugt, sich über demokratische Spielregeln hinwegsetzen zu können – doch genau diese Selbstüberschätzung wurde ihm nun zum Verhängnis. Das Gericht hat sein Urteil gesprochen – und Dodik auf den Boden der Realität zurückgeholt. Eine klare rechtliche Dusche für den selbsternannten Fürsten von Banja Luka. Ein Mann, der jahrelang den Rechtsstaat verhöhnte, musste ihn nun anerkennen – ein symbolischer Sieg für die Institutionen Bosniens.
Während in Belgrad Präsident Aleksandar Vučić die bekannte Pose des besorgten Nachbarn einnimmt, ist aus völkerrechtlicher Sicht seine Meinung irrelevant. Doch Geschichte mahnt zur Vorsicht: Von Slowenien bis Kosovo – die Nachbarn kennen die destruktiven Potenziale serbischer Regionalpolitik. Die Berichte über fortgesetzte Destabilisierungsversuche aus Belgrad sind keine Randnotiz, sondern ein ernst zu nehmender Kontext.
Die politische Hyänenjagd hat begonnenMit dem wankenden Dodik beginnt das Revierkampf-Fieber in der bosnisch-serbischen Parteienlandschaft. Bisherige Mitläufer, Kritiker im Schatten und Opportunisten wittern ihre Chance. Es ist zu erwarten, dass politische Umschichtungen einsetzen – weg von der SNSD, hin zu alternativen Plattformen, die ein Überleben im sich wandelnden Machtgefüge versprechen. Das Ziel bleibt für viele gleich: politischer und finanzieller Selbsterhalt.
Die politische Erschütterung hat auch Auswirkungen auf zwei weitere Akteure: Dragan Čović, Vorsitzender der kroatisch-nationalistischen Partei HDZ BiH, war über Jahre hinweg ein strategischer Verbündeter Dodiks. Mit dessen Hilfe trieb er die Forderung nach einem „dritten Entitätsstatus“ für Kroaten im Land voran. Nun, da dieser Partner ins Wanken gerät, dürfte Čović gezwungen sein, sich kompromissbereiter zu geben – entgegen seiner bisherigen Linie.
Bakir Izetbegović, langjähriger Vorsitzender der Partei der Demokratischen Aktion (SDA), verliert mit Dodiks Abgang zwar einen ideologischen Gegner, gewinnt aber indirekt an politischer Relevanz zurück. Die Troika, ein reformorientiertes Bündnis aus SDP, Naša Stranka und Narod i Pravda, hat es bisher nicht geschafft, klare politische Linien zu setzen oder die Erwartungen an einen echten Wandel zu erfüllen. Zu oft verstricken sich ihre Akteure in internen Querelen, unglücklicher Kommunikation und Symbolpolitik.

So schießt die Troika derzeit mehr Eigentore als Treffer – und macht damit ausgerechnet jenen Mann wieder stark, den sie eigentlich politisch überwinden wollte: Bakir Izetbegović. Je schwächer und orientierungsloser die Troika agiert, desto eher kann sich Izetbegović erneut als erfahrener Staatsmann präsentieren – ganz gleich, wie berechtigt die Kritik an seiner Vergangenheit sein mag.
Klare Botschaft an Brüssel und WashingtonRussland und Serbien dürften bemüht sein, einen neuen Statthalter ihrer Interessen in Bosnien zu finden – doch jemand mit Dodiks Kaliber steht momentan nicht bereit. Genau darin liegt die Chance: für Brüssel, für Washington, für alle, die an Stabilität und europäische Integration glauben.
Diese Chance, dieses konstruktive Zeitfenster, muss von EU und Nato genutzt werden. Jetzt ist der Moment, klare Signale zu setzen – mit politischer Präsenz, wirtschaftlicher Unterstützung und strategischem Druck auf jene Kräfte, die bisher als Blockierer wirkten. Es geht nicht nur darum, Bosnien in Richtung Nato und EU zu bewegen, sondern auch darum, den Einfluss autoritärer Kräfte dauerhaft zurückzudrängen.
Wer jetzt zögert, verliert. Wer hingegen handelt, kann Bosnien und Herzegowina auf den Weg der Reform, Versöhnung und Integration führen – und damit endlich zeigen, dass europäische Politik auch im Westbalkan noch Wirkung entfalten kann.
Erdin Kadunić ist Deutsch-Bosnier, Diplom-Politologe und dreifacher Familienvater. Er studierte an der Freien Universität Berlin und lebte anschließend acht Jahre lang in Bosnien, wo er unter anderem als Pressereferent an der Deutschen Botschaft in Sarajewo tätig war. Heute lebt er in Düsseldorf und arbeitet als Dolmetscher und Übersetzer für Bosnisch, Kroatisch und Serbisch. Auf seinem TikTok-Kanal „Balkandolmetscher“ und in seinem neuen E-Book „Život u Njemačkoj – kratko i jasno objašnjeno“ erklärt er Neuankömmlingen vom Balkan das Leben in Deutschland.
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